Beitrag vom 21.03.2014
EurActiv.de
UNO-Expertin: Keine nachhaltige Entwicklung ohne "checks and balances"
Patrick Timmann
In Berlin wird dieser Tage an der Nachfolge-Agenda für die Millennium-Entwicklungsziele gefeilt. Bis zur Finalisierung im September 2015 ist es noch ein weiter Weg, doch steht jetzt schon fest: Die Dreh- und Angelpunkte für nachhaltige Entwicklung sind Demokratie und Rechtsstaat. Ohne gute Regierungsführung wird die Post-2015-Agenda scheitern.
Die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) laufen 2015 aus. Längst nicht alle gesteckten Ziele wurden erreicht - trotzdem brütet die internationale Gemeinschaft seit 2012 über einer Nachfolge-Agenda, die weitergehende Entwicklungsziele und das Prinzip der Nachhaltigkeit miteinander vereinen soll. Am Donnerstag und Freitag (20.-21. März) ist Berlin Austragungsort der neusten Verhandlungsrunde: Das Entwicklungsministerium (BMZ) und das UNO-Entwicklungsforum (UN DCF) laden gemeinsam zu Gesprächen über die Neuausrichtung der globalen Entwicklungsziele. Zu Gast bei dem "hochrangigen Treffen" ist auch Amina Mohammed, Sonderberaterin des UNO-Generalsekretärs, beauftragt mit der Entwicklungsplanung für die Zeit nach 2015. Am Vorabend spricht die erfahrene Entwicklungsexpertin vor Studenten der Hertie School of Governance. Eines schickt die gebürtige Nigerianerin dabei gleich vorweg: "Die MDGs haben funktioniert." Wäre das nicht so, dann würde jetzt niemand über Nachfolgeziele sprechen, ist sie überzeugt.
Die Menschen misstrauen den Helfern
Schönreden will Amina Mohammed dennoch nichts. Aus ihrem breiten Fundus an Erfahrungen - allein seit 2000 beriet sie drei verschiedene nigerianische Präsidenten in Entwicklungsfragen - berichtet sie von den immensen Schwierigkeiten, die ihr bei der Umsetzung der MDGs begegneten. Von wirkungslosen Impfkampagnen und von Bildungsprogrammen, die ihren Namen nicht verdienten. Sogar auf den ersten Blick erfolgreiche Projekte erwiesen sich bei der Probe aufs Exempel als problematisch. Mohammed schildert das Misstrauen, dass ihr beim Besuch in einem nigerianischen Dorf entgegenschlug: Die Regierung hatte mit Entwicklungsgeldern einen Brunnen gebohrt, der der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht. Doch die Menschen wollten das saubere Wasser nicht trinken - weil es ihnen zu klar war. "Was ist los mit dem Wasser?" hätten die Menschen Mohammed gefragt. "Normalerweise ist es rot, was habt ihr hereingetan?" wollte ein Hirte wissen. Noch nicht einmal seinem Vieh wollte er das saubere Wasser zumuten. Erst nachdem sich Mohammed demonstrativ ein Glas mit dem Brunnenwasser füllte und es trank, ließen sich er und die anderen Dorfbewohner überzeugen.
"Top-down funktioniert nicht"
Für die UNO-Sonderberaterin ist deshalb klar, wovon der Erfolg der zukünftigen Entwicklungsziele abhängt: Alle Betroffenen müssen in die Umsetzung von Entwicklungs-Maßnahmen einbezogen werden. "Top-down funktioniert nicht", erklärt Mohammed. Zuerst müsse man herausfinden, was die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen vor Ort seien. Und dann müsse man alle relevanten nationalen, regionalen und lokalen Institutionen einbinden, um die Ziele umzusetzen. Auf Letzteres, nämlich das "Durchtröpfeln" der Hilfsmaßnahmen durch alle institutionellen Ebenen und unter Einbezug aller relevanten Akteure, legt Amina Mohammed besonderen Wert. Denn, erklärt sie, auf diese Weise transformierten sich die Institutionen gleich mit. Und das wiederum sei eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Hans-Joachim Fuchtel vom BMZ bestätigt diese Einschätzung. "Damit der neue globale Zielkatalog erfolgreich wird, müssen Staat, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft bestmöglich zusammenarbeiten. Die Ziele müssen messbar und nachprüfbar sein, damit sie von allen mitgetragen werden", sagt der Parlamentarische Staatssekretär.
Demokratie und Rechtsstaat sind Reizwörter
Funktionieren könne dieser Ansatz allerdings nur, wenn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als erklärte Ziele in der Post-2015-Agenda verankert werden. Entwicklungshilfe müsse transparent sein und die Betroffenen müssten für das Gelingen mit in die Verantwortung gezogen werden. "Als die Leute begriffen, jemand würde kommen und ihnen über die Schulter schauen, erfüllten sie die Abmachungen", erzählt Mohammed. Es brauche "checks and balances". Leider seien diese beiden Begriffe - Demokratie und Rechtsstaat - noch immer Reizwörter und hätten das Potential, die MDG-Nachfolgeverhandlungen zum Stillstand zu bringen. "Sie müssen sich vor Augen halten, dass wir es hier mit 193 UNO-Mitgliedern zu tun haben. Die müssen alle zustimmen." Doch laut Mohammed wachse unter den Partnern allmählich die Einsicht, dass die transformative Wirkung guter Regierungsführung unumkehrbar und die Mühen wert sei. Wichtig sei nun, die MDG-Nachfolger-Agenda mit nicht zu vielen, dafür aber konkreten Zielen zu füllen, betont die Sonderberaterin. Die MDGs seien eine Erfolgsgeschichte, weil man sich auf 8 Ziele geeinigt hatte. Beim Abstecken des zukünftigen Entwicklungsrahmenwerks habe man dagegen "ungefähr 150" Ziele identifiziert, berichtet Mohammed. Inzwischen liege der Fokus nur noch auf 19 Zielbereichen. Sie hoffe jedoch, dass es am Ende höchstens 10 werden, "denn ganz im Ernst: Alles, was darüber hinausgeht, interessiert die Politiker nicht und gerät in Vergessenheit."
Verhandlungsmarathon bis September 2015
Die Ergebnisse des Symposiums in Berlin dienen der Vorbereitung des ersten Ministertreffens der "Globalen Partnerschaft für wirksame Entwicklungskooperationen", das im April in Mexiko stattfinden wird. Seit 2003 werden von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern regelmäßig Foren über die Effektivität der Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt, zuletzt in Accra (2008) und in Busan (2011). Ebenso fließen die Ergebnisse in die DCF-Plenarsitzung ein, die der UNO-Wirtschafts- und Sozialrat im Juli 2014 in New York ausrichten wird. Im September wolle die "Offene Arbeitsgruppe" der Vereinten Nationen der Generalversammlung einen Zielkatalog präsentieren. Parallel dazu arbeite eine Arbeitsgruppe an einem Finanzierungsrahmen. Der Generalsekretär werde dann versuchen, beide Stränge in einem Bericht miteinander zu verflechten, skizziert Mohammed die nächsten Schritte. Dieser Bericht bilde dann die Basis für die Verhandlungen neun Monate später. "Im September 2015 werden wir dann das Endergebnis haben. Davon bin ich absolut überzeugt", sagt Mohammed. Aber ob die Agenda auch ambitiös genug wird, um angemessen auf die Herausforderungen und Komplexität dieser Welt zu reagieren, wage sie nicht abzuschätzen.