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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 10.03.2014

euractiv.de

Entwicklungspolitik

Interview mit Volker Seitz

"Kongolesen müssen Schippe selbst in die Hand nehmen"

Der Kongo erhält wieder dreistellige Millionenbeträge von der EU. Dies sei eine völlig falsche Politik, sagt Volker Seitz im Interview mit EurActiv.de. "Kongolesen müssen die Schippe selbst in die Hand nehmen, statt immer auf Hilfe von außen zu warten", so der Ex-Diplomat und fordert von der Bundesregierung einen kritischeren Umgang mit Hilfsgeldern.

Zur Person

Volker Seitz von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, unter anderem bei der EU in Brüssel, in Japan, Armenien und 17 Jahre in Afrika in 7 Ländern. Von 2004 bis zum Ruhestand 2008, Leiter der Botschaft in Jaunde, Kamerun.

Volker Seitz gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches "Afrika wird armregiert", welches im April 2014 in siebter Auflage bei dtv erscheint.
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EurActriv.de: EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs stattete letzte Woche dem Kongo und Ruanda einen Besuch ab. Mit im Gepäck hatte er Hilfszusagen im Umfang von insgesamt über einer Milliarde Euro. Sie sagen, Ruanda hätte das Geld verdient, der Kongo hingegen nicht. Warum?

SEITZ: Wer den Afrikanern wirklich helfen will, täte gut daran, an Eigenleistungen der Betroffenen zu appellieren. An erster Stelle sollten - wie in Ruanda - eigene Ideen und nicht die Fremdförderung stehen. In den Genuss unserer Solidarität sollte der Kongo nur gelangen, wenn nachweislich alle Anstrengungen unternommen werden, die Schwierigkeiten selbst zu beseitigen. Es muss eine Kultur der Selbsthilfe und Eigenverantwortung herrschen. Die Regierung des Kongo sollte mehr Stolz zeigen und selbst Antworten auf die unzähligen Probleme des Landes finden. Der Kongo ist an menschlichen und natürlichen Ressourcen reich. Kein anderes Land hat es mit seinen Naturreichtümern so gut getroffen wie der Kongo. Kongolesen müssen die Schippe selbst in die Hand nehmen, statt immer auf Hilfe von außen zu warten.

EurActiv.de: Besteht nicht die Gefahr, dass ein härteres Auftreten gegenüber der kongolesischen Regierung zu einer Isolierung und "Burgmentalität" wie in Robert Mugabes Simbabwe führt?

SEITZ: "Korruption hat immer katastrophale soziale Folgen: An die Stelle von fairer Verteilung und demokratischer Verfahren setzt sie Intransparenz, Stärkung der Starken und Schwächung der Schwachen" sagt Peter Eigen, der Gründer von Transparency International. Ich halte es für verfehlt deshalb Beschwichtigungspolitik zu betreiben und Verständnis für angebliche afrikanische Besonderheiten und Empfindlichkeiten aufzubringen. Allerdings sollten wir wissen, dass Kritik an den gegenwärtigen Zuständen nur langsam zu Veränderungen führen wird; sie müssen ohnehin aus der afrikanischen Gesellschaft kommen.
 
EurActiv.de: Angenommen westliche Staaten packten Kongos Regierung härter an - wie soll verhindert werden, dass nicht einfach ein Land wie China mit Entwicklungshilfe in die Bresche springt und sich damit einen privilegierten Zugang zu Kongos Bodenschätzen verschafft?

SEITZ: Im Kongo gibt es eine breite Palette zivilgesellschaftlicher Organisationen, getragen von engagierten, klugen, mutigen, zumeist jungen Leuten. Auch wenn ihr Einfluss auf das politische Establishment noch gering ist, erwarten sie von uns, dass endlich ehrliche Antworten auf unangenehme Fragen gegeben werden - etwa auf die Frage wem in Afrika wirklich geholfen wurde. Man kann die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nicht weiter ignorieren. Nur wenn die Realität ungeschminkt benannt wird, lässt sich Glaubwürdigkeit wiederherstellen. Die mehr und mehr ans Tageslicht getretenen Fehlentwicklungen werden systematisch ignoriert oder wenigstens klein geredet. Anfang Oktober 2013 wurde bekannt, dass im Kongo mindestens eine Milliarde Euro an Steuergeldern versickert sind. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy versuchte, Nachrichten über die Verschwendung von EU-Steuergeldern herunterzuspielen und sorgte sich um das Image der EU Kommission.

Die Aktivität Chinas macht immer mehr Afrikaner besorgt. Vor kurzem hat der Chef der Zentralbank von Nigeria, Lamido Sanusi, in der Financial Times Peking Kolonialpolitik vorgeworfen. Seiner Meinung nach gilt China immer noch irrtümlicherweise als Entwicklungsland, und die Länder Afrikas vertrauen ihm mehr als dem Westen, obwohl es lange keine Gründe mehr dafür gibt. Der Nutzen der Partnerschaft mit China sei öfters zweifelhaft. Die Infrastrukturprojekte Chinas in Afrika werden mit den Händen von chinesischen Arbeitern umgesetzt und nicht denen der örtlichen Einwohner. Somit werden keine neuen Arbeitsplätze für die Afrikaner geschaffen. 

EurActiv.de: Bis im Herbst will die Bundesregierung eine neue Afrikastrategie formulieren. Welches sind ihre Kernforderungen dafür?

SEITZ: Das Afrikakonzept sollte in Richtung einer realistischen und kritischeren Politik als bisher gehen. Die afrikanische Eigenverantwortung und endlich auch die Kontrolle der Wirksamkeit und Effizienz der eingesetzten Mittel sollten im Vordergrund stehen. Der Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen, Rechtstaatlichkeit und Regierungsführung, Umweltschutz und vor allem Bildung sollten künftig eine zentrale Rolle spielen. Auch sollte jede Unterstützung gegeben werden, dass afrikanische Staaten die Krisen auf dem Kontinent in Zukunft selbst lösen können oder wollen. Die afrikanische Seite muss befähigt werden, Krisen selbstständig zu lösen und dabei die gesamte Bandbreite an Konfliktlösungsinstrumenten einzusetzen. Würde das funktionieren, wäre dies die beste Garantie für Stabilität und eine nachhaltigere Entwicklung.

Wir brauchen Konzepte für verschiedene Regionen. Die Probleme im Sahel sind andere als etwa im Süden Afrikas. Aber "Effektive Politikdialoge" - wie sie immer wieder gefordert werden -, habe ich leider als völlige Alibiveranstaltungen erlebt. Diese Dialoge helfen nur dann, wenn die Machthaber Interesse an Reformen haben. Dann brauchen sie aber keine Ratschläge von ausländischen Botschaftern. Wir sollten Programme, die nicht von den Regierungen unterstützt werden, nicht weiterführen. Wenn wir endlich eine unabhängige Wirkungskontrolle unter deutscher parlamentarischer Kontrolle hätten, dann kämen wir vermutlich zu dem Schluss, dass wir manche Regierung ihren eigenen Ideen überlassen sollten.

Interview: Patrick Timmann