Beitrag vom 05.01.2009
FAZ
Zuversicht trotz der Politiker
Afrika-Kenner sprechen von wirtschaftlichen Erfolgen in Ghana, Moçambique und Uganda / Von Robert von Lucius
HEIDELBERG, im Januar. Für jeden Erfolg beim politischen Wandel in Afrika gebe es auch einen Misserfolg: Die Bilanz von zwei herausragenden Kennern des Kontinents ist ernüchternd, aber nicht ohne Zuversicht. Joachim von Braun, international führender Agrar- und Ernährungspolitikforscher, und Rupert Neudeck, der sich nach seiner Rettungsaktion mit der "Kap Anamur" in Vietnam in den vergangenen Jahrzehnten auf Afrika konzentriert hat, weisen im Gespräch bei einer Tagung in Heidelberg über die Nahrungsmittelkrise auf zumindest einen wichtigen Erfolg hin: Die meisten "großen" Bürgerkriege wie in Angola, Liberia oder Sierra Leone seien im vergangenen Jahrzehnt beendet worden oder, wie in Kongo, zumindest abgeflacht.
Was die Regierungen angehe, werde fast jede Verbesserung in einem Land von einer Verschlechterung in einem anderen begleitet - sichtbar am Niedergang in Zimbabwe, wo eine Diktatur menschenverachtend Gewalt gegen die eigene Bevölkerung einsetzt, das Recht missachtet und die Bevölkerung in die Flucht oder die Armut treibt. Auch das von Neudeck geleitete Friedenskorps "Grünhelme" bereitet derzeit einen Einsatz in Zimbabwe vor, um die Cholera-Epidemie zu lindern.
Mittelfristig sind Braun und Neudeck zur Zukunft Afrikas dennoch zuversichtlich - nicht wegen, sondern trotz der Politiker. Positive Erfahrungen gebe es etwa in Ghana, Äthiopien, Moçambique und selbst im bevölkerungsreichen Nigeria. Die nächsten 40 Jahre würden besser sein als die vergangenen, teils verschwendeten 40 Jahre. Dafür spreche, dass die Bevölkerung, auch Kirchen und die Zivilgesellschaft, stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werde oder sich selbst einbringe. Dazu kommt eine deutlich stärkere Hinwendung zur Landwirtschaft, von der in Afrika vier Fünftel der Bevölkerung direkt oder mittelbar abhängen. Die Wachstumsraten in der Landwirtschaft sind in den vergangenen fünf Jahren deutlich gestiegen.
Dank dieses Wachstums der Landwirtschaft und deren größerer Produktivität hat Afrika seit Mitte der neunziger Jahre die längste Periode eines Pro-Kopf-Wirtschaftswachstums seit den sechziger Jahren erlebt, derzeit durchschnittlich sechs Prozentpunkte jährlich. Afrikanische landwirtschaftliche Ausfuhren wurden international wettbewerbsfähiger. Seit 2001 überstiegen Wachstumsraten afrikanischer Exporte im Volumen wie auch im Wert den Weltmarktdurchschnitt. Zudem beschleunigt sich das Wachstum der Wirtschaft wie auch der Landwirtschaft in Afrika nicht nur, sondern es breitet sich auch auf mehr Länder aus. In Ländern mit längerem beständigem Wachstum wie Ghana, Moçambique und Uganda sanken Armut und Hunger sichtbar. Ausgangspunkt dieser stärksten Wachstumsperiode in den vergangenen 40 Jahren war eine veränderte Wirtschaftspolitik in den neunziger Jahren - Wechselkursreformen, stärkere Förderung der Landwirtschaft auch im Handelsregime sowie ein Abbau von Staatsinterventionen, auch bei Preisen. Zudem wurden im vergangenen Jahrzehnt "mehrere Dutzend" afrikanische Regierungen effektiver.
Trotz positiver Ansätze in manchen Ländern Afrikas stehen fast alle Länder in Afrika schlecht da, was den Hunger angeht. Das zeigt der Welthungerindex für 2008. Der Index wird seit drei Jahren vom Internationalen Forschungsinstitut für Agrar- und Ernährungspolitik (Ifpri) in Washington erstellt. Der Leiter des Instituts, Joachim von Braun, wurde gerade als Präsident des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (Ifad) in Rom vorgeschlagen; sollte er Mitte Februar gewählt werden, wäre er neben dem Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep), Steiner, einer der zwei ranghöchsten Deutschen in einer Sonderorganisation der UN.
Der Welthungerindex zeigt, dass es in Afrika - anders als in der anderen von einer alarmierenden Hungersituation bedrohten Weltregion, nämlich Südasien - südlich der Sahara nur "minimale" Fortschritte gibt im Kampf gegen Hunger. Die meisten der 33 Länder mit besonders bedrohlichem "Hungerstatus" liegen in Afrika, und unter ihnen am schlimmsten die Demokratische Republik Kongo, Eritrea, Burundi, Niger und Sierra Leone. Außer Nordkorea und zwei westafrikanischen Kleinstaaten liegen alle Länder, in denen der Hunger zwischen 1990 und 2008 stieg, im südlichen und zentralen Afrika. Die Länder mit dem höchsten Anteil der Bevölkerung mit Kalorienmangel (Eritrea, Kongo) liegen ebenso in Afrika wie die mit der höchsten Kindersterblichkeit (Sierra Leone, Angola). Hunger wird auch von Regierungen geschaffen, nicht nur in Zimbabwe: Alle 15 Länder mit den schlechtesten Werten im Welthungerindex gelten als unfrei oder nur als teilweise frei.
Die stark gestiegenen und vermehrt schwankenden Nahrungsmittelpreise haben sich auf afrikanische Länder, so Braun, uneinheitlich ausgewirkt, mehrheitlich aber negativ. Nettoimporteure von Getreide überwiegen in Afrika die der Exporteure deutlich. Höhere Nahrungspreise haben zudem in mehreren Ländern zu Protesten geführt und zu einer Destabilisierung der Regierungen - die Bevölkerung in armen Ländern muss 50 bis 70 Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben. Dank politischer Reformen können manche afrikanische Länder nun rascher und wirksamer auf die Nahrungspreiserhöhungen reagieren als früher, und die Nahrungsmittelkrise hat - anders als Dürre, Flut oder Bürgerkrieg - die Versorgungsbasis nicht geschmälert.
Die Finanzkrise hat aber nun den Zugang zu Kapital für die Landwirtschaft abermals erschwert, und die Preise sind wieder stark gefallen. Bei dieser Kapitalknappheit und dem hohen Preisrisiko können Afrikas Kleinbauern nicht angemessen investieren. Die nächste Nahrungsmittelkrise erscheine programmiert, so der Ifpri-Direktor, wenn Investitionen in die afrikanische Landwirtschaft nicht jetzt verstärkt gefördert würden.