Beitrag vom 08.03.2014
Bonner General-Anzeiger
"Afrika ist ein Chancen-Kontinent"
Entwicklungsminister Gerd Müller über die Bedeutung der Kleinbauern und fairen Handel
Die Räumlichkeiten atmen den Hauch der Geschichte. Der Bonner Sitz des Entwicklungsministeriums (BMZ) ist im ehemaligen Kanzleramt untergebracht. Zum Interview lädt Entwicklungsminister Gerd Müller ins frühere Büro von Helmut Kohl. Mit dem CSU-Politiker sprach Lutz Warkalla.
Herr Minister, Sie gehörten zum Überraschungspaket der CSU bei der Koalitionsbildung. Was verbindet Sie mit Entwicklungspolitik?
Das Thema begeistert mich seit meiner Jugend. 1988 habe ich meinen ersten entwicklungspolitischen Kongress organisiert. Das war, als Carl-Dieter Spranger Entwicklungsminister wurde, wir waren die junge Truppe um ihn herum, die ihn damals unterstützt hat. Entwicklungspolitik war damals wie heute ein Herzensthema junger Leute. Im Übrigen: 90 Prozent der Bevölkerung halten Entwicklungspolitik für ein spannendes und wichtiges Thema. Diese Zustimmung müssen wir in der Politik noch erreichen.
Sie sprechen sich für die Stärkung bäuerlicher Familienbetriebe und die Schaffung regionaler Wertschöpfungsketten aus. Bedeutet das den Abschied vom Schulterschluss mit der Agroindustrie, für den sich ja Ihr Vorgänger Dirk Niebel (FDP) starkgemacht hat?
Bauern und bäuerliche Familien sind die Grundlage des Wirtschaftens und Seins, der Landschaft, der Ernährung, des Ressourcenschutzes. Das war vor 200 Jahren in Deutschland nicht anders. Es gab keine Agrarfabriken, losgelöst von Besitz und Scholle, sondern Bauern und Bäuerinnen, die über Jahrhunderte ihr Stück Land gehegt und gepflegt haben. Damals ist auch der Begriff Nachhaltigkeit in der Land- und Forstwirtschaft entstanden. Auf dieser Basis müssen wir auch Entwicklungspolitik im Sektor Landwirtschaft gestalten. Es ist für mich unglaublich, dass die ärmsten unter den 800 Millionen Hungernden und Unterernährten auf der Welt im Wesentlichen Kleinbauern und ihre Familien sind. Das müssen und können wir ändern.
Wie soll das gehen?
Indem wir die vorhandenen Potenziale insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent in Partnerschaft entwickeln. Meine Philosophie ist, den Kleinbauern Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie zum Beispiel über den Genossenschaftsgedanken Strukturen entwickeln, die lebens- und marktfähig sind. Dazu gehört auch das Thema Kreditfähigkeit und Steigerung der Produktivität. Die Potenziale an Boden, Wasser und Land sind vorhanden, dass Afrika und die Welt sich ernähren können, dass niemand hungern muss. Wir müssen sie aber entwickeln, und dazu ist die erste und wichtigste Grundlage der Transfer von Bildung, Wissen und Knowhow.
Bleiben wir bei Afrika: Viele dort wünschen sich - auch mit Blick auf die aktuellen Krisenherde - ein stärkeres deutsches Engagement ...
Das BMZ ist das Afrikaministerium. Wir setzen dort über die Hälfte unserer Gesamtmittel in operativen Programmen um. Bei allen Krisen und Herausforderungen ist Afrika ein Chancen-Kontinent. Die Bevölkerung Afrikas wächst doppelt so schnell wie die Lateinamerikas oder Asiens. Schon 2025 wird einer von vier jungen Menschen dieser Welt aus der Subsahara-Region kommen. Es geht darum, dieser Generation Perspektiven zu bieten. Deshalb ist Afrika für uns bereits ein Schwerpunkt.
Uganda macht im Moment mit seinem extrem harten Anti-Homosexuellen-Gesetz Schlagzeilen. Einige europäische Länder haben deshalb ihre Hilfe gestoppt. Wie reagiert Deutschland?
Wir haben das Gesetz scharf missbilligt und fordern Uganda auf, sich auf den internationalen Standard der Menschenrechte zu besinnen. Ich habe sämtliche Projekte auf den Prüfstand gestellt. Solche, die wir mit Partnerorganisationen durchführen, sollten wir nicht stoppen. Das würde die Menschen unmittelbar treffen.
Wird die Konditionierung der Hilfe, also etwa die Orientierung an der Einhaltung von Menschenrechten, künftig eine größere Rolle spielen?
Das spielt jetzt schon eine große Rolle. Konditionierung ist wichtig. Good Governance, Kampf gegen Korruption, Menschenrechte, demokratische Strukturen, Gleichberechtigung der Frau - das sind die grundlegenden Standards, auf die wir hinarbeiten. Leider sind in vielen Staaten diese Standards nicht im europäischen Sinne umgesetzt. Aber die Lösung kann auch nicht sein, dass wir allen Ländern, die diese Standards nicht erfüllen, die Zusammenarbeit aufkündigen. Es geht in erster Linie um die Menschen. Wir dürfen keinen abseits stehen lassen. Ich kann nicht Menschen von Zusammenarbeit und Hilfe ausschließen, weil an der Spitze korrupte Diktatoren oder Staatsführer stehen. Aber ich kann die Zusammenarbeit mit Regierungen aufkündigen und dafür Nicht-Regierungsorganisationen stärken.
Sie wollen die Unternehmen stärker in die Verantwortung nehmen, um Menschenrechte und Sozialstandards sicherzustellen. Wie soll das funktionieren?
Keiner, auch nicht die Wirtschaft, kann sich in unserer globalisierten Welt seiner Verantwortung entziehen. Kluges Wirtschaften bedeutet heute nachhaltiges Wirtschaften und das setzt sich auch immer mehr bei den Konsumenten durch. Wir wollen wissen, unter welchen Bedingungen unsere Lebensmittel und unsere Kleidung hergestellt werden. Deshalb steht für mich Fair Trade auf meiner politischen Agenda ganz oben. Wir wollen Licht ins Dunkel von Gütesiegeln bringen. Das ist im allerbesten Sinne Entwicklungspolitik. Wir müssen uns fragen, ob die Produkte, die wir konsumieren, unter fairen Bedingungen hergestellt wurden.
Ihr Amtsvorgänger Dirk Niebel war ja für viele der Mann mit der umstrittenen Fallschirmjäger-Mütze, seinem Markenzeichen. Was ist Ihr Markenzeichen?
Niebel hat seine Verdienste. Die Mütze aber war ein absolut falsches Symbol, sie stand für Militarismus. Entwicklungszusammenarbeit steht für das Gegenteil: Sie setzt auf Frieden, Kooperation, Krisenbewältigung.
Und Ihr Markenzeichen?
Das ist der partnerschaftliche Handschlag und eine werteorientierte Entwicklungspolitik.