Beitrag vom 21.11.2014
Finanz und Wirtschaft, Zürich
Schwache Hoffnung auf einen «afrikanischen Frühling»
Kommentar von Wolfgang Drechsler, Kapstadt
Der Umsturz in Burkina Faso dürfte kaum eine Kettenreaktion auslösen. Südlich der Sahara sind die Mittelklassen zu schwach, um die vom Militär gestützten Diktatoren zu verjagen.
Ganz plötzlich hat Afrika scheinbar einen neuen Hoffnungsträger geboren: Ausgerechnet der kleine Binnenstaat Burkina Faso, der vielen Schweizern, wenn überhaupt, durch ein von dem deutschen Theaterregisseur Christoph Schlingensief mitten in die Savanne gebautes Opernhaus bekannt ist, soll eine schwarzafrikanische Version des arabischen Frühlings begründen. Schliesslich ist in dem bitterarmen westafrikanischen Land erstmals das gelungen, was im Süden der Sahara bislang fast überall scheiterte: Mehrtägige Massendemonstrationen haben zu Monatsbeginn in Rekordzeit den seit 27 Jahren herrschenden Staatschef Blaise Compaoré aus dem Amt gejagt - und vielerorts die Hoffnung geschürt, sein Sturz könne womöglich Signalwirkung für die ganze Region entfalten, besonders für Kongo und Sudan, deren Staatschefs sich ebenfalls gerade mit illegalen Kunstgriffen eine weitere Amtszeit sichern wollen, die ihnen die Verfassung eigentlich untersagt.
Gleichwohl deutet wenig auf eine solche Kettenreaktion hin. Sicherlich werden nun auch andere vermeintliche Herrscher auf Lebenszeit wie Joseph Kabila (Kongo), Omar al-Bashir (Sudan) oder die beiden bisherigen Rekordhalter Eduardo dos Santos (Angola) und Teodoro Obiang (Äquatorialguinea), Letztere inzwischen beide jeweils 35 Jahre im Amt, die Ereignisse am Rand der Sahelzone mit einigem Unbehagen verfolgen. Doch zumindest gegenwärtig deutet im Afrika südlich der Sahara wenig auf Unruhen mit einem revolutionären Charakter wie im Norden des Kontinents hin. Anders als in Burkina Faso können all diese Potentaten nämlich noch immer fast überall auf die wichtigste Gruppe des Landes bauen: das eigene Militär.
Symptomatisch für die weitverbreitete Apathie gegenüber den Eliten ist das verblüffende Comeback von Simbabwes Machthaber Robert Mugabe. Erst vor wenigen Wochen wurde der Neunzigjährige von der Staatengemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) einmütig zum neuen Vorsitzenden gekürt, obwohl er sich seit Jahren nur noch durch Betrug und Gewalt im Amt hält. Ebenso symptomatisch ist, dass die Afrikanische Union (AU) vor drei Jahren mit Teodoro Obiang ausgerechnet Afrikas derzeit dienstältesten Diktator zu ihrem Vorsitzenden gewählt hat. Ein Neuanfang sieht anders aus.
Kampf ums tägliche Brot bindet alle Energien
Neben der Loyalität der Armee liegt ein wichtiger Grund für den erstaunlichen Gleichmut vieler Afrikaner mit ihren korrupten Führern auch darin, dass die Menschen auf dem Kontinent offenbar mit weit weniger zufrieden sind als in anderen Teilen der Welt - und zudem eine enorme Leidensfähigkeit entwickelt haben. Viele Afrikaner kennen eben Schlimmeres als einen nicht am Gemeinwohl interessierten Potentaten, nämlich Hungersnöte oder Bürgerkriege, ja sogar Genozide wie vor zwanzig Jahren in Ruanda. (In Simbabwe hat womöglich der blutige Widerstandskampf gegen das weisse Minderheitsregime für eine gewisse Ermüdung gesorgt. Auch hat sich Mugabe hier als der ultimative Machiavelli erwiesen.)
Der entscheidende Grund für die relative Ruhe in Afrika liegt jedoch in der Schwäche der höchstens in Ansätzen vorhandenen, stets vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelklasse. Das gilt selbst für Südafrika, das bei weitem am stärksten industrialisierte Land des Kontinents. Allenfalls 15% seiner 40 Mio. Schwarzen zählen zu dieser für eine funktionierende Demokratie so elementaren Gruppe. Im übrigen Afrika leben hingegen noch viel mehr Menschen als am Kap der guten Hoffnung unter der Armutsgrenze und kämpfen um das tägliche Überleben, was all ihre Energien bindet. Eine Studie der Standard Bank zur Mittelklasse in Afrika kam kürzlich zum Ergebnis, dass 85% der Haushalte in den elf am stärksten wachsenden Volkswirtschaften Afrikas zur unteren Einkommensgruppe zählen. Im vermeintlichen Erfolgsmodell Äthiopien mit einem jährlichen Wachstum von über 10% sind es sogar 99% aller Haushalte, in Tansania (mit einer Zuwachsrate von immerhin 7%) rund 97%.
Auch verstehen es die afrikanischen Eliten, fast überall vorhandene tiefe ethnische, rassische und linguistische Gräben zum eigenen Vorteil zu nutzen. Für gewöhnlich ist die ethnische Fragmentierung wie in Kenia oder Nigeria so gross und tief, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung dem Konzept einer gemeinsamen Nation verpflichtet ist, die übrigen verharren im Tribalismus oder wie etwa in Somalia in Clanstrukturen.
Der demokratische Humus ist dünn
Schon deshalb bleibt nun auch in Burkina Faso abzuwarten, ob sich der Wunsch vieler Menschen nach mehr Demokratie am Ende auch nur ansatzweise erfüllen wird. Bereits jetzt wächst in der Bevölkerung zu Recht die Sorge, dass der Übergang auch hier vom (anfangs zerstrittenen) Militär zum eigenen Vorteil missbraucht wird, auch wenn gerade erst ein neutraler Übergangspräsident eingesetzt wurde. In einem Land, wo der geschasste Präsident fast drei Jahrzehnte lang das Alltagsleben total dominierte, ist der demokratische Humus dünn - und die Opposition naturgemäss schwach.
Natürlich könnte es angesichts der tiefen sozialen und ethnischen Kluft und der gleichzeitig extrem hohen (Jugend-)Arbeitslosigkeit in fast allen Ländern südlich der Sahara mittel- bis langfristig zu ähnlich dramatischen Umwälzungen wie im Norden des Kontinents kommen. Denn anders als in Südafrika mit seiner jungen, aber dennoch vergleichsweise (noch) robusten Demokratie fehlt in den meisten anderen Ländern des Kontinents jedwedes Frustventil. Allerdings dürften Veränderungen trotz der ermutigenden Ereignisse in Burkina Faso nicht heute oder morgen passieren, sondern allenfalls in ein paar Jahren.