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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 12.05.2010

Handelsblatt
ENTWICKLUNGSÖKONOMIE
Der Stadtplaner als Welt-Retter

Der US-Ökonom Paul Romer will mit Retortenstädten die Entwicklungshilfe revolutionieren. Nicht besiedelte Gebiete in Entwicklungsländern sollen zu staatenlosen Sonderzonen, so genannten "Charter Cities", werden. Romer verspricht sich davon eine ungeahnte Wachstumsdynamik, Kritiker bezeichnen ihn als "Neokolonialist".

von Johannes Pennekamp
KÖLN. Nobelpreisträger Paul Krugman adelte ihn einst als "einen der einflussreichsten Theoretiker". Heute muss sich Paul Romer, Mitbegründer der neuen Wachstumstheorie, für seine ungewöhnlichen Reformvorschläge zur Entwicklungshilfe von Kritikern als "Neokolonialist" beschimpfen lassen. Ein Autoritätsverlust, der für den Top-Ökonom nicht unerwartet kommt: "Ich habe mit harscher Kritik gerechnet", sagt Romer, "aber ich verbringe meine Zeit lieber damit, zu versuchen, die Welt zu verbessern."
Das Konzept des 54-Jährigen ist radikal und so einfach, dass man kein Wirtschaftsstudium braucht, um es zu verstehen: Der Stanford-Ökonom will Entwicklungsländer dazu bewegen, nicht besiedelte Gebiete in staatenlose Sonderzonen umzuwandeln, in denen am Reißbrett geplante Retortenstädte entstehen sollen.
Polizei, Behörden und Institutionen sollen mit Hilfe westlicher Partnerländer verwaltet werden und für Rechtssicherheit sorgen. Romer ist überzeugt, dass diese Rechtssicherheit als Anschubinvestition ausreicht. Menschen und Investoren würden dann von alleine in die von ihm als "Charter Cities" bezeichneten Städte ziehen und in Entwicklungsländern eine ungeahnte Wachstumsdynamik auslösen.
"Die Adaption effektiver Regeln hat das Potenzial, das menschliche Wohlergehen dramatisch zu verbessern", ist Romer überzeugt. Menschen könnten in sicherer Umgebung arbeiten, ihre Kinder auf gute Schulen schicken und von Rechtsstaatlichkeit profitieren.
Die neuen Städte könnten so zu Vorbildern und Wachstumsmotoren für die jeweilige Region werden. Der Vorschlag, dass westliche Partnerstaaten in den Sonderzonen über Gesetze und Regeln wachen, bringt Romer den Vorwurf ein, koloniale Strukturen schaffen zu wollen. Für den Ökonom ein Missverständnis: Der Kolonialismus hätte benachteiligten Menschen Freiheiten genommen. In die Charter Cities könnten Menschen dagegen freiwillig ziehen.
Hinter seinem Konzept steht die wissenschaftliche Erkenntnis, dass sich Institutionen und Rechtssysteme in schlecht regierten Ländern nur sehr schwer aus sich selbst heraus wandeln können. Darum will Romer in den künstlichen Metropolen von vorneherein neue Strukturen schaffen: Verlässliche Regeln, keine Korruption und verbesserte Infrastruktur sind für den Wachstumstheoretiker, der regelmäßig zu den Anwärtern auf den Wirtschaftsnobelpreis gezählt wird, die Grundvoraussetzung für Investitionen und höheres Bildungsniveau.
Wird Romer nach Beispielen gefragt, die zeigen, dass sein Konzept funktionieren könnte, nennt er Hongkong: Unter britischem Einfluss hätten sich in der chinesischen Sonderverwaltungszone Regeln und Marktstrukturen etabliert, die für Wachstum gesorgt hätten. Als China begonnen habe, sich ebenfalls für den Markt zu öffnen, sei Hongkong das Vorbild gewesen. Charter Cities auf Kuba oder in Indien könnten ähnliche Vorreiterfunktionen besitzen, ist Romer überzeugt.
Obwohl die Retortenstädte bislang nur auf dem Papier existieren, diskutieren Wirtschaftswissenschaftler auf beiden Seiten des Pazifiks darüber, ob Romers Konzept tatsächlich aufgehen könnte. Matthew Kahn, Ökonomie-Professor an der UCLA-Universität in Los Angeles, ist überzeugt, dass wegen der politischen Sicherheit viele wachstumsstimulierende Direktinvestitionen in die neuen Metropolen fließen würden. Zu bedenken sei aber auch, dass begabte und gut ausgebildete Menschen die umliegenden Regionen in Richtung Retortenstädte verlassen würden.
Welche Konsequenzen das für diese Regionen hätte, ist unter Ökonomen umstritten: Während der sogenannte Brain-Drain, also die Abwanderung kluger Köpfe, lange Zeit als eines der Hauptprobleme von Migration angesehen wurde, mehren sich heute Stimmen, die von einem Brain-Gain sprechen, also einem Nutzen aus der Abwanderung, der zum Beispiel darin besteht, dass in den Abwanderungsregionen mehr in Bildung investiert wird. Auf Grundlage dieser Logik kommt Kahn auf Romers Webseite (www.chartercities.com) zu dem Schluss, dass der Abwanderungsdruck in der Umgebung auch dort zu höherem Einkommen und besserem Bildungsniveau führen würde.
Unterstützung erhält Romer auch von den Forschern Noel Maurer von der Harvard Business School und Kris James Mitchener von der Hoover Institution, einer Denkfabrik, die an die Universität Stanford angegliedert ist. Sie behaupten, dass Entwicklungsländer ihre Einkünfte steigern können, wenn die Regierungen bereit sind, bestimmte Verwaltungsaufgaben abzugeben.
Sie berufen sich auf Beispiele aus Afrika: Nachdem Angola die Verantwortung für die korrupte Zollverwaltung an ein britisches Non-Profit-Unternehmen abgegeben habe, hätten sich die Zolleinnahmen innerhalb weniger Jahre verdreifacht. Vergleichbare Erfolge, nämlich höhere Einnahmen durch Fremdverwaltungen, seien in Mosambik, Lettland und dem Kosovo zu beobachten.
Und auch deutsche Wissenschaftler können sich für Romers Ideen erwärmen. Der Göttinger Professor Stephan Klasen zählt zu den führenden deutschen Entwicklungsökonomen. Ihm gefällt, dass Romers Konzept die größten in Studien nachgewiesenen Entwicklungshemmnisse mit einem Schlag lösen will, "zum Beispiel schlecht funktionierende Institutionen und niedriges Kompetenz- und Ausbildungsniveau". Aus demselben Grund hält Stefan Klonner, Professor für Entwicklungsökonomie an der Frankfurter Goethe-Universität, das Konzept "modelltheoretisch für eine brillante Idee".
Doch beide sehen auch die Grenzen von Romers Retortenstädten. Klasen vermisst die Voraussetzungen für ein Wachstum, von dem auch die ärmsten Bevölkerungsschichten profitieren: "Dafür muss Wachstum auch in arbeitsintensiven Sektoren stattfinden, das sehe ich bei den Charter Cities nicht."
Darüber hinaus ließen sich westliche Strukturen und Regeln in einem Entwicklungsland nicht so einfach übertragen. Die Menschen dort hätten ein anderes Verhalten gelernt. Romers Vorstellung, die kubanische Schattenwirtschaft durch ein "städtisches Paralleluniversum" aushebeln zu können, hält Klasen für "gewagt bis nicht durchführbar". Ökonom Klonner fürchtet, dass die Idee schon daran scheitern kann, weil Staaten nicht freiwillig Machtmonopole abgeben und Landstriche in fremd verwaltete Sonderzonen umwandeln würden.
Dass die Charter Cities unter Wissenschaftlern trotz zahlreicher ungeklärter Fragen auf breites Interesse stoßen, liegt nicht nur an Romers Renommee als Ökonom, sondern auch daran, dass die Zahl der Wissenschaftler steigt, die klassische Entwicklungshilfe für gut gemeint, aber schädlich halten: Die Sambierin Dambisa Moyo, Harvard-Absolventin und ehemalige Investmentbankerin, beklagt in ihrem Buch "Dead Aid", dass direkte Finanzhilfen in Subsahara-Ländern Armut, Abhängigkeiten und korrupte Strukturen festigen, anstatt sie zu beseitigen.
Regierungen reagieren positiv auf Romers Konzept
Moyo fordert ein Ende solcher Hilfen und plädiert stattdessen unter anderem für einen fairen Handel mit den Entwicklungsländern, der derzeit durch Exportsubventionen in den Industrieländern behindert werde. Ähnliche Thesen vertritt der New Yorker Entwicklungsökonom William Easterly. Der provozierende Titel seines Bestsellers: "Wir retten die Welt zu Tode". Easterly hat sich mit Romers Charter-Cities-Konzept auseinandergesetzt.
Ob sie sich, wie Romer behauptet, zu einer wirklichen Alternative zur klassischen Entwicklungshilfe entwickeln könnten, lässt er offen. Easterly bescheinigt Romer, dass er sich mit seinen Vorschlägen auf einem schmalen Grat zwischen Revolution und Wahnsinn bewege.
Romer wird auch dieses Urteil nicht kümmern. Zurzeit tourt er mit seinen Ideen durch die Welt und erntet großes Interesse bei Regierungen und internationalen Institutionen, wie er sagt. Seine Lehrtätigkeit an der Stanford Graduate School hat er inzwischen aufgegeben. Er hat derzeit Größeres im Sinn.

Entwicklungshelfer

Der Ökonom Paul Romer zählt zu den Begründern der endogenen Wachstumstheorie. Diese kritisiert die Annahmen der neoklassischen Wachstumsmodelle, wonach technischer Fortschritt und Arbeitskräfte als Faktoren außerhalb der modelltheoretischen Wirtschaft gelten. Romer und seine Kollegen dagegen sind überzeugt, dass Arbeitskräfte ebenso wie technische Innovationen Teil des Produktionsprozesses sind. Die Unternehmen verschaffen sich durch Erfindungen zunächst Wettbewerbsvorteile und werden später von Konkurrenten imitiert. Dadurch entsteht das endogene Wachstum. Der heute 54-Jährige stellte bereits 1990 dazu sein Modell vor.

Das Konzept: Romer will Brachflächen von Entwicklungsländern in staatenlose Sonderwirtschaftszonen umwandeln. Westliche Partnerländer sollen dort beim Aufbau von Institutionen und Rechtssicherheit helfen. Arbeitskräfte aus der Region und Investoren aus dem Ausland kämen dann von allein.

Kommentare dazu:

Günter Nooke
Wir brauchen eine ehrliche Dabatte über Afrika und die Erfolge und Misserfolge bisheriger Entwicklungszusammenarbeit. Angesichts der Probleme zähle ich dazu auch unorthodoxe und politisch heute angeblich völlig illusionäre Ideen, wie wir es besser machen könnten. Keiner der Vorschläge wird als alleiniges Rezept funktionieren.
Bei den "Charter Cities" von Paul Romer geht es weniger um Beton, als um klare Regeln für das Zusammenleben und private Investitionen. Ich war geschockt, das ein Hauptargument der Wissenschaft und Politikberatung in Deutschland dagegen war: Keine Chance auf Realisierung, und Wenn die Chinesen wollen, dann sollen sie die Regeln setzen. Zeigt nicht gerade die Finanz- und Eurokrise, wie schnell Dinge möglich werden, wenn nur die Probleme zum Handeln zwingen. Könnte es sein, dass auch manche Probleme in Afrika größer sind, als wir wahrhaben wollen, nur eben noch nicht - ja fast im wörtlichen Sinne - vor der europäischen Haustür stehen. Müsste die Politikberatung nicht Mut machen zu offenen Diskussionen, anstatt der Politik zu erklären, wozu sie, die Politiker, sowieso nicht in der Lage sind. Insofern freue ich mich, dass es Menschen wie Paus Romer gibt.
Günter Nooke

13.05. Volker Seitz
Wer in Afrika gelebt hat, weiß dass die bisherige Entwicklungshilfe Afrika schwächt. Sie verhindert aktiveres Tun der afrikanischen Eliten. Deshalb Schluß mit Hilfen die die Lethargie fördern. Dass Afrika Entwicklungshilfe braucht ist eine Erfindung von Hilfsorganisationen, die davon leben. Sie hämmern uns immer wieder ein, wie unabdingbar sie sind. Warum also nicht die das Konzept Romers in einem Pilotprojekt auf Herz und Nieren überprüfen.Schlimmer kann es nicht werden. An Geld sollte es nicht fehlen, denn Mittel für Entwicklungshilfe sind -anders als immer wieder behauptet- reichlich vorhanden.
Was in dem Artikel zu Brain Gain geschrieben steht ist nach meinen Erfahrungen in 17 Jahren in Afrika Unsinn. Wo wird denn in Abwanderungsregionen mehr in Bildung investiert? Das fundamentale Problem Afrikas die Bildung wird von nur sehr wenigen afrikanischen Regierungen (Ruanda, Botswana, Mosambik und Senegal) ernsthaft in Angriff genommen. Erst wenn die Regierungen -wie versprochen- 20 % ihres nationalen Budgets in Bildung investieren wird sich etwas ändern. Heute geben die afrikanischen Staaten südlich der Sahara nach UNESCO Angaben nur 10-15 % des Weltdurchschnitts für staatliche Bildungseinrichtungen aus. Dabei kenne ich kein Problem Afrikas, das nicht direkt oder indirekt auf die fehlende Bildung zurückzuführen wäre.
Volker Seitz Botschafter a.D. und Autor des Buches "Afrika wird armregiert"