Beitrag vom 21.03.2015
Schwäbisches Tagblatt
Namibia feiert sich selbst
Ein Vierteljahrhundert Unabhängigkeit von Südafrika und ein neuer Präsident
Vor 25 Jahren wurde Namibia - das ehemalige Deutsch-Südwestafrika - unabhängig. Dort wird heute der als pragmatisch geltende Präsident Hage Geingob vereidigt. Wirtschaftlich gibt es immer noch Kontakte.
WOLFGANG DRECHSLER
Windhuk - Gnadenlos glüht die Sonne auch in den letzten Wochen des Südsommers über die Weite Namibias: Wie schon im Vorjahr hat es auch diesmal in der einstigen deutschen Kolonie im Südwesten Afrikas zu wenig geregnet. Erst vor zwei Wochen kam es endlich zu den ersehnten Güssen - allerdings vermutlich zu spät, um die lange Dürre vor Beginn der Trockenzeit im Mai zu brechen. Dennoch hat es etwas Beruhigendes, dass sich die Gespräche dieser Tage weniger um die Politik als um die heiße Wüstenluft drehen, die bis zur Unabhängigkeit des Landes am 21. März 1990 jahrelang vor politischer Hochspannung knisterte.
An diesem Wochenende nun wird Namibia (einst Deutsch-Südwestafrika) ein Vierteljahrhundert alt. Wer vor 25 Jahren im prall gefüllten Windhuker Independence-Stadion saß, wird sich vermutlich mit etwas Wehmut an die Geburtsstunde des Landes erinnern: Zwei Fahnenstangen standen damals nebeneinander auf dem Spielfeld. An der einen wehte die Flagge der seit 1915 tonangebenden Verwaltungsmacht Südafrika, die wenig später für immer eingeholt wurde. Unter der anderen lag eine zum Hissen bereite - die blau-rot-grüne Flagge Namibias mit der ewigen Sonne im oberen linken Eck.
Eine für die historische Feier notwendige Zutat fehlte jedoch: Die Festtagsstimmung. Denn als nach mehr als 30-jährigem Widerstandskampf das letzte unter Fremdherrschaft stehende Territorium Afrikas um exakt 0.22 Uhr in die Freiheit entlassen wurde, wollte sich partout kein Freudentaumel einstellen. Zwar klatschten die Menschen höflich, doch die Begeisterung blieb aus. Nach der Geburt des neuen Staates zogen alle friedlich von dannen. Selbst das deutsche Reiterdenkmal neben dem Regierungssitz wurde nicht geschleift.
Dieses Schicksal ereilte das Denkmal erst 20 Jahre später - und dann gleich zweimal. Nachdem Ross und Reiter 2009 auf Geheiß der regierenden South West African People's Organisation (Swapo), der ehemaligen Widerstandsbewegung, zunächst abgebaut und an anderer Stelle mühsam neu errichtet worden war, wurden sie am ersten Weihnachtstag 2013 in einer Nacht-und Nebel-Aktion per Hebekran von ihrem neuen Standort gehievt - und harren seitdem in der Alten Feste ihres Schicksals.
Zum Glück ist dieser Willkürakt der Swapo jedoch eine Ausnahme geblieben, auch wenn viele der verbliebenen 100 000 Weißen damals befürchteten, dass die Wellen des Revanchismus verspätet vielleicht doch noch über ihrem Eiland zusammenschlagen würden. Ein weiterer Grund für diese latente Sorge findet sich weniger in der fortschreitenden Umbenennung historischer Stellen wie etwa dem "Caprivi-Zipfel" in "Sambesi" als vielmehr darin, dass Namibia trotz seiner pluralistischen Verfassung einem Ein-Parteien-Staat gleicht. Erst im November vergangenen Jahres war die Swapo bei der jüngsten Parlaments- und Präsidentschaftswahl auf fast 80 Prozent aller Stimmen gekommen. Der neue Staatschef Hage Geingob, der heute mit dem neuen Kabinett vereidigt wird, kam sogar auf sensationelle 87 Prozent, obwohl er als Damara nicht der größten Volksgruppe der Ovambo angehört, die seit 1990 dafür sorgt, dass die Swapo satte Mehrheiten einfährt. Der Namibia-Experte Klaus Hess sieht die hohe persönliche Zustimmung für ihn dennoch positiv, weil sie dem als Pragmatiker bekannten Geingob womöglich größere Freiräume zur Parteipolitik verschaffe.
Obwohl sich an der autoritären Geisteshaltung der Swapo wenig geändert hat, kann die namibische Gesellschaft seit dem Rückzug des selbstherrlichen Gründervaters Sam Nujoma vor zehn Jahren freier atmen. Anders als dieser frönen weder sein Nachfolger Hifikepunye Pohamba noch Geingob einem Personenkult. Zwar hat Namibia wie Simbabwe oder auch Südafrika ein Landproblem. Allerdings hat man dies in der ehemaligen deutschen Kolonie bislang nicht durch eine extrem krude und oft illegale Landumverteilung wie in Simbabwe gelöst, sondern dadurch, dass der namibische Staat bei Landverkäufen das Vorkaufsrecht besitzt.
Wie schon zu Kolonialzeiten bilden der Bergbau und die Fischerei noch immer das Rückgrat der Wirtschaft, auch wenn der Tourismus aufholt. Zur Stabilität trägt aber vor allem bei, dass dank der insgesamt gemäßigten Regierungspolitik der anfangs befürchtete Exodus der Weißen nicht stattgefunden hat. Auch die meisten der knapp 30 000 Deutschen sind geblieben und bilden heute einen Gutteil des Mittelstandes, der das Land trägt.
Wie eng die Bande zwischen Deutschland und Namibia trotz der nur kurzen Kolonialphase (1884 - 1915) geblieben sind, lässt sich am Bau der Ohorongo-Zementfabrik ablesen, die vom Ulmer Unternehmen Schwenk für 250 Millionen Euro rund 400 km nördlich von Windhuk errichtet wurde und Anfang 2011 in Betrieb ging. Es ist die derzeit modernste Zementfabrik in Afrika und ihr Umwelteinfluss angeblich entsprechend gering. Bei dem Werk handelt es sich um die mit Abstand größte Auslandsinvestition in Namibia seit der Unabhängigkeit - und, wie das Unternehmen selbst gerne betont, einen deutlichen Vertrauensbeweis in die Zukunft des Landes.