Beitrag vom 19.07.2011
FAZ
Südafrika
Wettstreit der Demagogen
Mit dem Winter beginnt die Streiksaison in Südafrika. Die scharfe Rhetorik des Chefs der ANC-Jugendbewegung Julius Malema heizt die überhöhten Forderungen der Gewerkschaften zusätzlich an.
Von Thomas Scheen, Johannesburg
Es grenzt an ein Ritual, wenngleich ein ausgesprochen lästiges: Jedes Jahr im Winter beginnt in Südafrika die Streiksaison. Gerade haben die Metallarbeiter nach zwei Wochen Arbeitsniederlegung eine zehnprozentige Lohnerhöhung durchgesetzt - das ist mehr als doppelt so hoch wie die Inflationsrate von gegenwärtig knapp vier Prozent. Die Arbeiter und Angestellten der chemischen Industrie, zu der auch die Raffinerien des Landes zählen, fordern gar 13 Prozent mehr Lohn.
Ihr seit einer Woche andauernder Streik hat dazu geführt, dass jede zweite Tankstelle im Wirtschaftszentrum Gauteng inzwischen kein Benzin mehr hat. Die wenigen Tanklastwagen, die noch unterwegs sind, fahren unter Polizeischutz. Südafrika droht ein Versorgungsstillstand. Beim staatlichen Energiekonzern Eskom steht die Forderung von 20 Prozent mehr Lohn im Raum und es ist zu befürchten, dass sich spätestens im August die öffentlichen Angestellten wie jedes Jahr aufmachen, es dem privaten Sektor gleichzutun. Das führt gewöhnlich dazu, dass sich der Müll wochenlang in den Straßen türmt.
Die Arbeitgeber bieten, wie zum Beispiel im Fall der chemischen Industrie, jeweils Lohnerhöhungen von bis zu sieben Prozent an, was immer noch deutlich über der Inflationsrate liegt, doch die Gewerkschaften stellen sich bislang stur. Die Arbeitsausfälle haben sich inzwischen zu Millionen von Stunden addiert. Arbeitgeberverbände reden von einer "Stop-and-go"-Wirtschaft, die längst zu einem massivem Vertrauensverlust insbesondere bei ausländischen Kunden geführt habe. Dass die Prognose der Regierung, die südafrikanische Wirtschaft werde in diesem Jahr um 3,6 Prozent wachsen, noch einzuhalten ist, glaubt nicht einmal mehr die Regierung selbst.
Zielscheibe der Gewerkschaften
Trotzdem schweigt Präsident Jacob Zuma, obwohl die nicht enden wollenden Streiks und die überzogenen Lohnforderungen Gift sind für sein selbsterklärtes Ziel, mehrere hunderttausend neue Arbeitsplätze allein in diesem Jahr zu schaffen. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall und es stellt sich die Frage, inwieweit Zuma eigentlich die regierende Koalition aus Gewerkschaften, kommunistischer Partei und dem "African National Congress" (ANC) noch unter Kontrolle hat.
In den Lohnforderungen spiegelt sich ein Machtkampf innerhalb dieser Regierungsallianz um die künftige wirtschaftspolitische Ausrichtung Südafrikas wider. Zuma vertritt die von seinem Vorgänger Thabo Mbeki eingeschlagene wirtschaftsliberale Politik, die an Armutsbekämpfung durch Wachstum und ein investitionsfreundliches Klima glaubt. Damit ist er Zielscheibe der Gewerkschaften geworden, die seit geraumer Zeit nicht zuletzt deshalb einen massiven Linksruck betreiben, um nicht in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.
Dahinter steckt ein Mann, der ob seiner kruden Thesen bislang bestenfalls belächelt wurde, der mit seiner linken Rhetorik inzwischen gleichwohl nicht nur den ANC, sondern auch die Gewerkschaften vor sich her treibt und nach Einschätzung der veröffentlichten Meinung im Land längst die politische Agenda bestimmt: Julius Malema, der Präsident der einflussreichen Jugendorganisation des ANC.
Malema hat es vermocht, seine Forderung nach einer Verstaatlichung der Bergwerkindustrie, dem größten Devisenbringer des Landes, zu einem nationalen Thema zu machen und damit ein Bild an die Wand zu projizieren, das viel Ähnlichkeit mit dem bankrotten Zimbabwe hat. Bergbauministerin Susan Shabangu sagte zwar, eine Verstaatlichung dieser so wichtigen Industrie werde nur "über meine Leiche" geschehen, woraufhin Malema sich in der ihm eigenen flegelhaften Weise über die Ministerin lustig machte. Zuma hingegen blieb selbst dann noch in der Deckung, als Wirtschaftsverbände und Banken ihm vorrechneten, dass Malemas Ideen das Land inzwischen vermutlich einige Milliarden Rand ausländischer Direktinvestitionen gekostet hätten.
Das vorläufige Resultat
Davon völlig unbeeindruckt fordert Malema inzwischen auch die Verstaatlichung der Banken, weil er das "Kapital" als "Feind der Volksmassen" identifiziert haben will. Ganz nebenher bezeichnet er jeden weißen Landbesitzer als "Kriminellen", was angesichts der schier uferlosen Gewalt auf den südafrikanischen Farmen getrost als Aufruf zum Lynchmord betrachtet werden kann.
Doch die Volksmassen hören dem Demagogen nicht nur zu, sondern stimmen mit seinen Ansichten auch überein, weil sie anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende des Apartheidregimes immer noch so arm wie vorher sind. Dass der selbsternannte Rächer der Enterbten den Lebensstil eines Millionärs pflegt und sich gerade im weißen Nobelviertel Sandton in Johannesburg ein Haus für umgerechnet 1,6 Millionen Euro bauen lässt (wobei die Herkunft dieses Geldes ungeklärt ist), stört offenbar niemanden. Das vorläufige Resultat der Hasstiraden Malemas ist jedenfalls, dass sich die Gewerkschaften genötigt sehen, immer schärfere Töne anzuschlagen, um von ihm nicht links überholt zu werden. Der Dreißigjährige ist inzwischen so mächtig, dass sich auch Zuma vor ihm hüten muss.