Beitrag vom 06.08.2011
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http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,778571-2,00.html
Sterben in Somalia
Sechs Schritte gegen die Hungersnot
von Klaus Thüsing
Somalia im Chaos: Hunger und Bürgerkrieg sind die Folgen einer verfehlten Strategie des
Westens -und die Nothilfe kann die Probleme nicht lösen. Dazu braucht es größere
Anstrengungen. Der Entwicklungsexperte Klaus Thüsing fordert einen Sechs-Punkte-Plan für das
Land am Horn von Afrika.
Da hat der zuständige Ressortminister Dirk Niebel im "heute-journal" des ZDF die Gelegenheit, der Öffentlichkeit ausführlich zu erklären, wie die Bundesregierung auf die Hungerkatastrophe in Somalia und im Länderdreieck von Somalia, Kenia und Äthiopien reagiert. Welchen Beitrag leistet sie, den betroffenen Menschen zu helfen? Mit welcher Politik sollen Hungerkatastrophen angegangen werden? Wie kann man schließlich sogar Somalia befrieden?
Aber Niebel nutzt die Chance nicht, die Antworten des Ministers bleiben im Ungefähren. Er verweist auf den finanziellen Beitrag der Bundesrepublik. Eigentlich nur bescheidene 30 Millionen Euro, doch durch die trickreiche Addition des deutschen Anteils an EU- oder Uno-Hilfsprogrammen werden nun stolze 100 Millionen Euro daraus - Mittel, die unabhängig von der aktuellen Lage ohnehin zugesagt waren.
Auch seine weiteren Ausführungen künden nicht von einem bedeutenden, spürbaren Engagement der Bundesregierung.
Folgen des deutschen Pragmatismus
In der akuten Notlage spricht der Minister vom mittel- und längerfristigen Ansatz und verweist auf den besonderen Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) - so wie es im Koalitionsvertrag festgelegt ist. Man fördert die Entwicklung der ländlichen Räume. Da dieser Schwerpunkt so ganz neu nicht ist, müssten sich wenigstens in Kenia und Äthiopien, beide Schwerpunktländer des deutschen Engagements, Früchte dieser Arbeit zeigen.
Die Erfolge sind dennoch sehr marginal.
Was mit Sicherheit auch am deutschen Politikpragmatismus liegt: Die finanziellen Beiträge der deutschen Seite werden nahezu konditionslos den korrupten Strukturen der Gastländer überantwortet. "Umsatz" nennt das die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) als offizielle Entwicklungsagentur der Bundesregierung. Hauptsache, die Mittel fließen ab.
Die Zerschlagung des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) durch Eingliederung in die GIZ nimmt der deutschen EZ die letzte konkrete Verankerung in den Zielländern. Dabei wäre die Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume in Kenia und Äthiopien tatsächlich von größter Wichtigkeit, nicht nur bei Bewältigung der Dürrefolgen, sondern auch in deren Wahrnehmung einer aktiveren Rolle in der Flüchtlingsproblematik und der Lösung der Probleme in Somalia.
Der Westen hat die Katastrophe mitverursacht
Europa und die USA haben einen erheblichen Anteil an der Lage, in der sich Somalia und seine geschundene Bevölkerung befinden und deren schreckliche Wirklichkeit uns augenblicklich Tag für Tag vor Augen geführt wird:
· Die früheren Kolonialmächte England und Italien nutzten und verschärften die Konflikte und Rivalitäten zwischen den Clans nach dem Prinzip "Teile und herrsche!" Das belastete seit der Unabhängigkeit im Jahre 1960 den Zusammenhalt des Landes, obwohl Somalia im Gegensatz zu fast allen anderen Staaten Afrikas nur von einer Ethnie bewohnt wird.
· Die Bundesregierung hat sich unter der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt nach der Befreiung der Lufthansa-Maschine "Landshut" aus der Hand von Terroristen auf somalischem Boden durch die GSG 9 beim damaligen Diktator Siad Barre auch mit erheblichen Waffenlieferungen bedankt. Siad Barre verschärfte daraufhin seinen Unterdrückungskurs, was zu einer Allianz der Clans und 1991 zum Sturz des Diktators führte. Die Kriegskoalition der Clans zerbrach danach sehr bald; die Folge waren politische Anarchie, Bürgerkrieg und schon damals eine erste Massenflucht, besonders aus Mogadischu nach Kenia, wo das Flüchtlingslager Dadaab entstand.
· Der Uno-Sicherheitsrat beschloss 1992 zu intervenieren. Die - im Wesentlichen von den USA getragene - Interventionsstreitmacht Unosom sollte die Versorgung der notleidenden Bevölkerung gewährleisten. Die Mission "Restore Hope", an der auch die Bundeswehr beteiligt war, endete schon Ende 1993 mit der Entscheidung des neugewählten US-Präsidenten Bill Clinton (gegen den erklärten Willen des Uno-Generalsekretärs Boutros Ghali), die US-Truppen zurückzuziehen, nachdem der Mob zwei getötete US-Soldaten durch Mogadischu geschleift hatte. Diese Entscheidung war der Beginn einer desaströsen Afrika-Politik der Clinton-Administration. Eine Neuauflage der Unosom 1995 scheiterte ebenfalls schon nach kurzer Zeit.
· Die vom Westen installierte somalische Zentralregierung konnte den Staatszerfall nicht aufhalten. Während sich der Norden des Landes abspaltete als "Somaliland" und sich eine weitere Nordregion als "Puntland" für unabhängig erklärte, konnten mehrere ab 2000 ausgehandelte Übergangsregierungen wegen mangelnder Legitimation und Interessengegensätzen nur immer einen begrenzten Einfluss gewinnen und mussten in Baidoa, weit westlich von Mogadischu, residieren. Auf der anderen Seite etablierte sich die "Union islamischer Gerichte", der es gelang, über die Clanstrukturen hinaus eine gewisse islamistisch geprägte innere Ordnung wiederherzustellen, was weite Teile der Bevölkerung begrüßten.
Gesprächsmöglichkeit verpasst
Hier hätte sich wahrscheinlich eine Gesprächsmöglichkeit auch mit dem Westen über die Zukunft Somalias angeboten. Stattdessen setzten vor allem die USA weiter auf die schwache Übergangsregierung und ermunterten Äthiopien nach Angriffen radikaler Gruppen der Union auf die auch von Äthiopien unterstützte Übergangsregierung, 2006 in Somalia einzumarschieren, um die "Union islamischer Gerichte" zu vertreiben, was besonders in Mogadischu gelang.
Doch nach zwei Jahren einer Teilbesetzung und verwüsteten Landstrichen war die Folge die Geburt der radikalislamischen Schabab-Milizen, die seitdem das Land terrorisieren. Die 2007 nach Mogadischu übergesiedelte provisorische Regierung beherrscht heute nicht einmal die Hauptstadt vollständig und kann sich nur mit Hilfe der von der AU organisierten Interventionsstreitmacht Amison mit ihren inzwischen 9000 Soldaten an der Macht halten.
Ein weiterer Faktor, der die Lage verschärft, wird gerne vergessen: Die Veränderungen des globalen Klimas sind ebenfalls zu einem erheblichen Teil menschengemacht. Extreme Dürreperioden, Veränderungen im Kalender der Monsun-Niederschläge - die Hungernden sind auch Opfer des Klimawandels. Und dieser Klimawandel ist zu einem großen Teil von den Industriestaaten verursacht.
Was tun? Sechs konkrete Schritte
Insgesamt sind in den Dürregebieten etwa zehn Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Kenia und Äthiopien haben selbst kaum Reserven, weil die Entwicklung der Landwirtschaft vernachlässigt wurde und die weltweit auch in Folge von Spekulation drastisch gestiegenen Preise für Nahrungsmittel die Anlage von Notvorräten nicht zuließen.
Die leidenden Menschen aber haben ein Menschenrecht, ernährt zu werden.
Das verlangt nach Angaben des World Food Programme (WFP) allein in den nächsten zwölf Monaten die Mobilisierung von 1,6 Milliarden Dollar. Die Politik und die internationalen Hilfsorganisationen tun noch immer überrascht, dabei hätte man von der Katastrophe rechtzeitig wissen können - spätestens, als im April auf den Märkten die einheimischen Produkte zur Neige gingen.
Frühe Warnungen gab es zum Beispiel vom Netzwerk Famine Early Warning Systems; beachtet wurden sie nicht, bis Fernsehbilder von verhungernden Menschen um die Welt gingen. Abgesehen von den Menschen, die im zerstörten Mogadischu Zuflucht gesucht haben, ist das Schicksal von inzwischen über 400.000 Hungerflüchtlingen im kenianischen Dadaab besonders dramatisch - aktuell und wegen ihrer Perspektivlosigkeit. Die Regierung in Nairobi weigert sich strikt, den Flüchtlingen eine Lebensperspektive in Kenia selbst zu geben, weil eine Störung der ohnehin schon fragilen ethnischen Struktur befürchtet wird.
Was also tun?
Wenn sich in Somalia selbst nicht Grundlegendes ändert, wird sich die Weltgemeinschaft darauf einrichten müssen, etwa eine Million Hungerflüchtlinge längerfristig zu ernähren. Was also tun - ganz konkret?
· In Somalia selbst bleibt nur die Unterstützung der fragilen Übergangsregierung in Mogadischu - die dringend eine breitere Legitimation benötigt - und auch eine Unterstützung der Amison-Soldaten. Es gilt, Territorien von der Schabab zurückzugewinnen. Illusionär ist wohl die Hoffnung auf Gespräche mit sogenannten gemäßigten Gruppen der Schabab-Milizen. Bisher wurden diese Gruppen nicht entdeckt.
· Um die notleidenden Menschen in den von der Schabab kontrollierten Gebieten im Süden Somalias erreichen zu können, muss man die Kanäle der wenigen Hilfsorganisationen offen halten, die trotz allem noch im Herrschaftsbereich der Schabab arbeiten.
· Dann lassen sich schließlich noch die Strukturen einheimischer Händler und Geschäftsleute nutzen, auch wenn ein Teil der Hilfsgüter den Weg zu den Bedürftigen nicht findet.
· Vorbereitet werden muss die Zeit nach der Dürre mit Zuchttieren, Saatgut, Dünger, landwirtschaftlicher Beratung. Es werden außerdem Pläne für die Bewältigung der nächsten Dürre gebraucht, die bestimmt kommt.
· Ewig wird auch die Herrschaft der Schabab-Milizen nicht dauern. Ihre finanzielle Basis könnte empfindlich getroffen werden, wenn die Mission "Atalanta" nicht nur der Abwehr von Piratenangriffen dienen würde, sondern auch der Zerstörung der Infrastruktur der Piraten.
· Inzwischen sollten die Menschen in den Flüchtlingslagern nicht nur überleben, sondern durch Bildung und Ausbildung auf eine mögliche Rückkehr vorbereitet werden. Hier eröffnet sich für die GIZ ein wichtiges Aufgabenfeld - konkret und jenseits des üblichen "Umsatzes".
Die Flüchtlinge aus Somalia selbst könnten in den Lagern eine wichtige Erfahrung machen, die für die Zukunft Somalias entscheidend ist: Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist nur von untergeordneter Bedeutung, wir sind alle Somalier.
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Klaus Thüsing ist Sozialwissenschaftler und war von 1977 bis 1983 Abgeordneter der SPD im Bundestag. 16 Jahre lang fungierte er als Landesdirektor des Deutschen Entwicklungsdienstes - in Kenia, Ghana, Botswana, Lesotho und Südafrika. Seit 2007 leitet er das Deutsch-Afrikanische Zentrum in Bonn.