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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 08.06.2016

NZZ

Afrikas Zukunft

Ein viel zu optimistisches Bild

Gastkommentar / von Max D. Amstutz

In seinem Artikel «Der missverstandene Kontinent» gibt Alex Perry dem Leser einen völlig falschen Eindruck über Zustand und Aussichten Afrikas.

Der Artikel von Alex Perry («Der missverstandene Kontinent») in der NZZ vom 27. 5. 16 ist in seinem historischen Rückblick sicher interessant. Hingegen stimmen die im Artikel enthaltenen Zahlen und Hinweise über Gegenwart und Zukunft des Kontinentes in keiner Weise. Sie geben dem Leser einen völlig falschen Eindruck über Zustand und Aussichten Afrikas.

Dass Afrika «seit bald zwei Dekaden ein schnelleres Wachstum verzeichnet hat als ein Grossteil der übrigen Welt» entspricht nicht den Tatsachen. Die Industrialisierung – ein zuverlässiges Indiz des wirtschaftlichen Fortschrittes – zeigt in der Periode von 1980 bis 2013 für die afrikanische Wirtschaft eine Abnahme von 12 Prozent auf 11 Prozent. In Afrika ist der Anteil der industriellen Arbeitsplätze über diese drei Dekaden mit 6 Prozent gleich geblieben, während in Asien solche Arbeitsplätze von 11 auf 16 Prozent zugenommen haben («Economist», 7. 11. 15).

Über die letzten zehn Jahre hat das GDP (PPP) Afrikas im Durchschnitt nur etwa 5 Prozent p. a. zugenommen. Wirtschaftlich, politisch und kulturell hinkt Afrika, vor allem Subsahara-Afrika (SSA) mit seinen 920 Millionen Einwohnern den anderen Kontinenten hintennach. Gemessen wird der sozioökonomische Entwicklungsstand eines Landes am Human-Development-Index der Uno. Von den dort aufgeführten Ländern sind alle SSA-Staaten mit Ausnahme von Südafrika, Namibia und Botswana in den Rängen 138 (Ghana) bis 187 (Niger) zu finden, dies beim Stand 2014.

Was das GDP (PPP) per capita anbelangt, sind sie ebenfalls ganz am unteren Ende der 187 Länder anzutreffen, so beispielsweise Äthiopien mit 1642 Dollar p. a. und die Demokratische Republik Kongo mit 729 Dollar p. a. Es stimmt nicht, dass die Afrikaner «im Durchschnitt doch jährlich über 200 Dollar mehr verfügen als die Bürger Indiens». Indien weist 2014 einen Durchschnittswert p. a. von 5808 Dollar auf (Nr. 125 von 187 Ländern), die meisten afrikanischen Länder haben niedrigere Werte. Und dann ist noch auf die Tatsache hinzuweisen, dass das GDP-(PPP-)Einkommen per capita eine fiktive Zahl ist, weil sie die Einkommensverteilung – die am Gini-Index berechnet wird – nicht berücksichtigt. Je höher der Gini-Index ist, umso ungleicher ist die Einkommensverteilung. Für Indien beträgt der Gini-Index 34; fast alle afrikanischen Staaten liegen weit darüber.

Besonders nachteilig für die Entwicklung ist die enorm hohe Fertilität der afrikanischen Bevölkerung

Besonders nachteilig für die Entwicklung ist die enorm hohe Fertilität der afrikanischen Bevölkerung: In Afrika hat jede Frau im Durchschnitt 4,7 Kinder, in SSA sogar 5,0. Demgegenüber ist die Fertilität in Indien geringer: 2,3 Kinder pro Frau, was allerdings immer noch hoch ist. Das Wirtschaftswachstum in Afrika wird so zu einem bedeutenden Teil vom Bevölkerungswachstum (3,0 bis 3,5 Prozent) «aufgefressen». Die Fertilitätszahlen 2015 stammen von der Stiftung Weltbevölkerung in Hannover. Deren Bevölkerungsprognose für Afrika per 2050 beträgt 2,4 Milliarden, gegenüber 1,2 Milliarden Menschen heute, eine Verdoppelung in 35 Jahren. Diese Zahl lässt die gewaltige Dimension neuer Arbeitsplätze erahnen, die jedes Jahr geschaffen werden müssten, um nur den heutigen Beschäftigungs- und Entwicklungsstand beibehalten zu können. Es ist für mich unverständlich, warum die Entwicklungshilfe des reichen Westens sich nicht stärker auf die sexuelle Beratung und die Förderung freiwilliger Familienplanung konzentriert.

Fazit: Das Bild, das Perry von Afrika zeichnet, ist viel zu optimistisch. Es wird noch viele Generationen dauern, bis eine fühlbare Besserung der Massenarmut eintreten wird.

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Max D. Amstutz war Geschäftsleitungsmitglied des Zementkonzerns Holcim und Delegierter des Verwaltungsrates Holcim sowie Präsident von Alusuisse-Lonza, von Roll und SGS Genf.