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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 15.06.2010

Spiegel Online

Kenia
Wo Korruptionsfahnder um ihr Leben fürchten
Von Horand Knaup, Nairobi

Viele Milliarden Dollar Entwicklungshilfe sind nach Kenia geflossen - und in die Taschen der jeweiligen Herrscher. Eine britische Journalistin hat jetzt ein Buch über den mutigen Ermittler geschrieben, der das System aufdeckte - und aus Angst um sein Leben aus Afrika floh.
In Nairobi gab es das Buch nur unter dem Ladentisch, die Buchhändler bekamen deutliche Warnungen und unfreundliche Hinweise, jetzt ist es auf Deutsch erschienen. "Jetzt sind wir dran", heißt das Werk der britischen Journalistin Michela Wrong, die den Kampf des kenianischen Korruptionsbekämpfers John Githongo nachgezeichnet hat.
Githongo wurde 2003 nach dem Wahlsieg von Mwai Kibaki zum General des Kampfes gegen die Korruption berufen. Es war zu einer Zeit, als alle Welt dachte, Kibaki würde sein Land kräftig durchlüften, energisch die Armut bekämpfen, die Korruption angehen und Kenia so zu neuer Blüte zu verhelfen.
Doch die Hoffnung trog. Nach nur wenigen Monaten war der Elan dahin, auch Kibaki und seine Helfer, insbesondere vom Stamm der Kikuyu, füllten sich die Taschen. Sie taten es ohne jedes Unrechtsbewusstsein, genau wie es die Eliten jahrzehntelang zuvor getan hatten.
"Jetzt sind wir dran", hieß das Motto - und heißt es heute noch.
Je weiter Githongo recherchierte, desto sumpfiger wurde das Terrain. Veruntreute Gelder, milliardenteure Einkäufe ohne Ausschreibung und Kontrollen, dafür mit klebrigen Zwischenhändlern und dubiosen Briefkastenfirmen. Die Mechanik war kompliziert, aber ungeheuer ertragreich. Allein der sogenannte Anglo-Leasing-Skandal, eine Ansammlung überteuerter, fragwürdiger und überflüssiger Einkäufe, kostete das Land 750 Millionen Dollar. Immer wieder waren bekannte kenianische Politgrößen beteiligt.
Und der Präsident deckte sie.
Geschmeidiges System von Geben und Nehmen
Als Githongo, der alle seine Informationen aufgezeichnet, manche Gespräche mit bestechlichen Ministern sogar heimlich mitgeschnitten hatte, begriffen hatte, dass Präsident Kibaki nicht mehr hinter ihm stand, floh er schließlich nach London. Das System hatte ihn bezwungen, er fürchtete um sein Leben.
Bisweilen schweift Michaela Wrong weit ab von ihrem eigentlichen Thema, kritisiert die Naivität der Geber und bezweifelt den Sinn einer stetig steigenden Entwicklungshilfe. Sie tut es zurecht, denn natürlich stellt sich die Frage: Wo versickert all das Geld in einem Land, das inzwischen mehr Hilfsgelder bekommen hat, als ganz Westeuropa nach 1945 aus dem amerikanischen Marshallplan?
Doch ihr Ausholen wird kaum langatmig, denn zum einen liefert sie quasi beiläufig ein anschauliches Soziogramm der kenianischen Gesellschaft und politischen Kultur, zum anderen ist es höchst aufschlussreich, wie sich schon Kibakis Vorgänger Daniel arap Moi die Gebergemeinde gefügig machte. Auch er soll den kenianischen Steuerzahler um Milliarden betrogen haben.
So drängt sich am Ende der Lektüre die bittere Frage auf: Wie lange soll eine srkupelfreie Regierung, die sich im bestehenden System von Geben und Nehmen eingerichtet hat, noch milliardenschwer alimentiert werden?