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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 28.03.2014

Kölner Stadt-Anzeiger

Der "Hoppla, jetzt komm ich"-Minister

Mit seiner forschen Haltung zur Entwicklungspolitik wird der neue Ressortchef Gerd Müller scheitern - Er muss seine Einstellung ändern

Von Kurt Gerhardt

Nach wenigen Monaten im Amt brütet die schwarz-rote Bundesregierung über einem neuen Konzept für ihre Afrika-Politik, dabei ist das bisherige erst drei Jahre alt. Der neue Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist sogar noch einen Schritt weiter. Der Beitrag seines Hauses, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), zu diesem Konzept ist nämlich bereits fertig. Müller hat ihn vor wenigen Tagen in einer Rede im Bundestag bekanntgemacht.

Als Müller ins Amt kam, wurde er dafür kritisiert, dass er nicht viel von Entwicklungspolitik verstehe. Diese Kritik ist unsinnig, denn ein neuer Minister muss kein Fachwissen haben. Was er beherrschen muss, ist das politische Handwerk. Das nötige Fachwissen hat er sich dann allerdings zügig und gründlich anzueignen.

Sich in die Zusammenhänge und Wirkungen des Gebens und Nehmens in fremden Kulturen hineinzudenken, ohne den Alltag der Entwicklungshilfe je erlebt zu haben, ist nur unter großen Anstrengungen und schon gar nicht schnell möglich. Das gilt ganz besonders für Afrika, den bei Weitem schwierigsten Entwicklungskontinent. Ein neuer Minister tut also gut daran, sich gehörig Zeit zu nehmen, ehe er sich öffentlich programmatisch äußert. Minister Müller hat es für richtig gehalten, es anders zu machen.

Das meiste dessen, was er als sein neues Konzept anpreist, ist irritierend. "100 neue deutsch-afrikanische Partnerschaften" von Schulen, Hochschulen, (Sport-) Vereinen und so weiter sollen her. Ein "deutsch-afrikanisches Jugendwerk" nach deutsch-französischem Vorbild will Müller schaffen. Seit Jahrzehnten sind Scharen junger Afrikaner zur Ausbildung in die Industrieländer geholt worden - offensichtlich mit geringem "Entwicklungsertrag" für ihre Heimatländer. Schulpartnerschaften zwischen - jedenfalls materiell - extrem ungleichen Beteiligten sind ein äußerst heikles Unterfangen. Sie können Abhängigkeiten und sogar Vorurteile verstärken, wie erst jüngst eine Berliner Untersuchung gezeigt hat. Statt noch mehr junge Menschen nach Europa einzuladen, wäre es sinnvoller, dazu beizutragen, dass die oft miserablen Bildungs- und Ausbildungsbedingungen auf dem afrikanischen Kontinent verbessert werden. Dort muss die Ausbildung stattfinden, nicht hier.

Etliches, was der Minister als sein neues Programm verkauft, bleibt vage. Einen "Beschäftigungsfonds für Afrika" führt er auf seiner Liste. Auf die Frage, was das sein und wie das gehen soll, hört man im Ministerium, das müsse noch geklärt werden. Die gleiche Auskunft zur Ankündigung weiterer "zehn Berufsbildungszentren". Was zwingt den Minister, mit Unausgegorenem in die Öffentlichkeit zu gehen?

In seiner Bundestagsrede hat Müller aufgezählt, was "wir" alles in Afrika aufbauen (wollen): "Verwaltungsstrukturen, politische Strukturen, zivile Strukturen, Demokratie, Rechtsstaat. Wir haben das Modell der dezentralen Lösungen. Wir entwickeln Infrastrukturen, großartige Projekte. Wir bauen Schulen, Berufsbildungszentren, Krankenhäuser."

Wer so redet, vermittelt den Eindruck, von Erfahrungen mit Entwicklungshilfe in den vergangenen Jahrzehnten nichts gehört zu haben. Andernfalls wüsste er, dass solches Denken von gestern ist; dass die Attitüde, andere entwickeln zu wollen, der wesentliche Grund für das weit überwiegende Scheitern unserer Entwicklungshilfe in Afrika ist.

Niemand kann einen anderen Menschen oder eine andere Gesellschaft entwickeln. Jeder Mensch und jede Gesellschaft können es nur selbst. Warum begreifen so viele für Entwicklungspolitik Verantwortliche das nicht? Warum ignorieren sie das Subsidiaritätsprinzip, nach dem nötige Hilfe zwar gegeben werden muss, aber mit größter Zurückhaltung und nur so lange, wie unbedingt nötig, weil Menschen sonst zur Abhängigkeit von Hilfe erzogen werden? Wir können nur erahnen, wie viel an solcher Abhängigkeit wir durch mehr als ein halbes Jahrhundert Entwicklungshilfe erzeugt haben.

Die Dauerverstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip haben aber eben auch ihre Annehmlichkeiten. Wer nah dran ist an den Finanztöpfen der Entwicklungshilfe, egal auf welcher Seite, hat in der Regel keinen Schaden davon, um es zurückhaltend zu sagen. Unter anderem dadurch erklärt sich das starke Interesse auch in den Geberstaaten, die gigantischen Hilfemaschinerien am Laufen zu halten.

Die "Hoppla, jetzt komm ich"-Haltung, mit der Minister Müller - mutmaßlich in bester Absicht - gestartet ist, ist fundamental falsch. Wenn er sie nicht ändert, wird er scheitern.

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Kurt Gerhardt ist Mitinitiator des "Bonner Aufrufs" für eine neue Entwicklungspolitik aus dem Jahr 2008. Er war jahrelang Hörfunkkorrespondent in Brüssel.