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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 18.03.2013

Neue Zürcher Zeitung

Statistik in Afrika südlich der Sahara

«Statistische Tragödie»

sgr. Die britische Wochenzeitung «The Economist» hat Afrika auf ihrer Titelseite im Jahr 2000 als einen «hoffnungslosen Kontinent» klassifiziert. «Bedauerlicherweise», wie die Zeitung über eine Dekade später ihre Meinung revidierte. Im April 1997 veröffentlichten die amerikanischen Wissenschafter William Easterly und Ross Levine eine Studie über «Afrikas Wachstumstragödie». Seitdem hat das wirtschaftliche Wachstum durchschnittlich zwischen 5 und 6% pro Jahr zugelegt, die Armutsstatistik für den Kontinent ist etwa um einen Prozentpunkt pro Jahr rückläufig - auf dem Papier. «Die eigentliche Tragödie ist die ‹statistische Tragödie›, weil wir nicht sicher sein können, dass diese Angaben korrekt sind», schreibt Shanta Devarajan, Chefökonom der Weltbank für die Region Afrika.

Wie fehlerhaft und damit eingeschränkt aussagekräftige Schätzungen zur Wirtschaftslage eines Landes sein können, das zeigte sich im November 2010, als das nationale Statistikamt von Ghana ankündigte, die Berechnung des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu überarbeiten. Diese Revision führte zu einem Anstieg des ghanesischen BIP um 60% - was den Rückschluss erlaubt, dass bei früheren Modellrechnungen eine wirtschaftliche Tätigkeit in Höhe von rund 13 Mrd. $ ausser acht gelassen wurde. Das aufgezeichnete Wachstum war statistischer Natur, aber nicht real, wie Wirtschaftshistoriker Jerven Morten erklärt.

Morten hat für eine Studie 47 Länder in der Region südlich der Sahara untersucht und festgestellt, dass nur zehn der analysierten Länder ein Basisjahr zur Schätzung des BIP nutzen, welches weniger als zehn Jahre zurückliegt. Darunter ist auch Südafrika, welches das S in der Gruppe der wirtschaftlich aufstrebenden Länder der Brics - Brasilien, Russland, Indien, China und eben Südafrika - beisteuert. In vielen Ländern Afrikas südlich der Sahara findet das nationale Statistikamt eher stiefmütterliche Beachtung. «Ich habe Fälle erlebt, wo der zuständige Minister nicht einmal von der Verantwortung seines Ministeriums für das nationale Statistikamt wusste», erklärt Devarajan gegenüber der britischen BBC.

Nigeria könnte Südafrika bald dicht auf den Fersen sein. Für dieses Jahr hat das nationale Statistikamt eine Anpassung des Basisjahres von 1990 auf das Jahr 2008 angekündigt. Die Aktualisierung könnte das BIP um 40%, von 273 auf 382 Mrd. $, steigern. Und damit möchte die nigerianische Regierung auch ein Zeichen setzen - des Fortschritts - und nicht das Klischeebild von Armut bedienen. Südafrika verzeichnet ein reales BIP von 420 Mrd. $. Die ökonomische Annäherung Nigerias an Südafrika könnte dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas südlich der Sahara auch politisch mehr Gewicht verleihen. Morten spekuliert gar über einen permanenten Sitz im Uno-Sicherheitsrat für Nigeria, sollte ein afrikanisches Land nominiert werden.

Anders in Ländern, für die die internationale Hilfe enorm wichtig ist, weil ein Teil des nationalen Haushalts darüber gedeckt wird. Denn eine Voraussetzung der internationalen Geberorganisationen wie der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds (IMF), die Empfängerländer erfüllen müssen, sind schwache makroökonomische Daten. Das BIP bestimmt die Einkommensklassifizierung eines Landes bei den Geberinstitutionen. «Wenn ein Land als arm eingestuft ist, dann kann dieses beispielsweise Darlehen mit günstigeren Bedingungen beantragen», erläutert Jerven.

In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Malawis beispielsweise zählt Entwicklungshilfe für einen Drittel des Budgets. Morten nennt weiter Tansania, Kenya und Rwanda - Länder in Afrika südlich der Sahara, die nicht über grosse Erdölvorkommen für den Export verfügen. Daten zum Export sind mehrheitlich gut aufgezeichnet. Doch fehlt es an weiteren verlässlichen Wirtschaftsindikatoren wie beispielsweise den Arbeitslosenquoten. Jerven stimmt Devarajan zu: «Wir haben schlichtweg keine Ahnung, ob die Volkswirtschaften in der Region südlich der Sahara wachsen.»