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Leopardenfell gegen Richterrobe

Südafrika
FAZ Der Kampf gegen die Korruption in Südafrika kommt schleppend voran – Jacob Zuma nutzt jeden Trick, um die Verfahren in die Länge zu ziehen Von Claudia Bröll, Kapstadt Raymond Zondo war die Fassungslosigkeit anzusehen. „Mister Zuma ist gegangen“, sagte Südafrikas zweithöchster Richter langsam, jedes einzelne Wort betonend. „Es ist schade, dass er sich dazu entschieden hat, ohne mich um Erlaubnis zu fragen.“ Der sechzig Jahre alte Zondo ist ein angesehener Mann in Südafrika. Er leitet die Kommission zur Untersuchung der Korruptionsaffären während der Amtszeit des früheren Staatspräsidenten Jacob Zuma. Ähnlich wie bei einer Vorladung vor Gericht können sich Zeugen nicht einfach verabschieden. Doch Zuma stand Ende November in einer Teepause auf, zog sich die Corona-Maske auf und verließ gemächlichen Schrittes den Saal. Die Machenschaften während der neun Jahre langen Präsidentschaft Zumas werden in Südafrika „State Capture“ genannt. Insbesondere eine mit dem Präsidenten befreundete indische Unternehmerfamilie hatte sich damals nicht nur maßlos bereichert. Den Guptas und ihren Komplizen wird zudem vorgeworfen, fast den gesamten Staatsapparat aus dem Hintergrund kontrolliert und selbst Minister ernannt zu haben. Wie investigative Journalisten akribisch über die Jahre hinweg aufdeckten, zog sich ein Netz der Korruption durch Staatskonzerne, Ministerien und Behörden. Auch Unternehmen wie McKinsey, KPMG, SAP sowie internationale Banken waren darin verwickelt. Als der damalige Vizepräsident Cyril Ramaphosa nach Zumas Rücktritt 2018 die Staatsführung übernahm, versprach er aufzuräumen. In seiner Antrittsrede kündigte er an, die „Plünderungen der Staatskasse“ zu beenden und „die Ära eines schwindenden Vertrauens in staatliche Institutionen und die Staatsführung“ hinter sich zu lassen. Nach zweieinhalb Jahren hat die Kommission 270 Zeugen verhört. Kaum ein Tag vergeht ohne Enthüllungen darüber, wie Geld aus der Staatskasse auf privaten Konten verschwand. Es flossen Schmiergelder für die Beschaffung neuer Lokomotiven, die sich als unbrauchbar entpuppten; Fördergelder, die für Kleinbauern bestimmt waren, verschwanden auf privaten Konten, und hochdotierte Scheinaufträge wurden vergeben, beispielsweise für die Überprüfung von Asbestdächern in Armenvierteln. Der wirtschaftliche Schaden durch „State Capture“ ist kaum zu messen, manche Schätzungen erreichen bis zu 100 Milliarden Euro. Doch keiner der Profiteure musste sich bisher vor Gericht verantworten. Die Guptas flüchteten nach Dubai. Zahlreiche unter Korruptionsverdacht stehende Staatsbedienstete, Regierungs- und Parteimitglieder sitzen weiter an den Hebeln der Macht. Zuletzt zahlten McKinsey und andere Unternehmen Honorare zurück, um das unrühmliche Kapitel in ihrer Südafrika-Tätigkeit abzuschließen. In der Bevölkerung wächst derweil die Wut darüber, dass die Drahtzieher des größten Korruptionsskandals seit dem Ende der Apartheid ungeschoren davonkommen könnten, zumal die Südafrikaner jetzt mit einem geplünderten Staatshaushalt eine zweite Corona-Infektionswelle und eine schwere Rezession überstehen müssen. In diesem Jahr wird sich zeigen, ob Ramaphosas Versprechen ein reines Lippenbekenntnis gewesen ist. Die Zondo-Kommission sollte ursprünglich Ende März ihre Arbeit beenden, wegen Corona wurde eine Verlängerung um drei Monate beantragt. Eine abschreckende Wirkung haben die vielen Zeugenaussagen – die Kommission kostet den Steuerzahler mehr als 40 Millionen Euro – bisher nicht entfaltet. Kurz nach Beginn der Corona-Pandemie tauchten neue Korruptionsfälle auf, diesmal ging es um Aufträge für Schutzkleidung, Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel. Nach Einschätzung von Jakkie Cilliers, Politikwissenschaftler und Gründer des Institute for Security Studies, frustrierten die zähen Fortschritte viele Südafrikaner. Ein härteres Durchgreifen aber sei für den Präsidenten riskant. Ramaphosa habe die Position nach Zumas Rücktritt nur mit einer hauchdünnen Mehrheit in der in zwei Lager geteilten Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) übernommen. „Von Anfang an hatte es für ihn absoluten Vorrang, eine Spaltung des ANC zu verhindern. Er sucht den Konsens in der Partei für jeden einzelnen Schritt, ob bei der Korruptionsbekämpfung, in der Wirtschaftspolitik oder bei Entscheidungen in der Corona-Krise“, sagt Cilliers. Es ist eine Lehre, die Ramaphosa auch aus den Erfahrungen seines Vorvorgängers Thabo Mbeki gezogen hat. Dieser war 2008 als Staatspräsident zurückgetreten, nachdem ihm das ANC-Führungsgremium die Unterstützung verwehrt hatte. Vorangegangen war ein erbitterter Machtkampf mit Zuma, den Mbeki wegen Korruptionsvorwürfen als Vizepräsident abgesetzt hatte. Später gewann Zuma die Wahl zum Parteivorsitzenden und wurde schließlich von der Partei als Staatspräsident eingesetzt. Erste Anzeichen, dass die Strategie zum Erfolg führen könnte, gibt es. Im November klagte die Staatsanwaltschaft ANC-Generalsekretär Ace Magashule wegen Korruption in Zusammenhang mit dem Asbestdächer-Auftrag an. Es war die erste Anklage eines ranghohen Parteimitglieds. Unterstützung kam dabei auch aus der Partei. Die Integritätskommission des ANC forderte Magashule – bislang einer der einflussreichsten Männer im ANC – auf, sein Amt bis zu einem Freispruch niederzulegen. Zuvor hatte die ANC-Führung, das National Executive Council, eine ähnliche Grundsatzentscheidung für alle Parteimitglieder getroffen. Allerdings ist unklar, wie die Regel in der Praxis durchgesetzt werden soll. Magashule weist die Vorwürfe gegen ihn zurück. Vorerst bleibt er Generalsekretär. Abgesehen von der Magashule-Saga, wird der Fortgang des Zweikampfs „Zuma gegen Zondo“ die Aufmerksamkeit in diesem Jahr auf sich ziehen. Beide stammen aus abgelegenen Dörfern tief in der Provinz Kwa-Zulu-Natal. Zumas Heimatort Nkandla – berühmt wegen dessen weitläufiger, mit Steuergeldern finanzierter Privatresidenz – ist von Zondos Heimatort Ixopo 260 Kilometer entfernt. Beide wurden von ihren Müttern allein aufgezogen. Während der 18 Jahre ältere Zuma sich selbst das Lesen und Schreiben beibrachte und sich schon mit 17 Jahren dem Widerstand gegen die Apartheid und, nach einer Ausbildung in der Sowjetunion, dem militärischen Flügel des ANC anschloss, schaffte es Zondo trotz Unterdrückung, Jura zu studieren. Erfolgreiche schwarze Südafrikaner wie ihn bezeichnete Zuma später verächtlich als „zu clever“, warf ihnen vor, afrikanische Traditionen nicht zu respektieren. Der frühere Präsident trat zu feierlichen Anlässen gerne im Leopardenfell auf. Zondo hingegen kennt man nur in Anzug oder Robe. Statt vier Ehefrauen wie der Polygamist Zuma hat Zondo eine. Auf einen Sieger in dem Zweikampf will niemand wetten. Bisher hat Zuma jeden juristischen Kunstgriff genutzt, um sich der Kommission zu entziehen: Zunächst waren es gesundheitliche Gründe, dann bezeichnete er Minister, die gegen ihn ausgesagt hatten, als Apartheid-Spione, schürte Verschwörungstheorien. Zuletzt warfen seine Anwälte Zondo vor, voreingenommen zu sein. Zum Beleg beförderten sie eine lange zurückliegende Liebesaffäre mit der Schwester einer der Ehefrauen Zumas zutage. Und schließlich bezeichneten sie die beiden Männer als „gute Freunde“, um Zondo zum Rücktritt zu zwingen. Die Verteidigung mit allen Mitteln ist in Südafrika als Zumas „Stalingrad-Taktik“ bekannt. Schon vor „State Capture“ lagen gegen Zuma Anklagen mit 783 Einzelpunkten wegen Korruption, Betrugs und Geldwäsche vor. Sie beziehen sich auf Waffengeschäfte Ende der neunziger Jahre. Die Anklagen wurden 2007 erhoben, dann zurückgezogen und vor drei Jahren vom obersten Berufungsgericht wieder zugelassen. Auch in diesem Verfahren ist noch kein Ende in Sicht. Im Tauziehen „Zondo gegen Zuma“ hat die Kommission jetzt vor dem Verfassungsgericht beantragt, Zuma zum Erscheinen zu zwingen. Kurz vor Jahresende aber zeigten die Richter keine Eile und behielten sich eine Entscheidung vor. Damit könnte sich der nächste, für Januar avisierte Auftritt um mindestens einen Monat verschieben. Sollte es dazu kommen, deuteten die Anwälte aber schon den nächsten Schachzug an: Der 78 Jahre alte Zulu-Kämpfer werde einfach schweigen.