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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 13.04.2015

Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

How demography shapes development - Lessons from the MDGs for the SDGs

Von Michael Hermann, Ruth Müller, Tanja Kiziak und Reiner Klingholz

Neue Pläne für eine bessere Welt

Nur wenn Bevölkerungsdaten bei den Sustainable Development Goals (zu Deutsch: Nachhaltige Entwicklungsziele, SDGs) eine Rolle spielen, kann die Entwicklungsagenda erfolgreich sein. Das zeigt die Studie "Consequential Omissions" ("Folgenreiche Versäumnisse") einer Autorengruppe aus dem Hause des Berlin-Instituts und des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA).

Die SDGs (zu Deutsch: Nachhaltige Entwicklungsziele, SDGs) treten an die Stelle der Millennium Development Goals aus dem Jahr 2000 (Jahrtausend-Entwicklungsziele, MDGs; mehr über die MDGs erfahren Sie im zweiten Beitrag dieses Newsletters). An der Formulierung der SDGs sind über 150 Länder und mehrere hundert Interessengruppen aus den unterschiedlichsten Bereichen beteiligt. Entsprechend heiß verlaufen die Debatten. Nach derzeitigem Stand wird sich die Zahl der Ziele mehr als verdoppeln - von 8 MDGs auf 17 SDGs. Die neue globale Entwicklungsagenda wäre damit deutlich breiter als ihre Vorgängerin und würde Themengebiete von Armut über nachhaltigen Konsum bis hin zum Klimawandel berühren.

Für die Industrienationen und Schwellenländer ist diese Erweiterung folgerichtig, denn für sie stellt das Hauptziel der MDGs, die Bekämpfung von Armut und Hunger, keine größere Herausforderung mehr dar. Dafür sollten sie sich zügig den großen überregionalen Herausforderungen widmen. Die am wenigsten entwickelten Länder dieser Erde können jedoch unmöglich alle bisher diskutierten SDGs erfüllen. Für sie wäre es sinnvoller, sich zunächst auf die grundlegende Versorgung ihrer Einwohner zu konzentrieren. Ihr besonderes Problem ist, dass sie dies für besonders stark wachsende Bevölkerungen tun müssen.

Aus den MDG-Erfahrungen lernen

Das zeigen auch die Erfahrungen mit den MDGs. Ostasien, wo das Bevölkerungswachstum zwischen 2000 und 2015 nur noch langsam verlief, bekämpfte Hunger, Armut und Krankheiten deutlich erfolgreicher als alle anderen Weltregionen und wurde damit zum Musterknaben in Sachen MDGs. Besonders große Probleme mitzuhalten hatten dagegen die Länder Subsahara-Afrikas und damit diejenigen mit den höchsten Zuwachsraten.

Dazu trug nicht nur die Bevölkerungszunahme als solche bei, sondern auch das Wachstum in bestimmten Altersgruppen. Das bestätigen die Ergebnisse der neuen Studie, die von UNFPA und dem Förderkreis des Berlin-Instituts finanziert wurde. Besonders stark wuchs in Subsahara-Afrika die Gruppe der Kinder. Weil sie kein eigenes Einkommen erzielen und stattdessen mit Gesundheitsdiensten und Schulen versorgt werden müssen, kosten Kinder eine Gesellschaft während ihrer ersten Lebensjahre Geld. Steigt ihre Zahl gegenüber der arbeitenden Bevölkerung (zwischen 15 und 64 Jahren) stetig an, werden die pro Kind zur Verfügung stehenden Mittel für Schulplätze und Arztbesuche immer knapper. Genau dies geschah zwischen 2000 und 2015 in den Ländern Subsahara-Afrikas. Mit diesem Engpass lässt sich ein großer Teil ihres Misserfolgs bei den MDGs erklären.

Abhängige erschweren Entwicklung

Auf 100 Menschen in Erwerbsalter (15- 64 Jahre) kommen in Subsahara-Afrika beinahe 85 Abhängige außerhalb dieser Altersgruppe. Die meisten von ihnen sind Kinder unter 15 Jahren. Dieses Verhältnis hat stark dazu beigetragen, dass Subsahara-Afrika auf der MDG-Agenda kaum vorangekommen ist. Die ostasiatischen Gesellschaften müssen dagegen wesentlich weniger Abhängige im Kinder- und Rentenalter mit versorgen. Das ermöglichte der Region große Entwicklungserfolge - eine Art demografische Dividende.Hier erfahren Sie mehr über die demographische Dividende in unserem Themenspecial.

Es muss den am wenigsten entwickelten Ländern deshalb schnellstmöglich gelingen, den Anteil der Kinder an der Gesamtbevölkerung nicht noch weiter steigen zu lassen, sondern zu senken. Das ist nur möglich, wenn pro Frau weniger Kinder zur Welt kommen. Wie dies zu erreichen wäre, ist hinlänglich bekannt: Sobald Kinder besser medizinisch versorgt werden und mehr von ihnen die ersten Jahre überleben, sobald Frauen besser gebildet sind und eine bezahlte Beschäftigung finden, sobald Mittel zur Verhütung verfügbar sind, beginnen die Menschen aus eigenem Antrieb ihre Familiengrößen zu planen. All diese Maßnahmen finden sich in den bisher gültigen MDGs. Die ärmsten Entwicklungsländer sollten sich deshalb weiter darum bemühen, zunächst die alte Agenda zu erfüllen.

Mehr Städter, mehr Städte

Anders als häufig angenommen, wird nur ein kleiner Teil der künftigen Städter in Groß- und Megastädten von fünf bis über zehn Millionen Einwohnern leben. Die meisten von ihnen werden in kleineren Städten leben. Viele davon sind heute noch kleine Dörfer und werden erst in den kommenden Jahren zu städtischen Ballungszentren heranwachsen. Das bietet die Chance für gezielte Planung. Neu entstehende Straßen, Abwassersysteme und Stromnetze können den absehbaren Bedürfnissen gezielt angepasst werden und damit für die Städter von morgen gute Lebensverhältnisse schaffen - die wichtigste Voraussetzung für Entwicklung.

Wo Unterstützung nötig ist

Dabei werden sie Unterstützung benötigen - finanzielle wie auch technische. Zu Wachstum und sozialer Entwicklung kann vor allem die gezielte Planung von Städten beitragen, wo schon heute ein Großteil des Bevölkerungswachstums stattfindet. Zwischen 2015 und 2030 - also über den Zeitraum der neuen SDG-Agenda - dürfte die weltweite Zahl der Städter um 1,1 Milliarden steigen. Dieses Wachstum findet fast ausschließlich in den Entwicklungsländern statt. Bestehende Städte werden wachsen, aber gleichzeitig Hunderte neuer Städte hinzukommen. Diese können noch gestaltet und den Ansprüchen einer modernen Gesellschaft von Anfang an angepasst werden. Damit könnten Städte der Zukunft zu Entwicklungslokomotiven werden, vor allem, wenn sie die Bevölkerung mit ausreichend Arbeitsplätzen versorgen können. Verpassen sie diese Chance aber, drohen sie, zu Ballungszentrum der Armut zu verkommen.