Beitrag vom 11.01.2009
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Wer helfen will, muss Einfluss nehmen
Auch Entwicklungspolitik ist Machtpolitik. Das ist nicht unlauter, deshalb sollte sich Europa offen dazu bekennen
Von Günter Nooke
Die Entwicklungszusammenarbeit der vergangenen fünf Jahrzehnte gilt als wenig erfolgreich. Viele Entwicklungsländer sind bei der Armutsbekämpfung kaum oder gar nicht vorangekommen. Besonders für die meisten Länder in Afrika gibt es wenig Aussicht auf eine selbsttragende Entwicklung. Instabilität und schwere Menschenrechtsverletzungen sind eher die Regel als eine Ausnahme. Selbst Modellländer deutscher Entwicklungszusammenarbeit wie Kenia sind fragil. In Ländern mit vermeintlicher Stabilität, wie in Ruanda, basiert sie auf einem diktatorischen System, und da, wo scheinbar alle wichtigen Rahmenbedingungen erfüllt sind, wie in Tansania, kommt die Armutsbekämpfung auch nicht wirklich voran.
Das zeigt: Ein friedliches und menschenwürdiges Zusammenleben kann nicht "von oben", sondern nur "von unten" stabilisiert werden. Für die Einhaltung elementarer Menschenrechte sind lokale Machtstrukturen, stabile Staaten und das Funktionieren regionaler Kulturräume unerlässlich. Wenn solche Strukturen fehlen oder zerstört werden, können sie nicht durch internationale Missionen, engagierte Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen oder finanzielle Zuwendungen an schwache, oft korrupte Regierungen oder lokale Verwaltungen ersetzt werden. Jedes Land kann sich nur selbst entwickeln.
Europäische Entwicklungszusammenarbeit fördert "Projekte" oder leistet Budgethilfe. Geber konkurrieren miteinander und können gegeneinander ausgespielt werden. Hilfe zur Selbsthilfe und eine Entwicklungszusammenarbeit "von unten" findet kaum statt. Das führte vielfach dazu, dass Präsidenten, Regime und "Eliten" gefördert wurden, die mit Härte und Kälte nur ihre eigenen Interessen verfolgten und denen das Schicksal ihrer Völker gleichgültig war.
Die wesentlichen Pfeiler für den Frieden sind Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte. Dazu gehören: ein völkerrechtlich gesichertes, friedliches Umfeld, stabile staatliche und lokale Strukturen, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung, eine aktive Zivilgesellschaft und demokratische Wahlen. Ein Problem der Entwicklungszusammenarbeit besteht darin, alles für gleich wichtig zu erachten. Doch vieles braucht Zeit und kann nur nacheinander erreicht werden.
Demokratische Wahlen zum Beispiel, so unverzichtbar sie für das Funktionieren von Gesellschaften sind, setzen Homogenität eines Volkes, den freien Zugang zu Medien und eine unabhängige Zivilgesellschaft voraus. All das ist aber in ethnisch vielfältigen Ländern und erst recht in einem unsicheren, durch Bürgerkriege und ethnische Konflikte geprägten Umfeld nicht vorhanden. Damit Wahlen nicht als pseudodemokratisch wahrgenommen werden und Demokratie grundsätzlich diskreditieren, müssten sie demnach nicht am Anfang, sondern am Ende von Umgestaltungsprozessen stehen.
Es hilft also wenig oder schadet sogar, wenn die EU bei der Wählerregistrierung hilft, den Wahlvorgang überwacht, sich jedoch anschließend zurückzieht und das Land sich selbst überlässt. Es ist zwar immer sinnvoll, durch Entwicklungszusammenarbeit die Zivilgesellschaft zu stärken. Es korrumpiert oder frustriert aber die Aktivisten, wenn auf die staatliche Ebene wenig Einfluss genommen werden kann und sich auf Dauer keine Verbesserungen zeigen. Regierungen erhalten oft leichter internationale Unterstützung und können sich an der Macht halten, wenn ihre Bevölkerung arm, ungebildet und unselbständig bleibt. Sie lassen zu, dass junge Eliten das Land verlassen und besser ausgebildete Menschen Arbeit im Ausland suchen. Deren Rücküberweisungen an die Familien helfen, die größte Not zu lindern, und stabilisieren so auch die jeweils Mächtigen. Gerade viele Regierungen in Afrika verhalten sich machtpolitisch höchst rational, weil in diesen Gesellschaften keine freien Medien, keine aktive Zivilgesellschaft oder nur wenige Menschen existieren, die sich aktiv an nationalen Debatten beteiligen können.
Das Reden von der Partnerschaft mit Afrika braucht darum einen messbaren Erfolg. Dieser Erfolg hängt nur zu einem geringeren Teil vom Geld ab. Die Ausgaben für Entwicklungshilfe zu erhöhen ist bestenfalls eine Gewissensberuhigung für westliche Gesellschaften und ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Entwicklungsorganisationen, wenn nicht die Art der Zusammenarbeit verändert wird. Ziel muss es sein, in den nächsten zwei Jahrzehnten einige Länder Afrikas in den Weltmarkt zu integrieren, um sie somit für junge, aufstrebende Menschen aus Afrika attraktiv zu machen. Nur eine selbsttragende Wirtschaftsentwicklung und politische Stabilität werden den Ländern Afrikas eine weltweit anerkannte Rolle verschaffen.
Einen allgemein richtigen Weg dorthin gibt es nicht. Jedes Land wird seine spezifische Entwicklung nehmen müssen. Negative Erfahrungen und die Diskussionen der letzten Jahrzehnte zeigen aber, was generell kontraproduktiv ist. Budgethilfen sollten nicht an korrupte Regierungen und Staatschefs gegeben werden, weil davon bei den Bedürftigen nur wenig ankommt. Sie generell abzulehnen wäre aber genauso falsch. Voneinander relativ unabhängige Ein- oder Zweijahresprojekte von verschiedenen Gebern sollten nicht unkoordiniert, ohne Nutzenkontrolle und vor allem in gegenseitiger Konkurrenz vergeben werden. Oft kommen immer neue Berater aus den Hauptstädten nur alle ein, zwei Jahre ins Land und verhandeln darüber, wie das vorgesehene Geld sinnvoll untergebracht werden kann, obwohl die Absorptionsfähigkeit der Länder für Projekte, die das deutsche oder europäische Haushaltsrecht zulassen, schon lange begrenzt ist.
Das Hauptproblem liegt in einem politischen Grundansatz, im falschen Credo: Man wolle nur helfen und nicht Einfluss nehmen. Die Geberländer und insbesondere die EU sollten ihre Zielsetzungen ehrlicher formulieren und Partnerschaft neu definieren. Auch Entwicklungspolitik hat wie jede Politik, die ernst gemeint ist und erfolgreich sein will, mit Macht und Einflussnahme zu tun.
Gerade Menschenrechtsorganisationen fordern verstärkt, Gelder an Bedingungen zu knüpfen. Damit ist nichts anderes gemeint, als mit den westlichen Geldern politischen Einfluss auszuüben. Humanitäre Hilfe darf keine Bedingungen stellen und muss unabhängig von jeder Art von Einflussnahme gewährt werden. Aber Entwicklungshilfe sollte nicht ohne die genannten grundsätzlichen Zielvereinbarungen - dauerhafte Sicherheit, selbsttragende Entwicklung und elementarer Menschenrechtsschutz - gezahlt werden.
Zudem: Erfolgreiche Entwicklungspolitik braucht langfristige Zusammenarbeit, die Partnerschaft als gegenseitige Verantwortung versteht. Sie besteht nicht darin, dass die eine Seite sagt, was die andere zu tun hat. Sie funktioniert aber auch nicht, wenn der eine fordert, was mit dem Geld des anderen zu geschehen habe. Vielmehr braucht es überprüfbare Abkommen der Zusammenarbeit, die es zulassen, über sinnvolle Projekte, auch Großprojekte, gemeinsam an Ort und Stelle zu beraten und sie gemeinsam, transparent und langfristig umzusetzen. Im Grunde geht es um nicht mehr und nicht weniger als verantwortliches Regierungshandeln im Interesse der eigenen Bevölkerung - auch was das Geld der Steuerzahler auf der Geberseite betrifft. Es kann nicht richtig sein, dass sich die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit im nichtstaatlichen Bereich beliebt machen und unabhängig davon die schwierigen Fragen der Sicherheits- und Menschenrechtspolitik der Diplomatie überlassen bleiben.
Es wäre darum für alle europäischen Staaten wichtig, dieses Interesse an Einflussnahme offen zu bekunden und Ziele und Methoden transparenter zu machen. Denn gerade dieses ernst gemeinte Bekenntnis zu allgemeinen Zielen, denen kaum zu widersprechen ist, heißt gleichzeitig, keine anderen, "unlauteren" Absichten zu haben. Nicht eigene kurzfristige politische oder wirtschaftliche Agenden zu verfolgen, sondern Stabilität, Sicherheit, gute Regierungsführung, Rechtstaatlichkeit, Entwicklung, Menschenrechtsschutz und Demokratie liegen im Interesse zumindest aller EU-Staaten und eines jeden Gebers. Deshalb ist eine Entwicklungspolitik, die auch bei Menschenrechten und Sicherheit dauerhafte Erfolge zeigt, die einzig sinnvolle Interessenpolitik der EU, gerade bezogen auch auf eigene, längerfristige Wirtschaftinteressen und den Abbau des Migrationsdrucks an der Südgrenze der EU. Nur wenn es allen zuerst um diese Ziele geht, wird es schwieriger für die Entwicklungsländer, auch zum Beispiel für China, die Geberländer gegeneinander auszuspielen. Die EU-Staaten sind aber auch selbst gefordert, ihre Handels- und Agrarpolitik, ihre Wirtschaftsförderung und Rohstoffpolitik zu überprüfen und für eine weitere Öffnung der Märkte für die armen Länder zu sorgen.
Es erscheint notwendig, verschiedene Wege auszutesten. Vermutlich ist es eher realistisch, in einigen wenigen Ländern neue Modelle der Zusammenarbeit anzubieten, als die gesamte Entwicklungszusammenarbeit umzustellen. Eine Möglichkeit, verantwortliches Regierungshandeln zu fördern, könnte darin bestehen, langfristige und beiderseitig völlig freiwillige Partnerschaften zwischen zwei Staaten einzugehen. Wenn jeweils ein Land der Europäischen Union und ein Land aus Afrika sich vertraglich über zweimal zehn Jahre binden, hätte das wesentliche Vorteile.
Der Autor ist Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt und Mitglied der CDU.