Beitrag vom 26.11.2012
Financial Times Deutschland
Agenda:Aus der Traum
Jatropha galt als die neue Wunderpflanze der Biosprit-Industrie. Fonds warben Millionen für Plantagen in Afrika ein. Doch die Projekte scheitern, das Geld ist weg - und die wertvolle Frucht wird zum Sinnbild für verkorkste Landinvestitionen auf dem Schwarzen Kontinent. Ein Besuch in Mosambik.
von Andrzej Rybak Chimoio
Das also ist geblieben vom Traum, dass diese Pflanze die Spritprobleme unseres Planeten lösen könnte: eine alte Lagerhalle, in der ein halbes Dutzend Frauen auf dem Boden hocken. Sie tragen blaue Arbeitskittel und bunte Kopftücher, brechen mit ihren Händen geschickt kastaniengroße Früchte auf und pulen aus jeder drei unscheinbare Nüsse heraus. Die wertvollen Jatropha-Nüsse. Sie landen auf einem Haufen und werden in Säcke verpackt, die nutzlosen Hülsen nach draußen gekehrt und verbrannt.
Die Lagerhalle gehört der Biosprit-Firma Sun Biofuels, die in Zentralmosambik eine Jatropha-Plantage betreibt. Vor fünf Jahren hat sich die britische Investmentfirma eine Konzession für rund 10.000 Hektar Land nahe der Stadt Chimoio gesichert. Die Briten wollten im großen Maßstab die Brechnuss anbauen, bekannt unter ihrem lateinischen Namen Jatropha. Das hochwertige Öl der Nüsse eignet sich hervorragend als Diesel-Beimischung oder Flugzeugkerosin.
Sun Biofuels und seine Anleger hatten große Pläne: Langfristig wollten sie jährlich bis zu zehn Millionen Liter Jatropha-Öl produzieren und nach Europa und Japan exportieren, in all die Länder, die mit Biokraftstoffen ihre CO2-Bilanz verbessern wollen. Stattdessen kämpft Sun Biofuels Mozambique ums Überleben. Der Traum von der rettenden Pflanze scheint ausgeträumt zu sein.
Afrika, das ist für viele Regierungen und Unternehmen, für Vermögensverwalter und Staatsfonds der Kontinent der Verheißung: Weltweit steigen die Nahrungsmittelpreise, der Bedarf an Biokraftstoffen wächst - und in Afrika liegen mehr als die Hälfte der landwirtschaftlich nicht genutzten Flächen der Erde. Mindestens 35 Millionen Hektar südlich der Sahara sind heute schon an Investoren verpachtet, rechnet die Weltbank. Andere Schätzungen belaufen sich auf bis zu 134 Millionen Hektar.
Neben Äthiopien, dem Sudan und Madagaskar zieht Mosambik besonders viele Investoren an, zwischen 2004 und 2009 hat die Regierung in der Hauptstadt Maputo rund 2,7 Millionen Hektar für Agrarprojekte zu Verfügung gestellt. Sie hofft, dass dank neuer Technologien die Produktivität im lange vernachlässigten Agrarsektor steigt, dass Arbeitsplätze geschaffen werden und die Infrastruktur ausgebaut wird.
Doch das Geschäft mit dem Boden entwickelt sich vielerorts zum Desaster. Menschenrechtsaktivisten und Entwicklungshelfer sprechen vom Landraub und der Neokolonialisierung des Schwarzen Kontinents. In Äthiopien und dem Südsudan zum Beispiel stehen Agrarprojekte in der Kritik, weil Kleinbauern vertrieben werden. In Mosambik unterschätzen viele Investoren schlicht, wie komplex dieses Geschäft ist. Ihnen fehlt Erfahrung in der Landwirtschaft oder das notwendige Kapital, um die Anlaufzeit zu überbrücken. Am Ende verlieren das Land und die Anleger. Wie bei der Jatropha-Pflanze.
Der Hype um die Nuss war in den Industrieländern vor knapp zehn Jahren ausgebrochen. Die Biokraftstoffpolitik der EU und der Beimischungszwang in Deutschland trieben die Nachfrage nach Pflanzenölen und Bioethanol nach oben. Die Schattenseite: Neue Palmölplantagen bedrohten den Regenwald. Zuckerrohr, Raps und Mais nahmen den Menschen wertvolles Ackerland. Da brachte die Biosprit-Lobby die neue Wunderpflanze ins Spiel: Jatropha. In den Medien wurde sie schon als "Grünes Gold" gefeiert, als "Superkraut" und "Aschenputtel-Pflanze", denn sie wächst auf nährstoffarmen Böden, trat also nicht in Konkurrenz zu den anspruchsvollen Nahrungspflanzen. "Fast blind haben sich viele Investoren auf ein Gewächs gestürzt, von dem niemand wusste, wie es industriell angebaut wird", sagt Shawne Botha, der südafrikanische Manager der Sun-Biofuels-Plantage in Chimoio.
Bothas bescheidenes Farmhaus ist von Feldern umgeben, von kilometerlangen geraden Reihen, in denen die kleinen Jatropha-Bäumchen wachsen und an ihren Zweigen walnussgroße grüne Früchte. Etwa vier Millionen Bäume hätten sie in vier Jahren gepflanzt, sagt Botha. "Aber wir werden wohl noch zwei bis drei Jahre auf einen Gewinn warten müssen." Es stimme zwar, dass die Pflanze mit wenig Wasser auskomme und auch Dürreperioden überstehen kann. Doch wenn nicht genug Wasser da ist, gibt es wesentlich weniger Früchte, und der Ölertrag fällt sehr gering aus. Wie in diesem Jahr, in dem der Sommer keinen Regen brachte.
Neue Anbaumethoden? Optimiertes Saatgut? Ausgefeilte Erntetechnik? Nichts davon gibt es bislang. "Wir nutzen immer noch die wilden Samen, wie sie im Busch vorkommen", sagt der Südafrikaner. Denn gezüchtetes Saatgut oder Setzlinge, die den Ertrag und Ölgehalt der Nüsse um gut 50 Prozent erhöhen könnten, werden erst in Laboren getestet. Auch beim Anbau und der Frage wie dicht die Bäume eigentlich nebeneinaner stehen dürfen, gibt es bislang nur Schätzungen und Experimente.
Doch an Experimenten sind die Anleger nicht interessiert. Vor einem Jahr ließen sie Sun Biofuels UK fallen, das Biosprit-Unternehmen meldete Konkurs an. Die Jatropha-Farmen in Äthiopien und in Tansania machten dicht, die Tochterfirma in Mosambik wurde an den Investmentfonds Highbury Finance verkauft. Seitdem kämpft die Chimoio-Plantage ums Überleben. "Die Leute vergessen, dass Jatropha mindestens vier bis fünf Jahre braucht, um nennenswerte Erträge zu erbringen", schimpft Botha. Sun Biofuels hat in die Plantage mindestens 10 Mio. Euro investiert, behauptet das Unternehmen auf seiner Website. "Soll das alles umsonst sein?", fragt Botha.
Um das Projekt zu retten, will er nun auf einem brachliegenden Teil der Plantage Mais und Soja anbauen, um schnell Einnahmen zu generieren, die er in Jatropha umleiten könnte. Interesse am Öl aus der Pflanze ist weltweit vorhanden. Auch die Deutsche Lufthansa ließ sich für ein Biokraftstoffprojekt bereits aus Chimoio beliefern. Farmmanager Botha ist überzeugt, dass er mit der Brechnuss spätestens in zwei Jahren Geld verdienen könnte - wenn er denn die Zeit bekommt.
Bei der Konkurrenz ist das Bild noch viel düsterer. Von den rund 30 genehmigten Jatropha-Projekten in Mosambik kommen zwei Drittel gar nicht voran oder sind bereits pleite. Die lokalen Gemeinden, die sich über neue Arbeitsplätze gefreut haben, sind verärgert, und das Land liegt weiter brach. Wie bei der Firma Elaion Africa und ihrer deutschen Muttergesellschaft.
"Wir haben 700.000 Euro in Sand gesetzt", sagt Mirko Hörmann, Vorstandschef der Elaion AG im nordrhein-westfälischen Werne. "Unsere Aktionäre waren sehr enttäuscht." Elaion hat rund 1000 Hektar Land in der Region Beira gepachtet, um Jatropha anzubauen. Man rodete einen Teil des Buschs, legte eine Baumschule und Testfelder an. Als Hörmann aber merkte, dass die Pflanze die erhofften Erträge nicht erbringt, zog er die Notbremse. "Wir haben das Risiko unterschätzt", sagt er heute. "Ich konnte meinen Anlegern nicht mehr Geld abverlangen für ein Projekt, mit dem heute noch niemand Geld verdient." Nun will Hörmann seine Pachtrechte an einen südafrikanischen Investor verkaufen, der auf dem Land Eukalyptus anbauen will.
Doch auch bei Projekten ausländischer Investoren mit Eukalyptus und Zuckerrohr, deren industrieller Anbau seit Jahrhunderten betrieben wird, gibt es reiheweise Probleme. Schuld sind auch hier krasse Fehlplanung, fehlende Fachkenntnis, mangelnde Finanzkalkulation. Oft kommen Überheblichkeit und Gier hinzu. Während des weltweiten Konjunkturbooms vor fünf Jahren legten Hunderte Fonds und Investmentgesellschaften Projekte in Afrika auf, wobei sie den Anlegern eine Rendite von bis zu 30 Prozent versprachen. Alles musste schnell gehen.
Als die Finanzkrise 2008 ausgebrochen war, ging das Geld aus. Die Investoren konnten sich kein neues beschaffen und können es bis heute nicht. Im mosambikanischen Dombe etwa installierte der Investmentfonds Principle Energy bereits Bewässerungsanlagen und pflanzte Felder mit Zuckerrohr - für eine Fabrik reichte das Geld dann nicht mehr. Seit drei Jahren vergammeln die süßen Stängel neben dem Feld, weil niemand sie verarbeiten kann.
Viele Anleger und Investorengruppen schrecken nicht nur vor dem Risiko zurück, sie haben auch Angst um ihr Image. Denn Landinvestments in Afrika sind in Verruf geraten. Niemand will von Umweltschutzgruppen und Menschenrechtsaktivisten als "Landräuber" abgestempelt werden. "Die Landrechte sind in den meisten Fällen nicht registriert", sagt Manuell Passar von der Bürgerrechtsorganisation Forum Terra in Chimoio. "Immer wieder werden so einheimische Bauern von ihrem Land verdrängt." Und Vanessa Cabanelas, Umweltschützerin von Justicia Ambiental, in der Hauptstadt Maputo fragt: "Ist das moralisch zu verantworten, dass Ausländer Energiepflanzen anbauen, wenn die Bevölkerung nicht genug zu essen hat?"
Die Aktivisten ziehen mit ihrer strickten Ablehnung Kritik auf sich. Ousmane Badiane, Afrika-Direktor beim International Food Policy Research Institute in Washington sagt, es gebe "gar keinen Beweis, dass die auf Export fokussierten Agrarprojekte schlecht für die Nahrungssicherheit sind." Es gebe dagegen viele Beweise für das Gegenteil: "Der Input kommt den Erzeugern der heimischen Nahrungsmittel zugute." Und Mirko Hörmann, Chef der in Mosambik gescheiterten Elaion AG, fragt, was wohl passiere, wenn die europäsche Wirtschaft auf Landprojekte in Afrika verzichtet. Dann, sagt er: "werden sich die Chinesen das Land unter den Nagel reißen. Denen sind die Rechte und der Wohlstand der Afrikaner wirklich egal."
Jatropha-Farmer Botha steht auf der Terasse seines Hauses und schaut hinaus auf die Plantage: "Dieses Land lag brach", sagt er. "Es würde weiter brachliegen, wenn wir hier nichts pflanzen würden." Sun Biofuels sei nichts vorzuwerfen, sagen die Verantwortlichen bei der Bürgerrechtsorganisation in Chimoio. Kein Landraub, keine Ausbeutung. Und tatsächlich gibt es in Mosambik etwa 36 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbare Fläche und auf nur zehn Prozent davon wird etwas angebaut.
Die Menschen in den Gemeinden um Bothas Plantage wünschen sich, dass das Projekt doch noch ein Erfolg wird. "Auf der Jatropha-Farm kann ich dreimal so viel verdienen wie mit dem Mais von meinem Feld", sagt Paurino Cussamua, der im kleinen Laden an der Hauptstraße Öl und Reis kauft. "Seitdem es die Farm gibt, setze ich mehr um", sagt die Ladenbesitzerin, Argentina Vitor Antonio. Ein Nachbar hat sein Haus renoviert, ein anderer neue Möbel gekauft. "Die Plantage treibt die Wirtschaft an."