Direkt zum Inhalt
Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 25.03.2015

Spiegel Online

Anti-Terror-Strategie

Europäer versagen in Afrika

Von Peter Maxwill und Fabian Reinbold

Afrika rückt ins Zentrum des islamistischen Terrors - und Europas Regierungen müssen dringend ihre Strategie ändern, fordern Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik. Berlin soll sich dabei auf ein bestimmtes Land konzentrieren.

Tunesien, Libyen, Nigeria: Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Islamisten in Afrika für Schlagzeilen sorgen. Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin haben jetzt die wichtigsten Terrorgruppen auf dem Kontinent untersucht - und werfen der Politik vor, unzureichend auf diese Herausforderung vorbereitet zu sein.

"Die Europäer haben kein erkennbares Konzept für den Umgang mit Boko Haram", kritisiert Guido Steinberg von der SWP gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Dies wird aber immer dringlicher, da Nigeria kurz vor einem Bürgerkrieg steht und der Konflikt sich auf die Nachbarn ausweitet." Die SWP berät Bundesregierung und Bundestag in außenpolitischen Fragen.

Islamismus-Experte Steinberg fordert mehr Druck auf die nigerianische Regierung, ihre Politik zu ändern. "Gelingt es nicht, den lange vernachlässigten Norden des Landes zu entwickeln, führen alle Gegenmaßnahmen nur zu Scheinlösungen."

Für die Politikberater ist Afrika zu "einer der wichtigsten Arenen des Dschihadismus" geworden. Sie fordern einen Strategiewechsel in Berlin und Brüssel. "Die deutsche und europäische Außenpolitik sollte die eigene Perspektive auf das Thema grundsätzlich überprüfen", heißt es in der Studie "Dschihadismus in Afrika". (Hier finden Sie die komplette Studie.)

"Für Deutschland sollte Tunesien im Mittelpunkt stehen"

Laut der Studie liegt der aktuellen Politik ein falsches Bild vom Terrorismus in Afrika zugrunde. Viele Europäer hätten einen einzigen, den "Kontinent umspannenden afrikanischen Krisenbogen" vor Augen, in dem große länderübergreifende Terrornetzwerke operierten. Dies verdecke, "dass alle diese Konflikte lokale Ursachen haben und die Lösung in den einzelnen Ländern selbst liegt", so Steinberg. "Große 'Afrika-Strategien' sind fehl am Platz. Es braucht Lösungsansätze für jedes einzelne Land und klare Prioritäten."

Steinberg fordert von der Bundesregierung einen klaren Fokus auf ein Land: "Für die deutsche Politik sollte vor allem Tunesien im Mittelpunkt stehen", sagte Steinberg SPIEGEL ONLINE. Dort wurden bei einem Angriff auf das Nationalmuseum in Tunis am vergangenen Mittwoch 20 Touristen getötet.

2014 hätten tunesische Politiker in den europäischen Hauptstädten vergeblich um Unterstützung bei der Terrorismusbekämpfung gebeten. "Der Anschlag auf das Nationalmuseum zeigt, dass diese Hilfe schnell fließen muss - einschließlich Waffen und einer Sicherungsanlage an der Grenze zu Libyen", so der Wissenschaftler.

In Deutschland fehlt es an Expertise

Steinberg und seine Kollegen der SWP heben in ihrer Studie hervor, dass es an Wissen über die verschiedenen Terrorgruppen fehle. "Insgesamt fehlt es in Deutschland an Expertise zu afrikaspezifischen Fragen - in Politik, Militär, Nachrichtendiensten, Wissenschaft und Medien."

Zudem würden viele Terrorgruppen von westlichen Regierungen und Medien falsch eingeschätzt. Die einzelnen Terrorgruppen würden von al-Qaida oder dem "Islamischen Staat" weder kommandiert noch kontrolliert. Sie agierten nahezu autonom.

Der "recht kleine gemeinsame Nenner" der Extremisten sei, dass sie die Regierungen in ihrer Region als Helfer eines westlichen Imperialismus darstellten, die mit Waffengewalt bekämpft werden müssten.

Die Forscher betonen, dass es etwa mit der Battar-Brigade in Libyen und der tunesischen Katiba Uqba ibn Nafi gefährliche Terrorverbände gebe, die bislang von der europäischen Regierungen weitgehend ignoriert würden.