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Afrikas Schuldenlast drückt immer schwerer

Afrika
FAZ In der Corona-Krise droht einigen hochverschuldeten Ländern die Staatspleite. Gleichzeitig tauchen wieder neue Korruptionsfälle auf. Dominoeffekte könnten folgen – auch in Europa. Von Thilo Thielke, Kapstadt, und Philip Plickert, London Afrika leidet in der Corona-Krise auf spezielle Weise. Sterbefälle wegen Corona gab es bislang relativ wenige, nur eine niedrige fünfstellige Zahl. Das ist wenig auf einem Riesenkontinent mit rund 1,3 Milliarden Menschen. Umso schwerwiegender sind die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, des Rohstoffpreisverfalls und der staatlich verordneten Lockdowns. Die Schuldenberge der afrikanischen Staaten steigen schneller und auf höhere Niveaus als in anderen Schwellenländern, warnt die Ratingagentur Fitch in einem Bericht. Einige Länder südlich der Sahara nähern sich dem Punkt der Überschuldung, an dem Zahlungsausfälle immer wahrscheinlicher werden. Im Mittel steigen die Schuldenstände in Subsahara-Afrika dieses Jahr von 57 Prozent auf über 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, prognostiziert Fitch. Mehr als 15 Prozent der Staatsausgaben fließen in den Schuldendienst – fast fünfmal so viel wie in den entwickelten Industrieländern. Immer schwieriger wird es, die Schulden noch zu tragen. Und mit der Finanz- und Wirtschaftskrise drohen Hunderttausende Tote aufgrund von Hunger und Krankheiten. „Am drängendsten ist das Problem der Überschuldung in Ländern wie Sambia, der Republik Kongo und Moçambique und auch Angola, mit Schulden von deutlich mehr als 100 Prozent des BIP“, sagt Jan Friederich, Chef der Fitch-Abteilung für Staatsratings im Mittleren Osten und Afrika. Das ist die akute Gefahrenzone für schwache Volkswirtschaften, die Ratings der Länder stehen im tiefroten Bereich. Als „extrem spekulative Anlagen“ mit hohen bis höchsten Ausfallrisiken bezeichnen Ratingagenturen die Staatspapiere dieser Länder. Sie müssen schmerzhafte Zinsaufschläge als Risikoprämie zahlen. „Die Wahrscheinlichkeit von Zahlungsunterbrechungen ist hoch“, warnt Fitch-Ökonom Friederich. Sambia hat bereits Berater für eine Schuldenrestrukturierung eingestellt. Fragwürdige Hilfe aus China Die Krise hat in vielen Ländern die laufenden Einnahmen stark angeschlagen, und Rücklagen und Reserven sind in der Region meist sehr begrenzt. Die meisten afrikanischen Länder waren schon vor der Corona-Krise stetig hochverschuldet. Nach der Jahrtausendwende waren den besonders armen Staaten im Rahmen einer Entschuldungsinitiative große Teile ihrer Schulden von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) erlassen worden. Die G8 beschlossen 2005 einen kompletten Schuldenerlass für achtzehn besonders arme Länder in Höhe von 40 Milliarden Dollar, weitere Staaten erhielten schrittweise Erleichterungen in Milliardenhöhe. Zusätzlich half der Wirtschaftsaufschwung infolge des Rohstoffpreis-Booms. Seit der Finanzkrise und seit dem Verfall der Rohölpreise stiegen aber die Schulden wieder. Der Effekt des Schuldenerlasses ist weitgehend verpufft. Einige Regierungschefs haben mit vollen Händen Geld für zweifelhafte Prestigeprojekte ausgegeben, und Milliardensummen aus dem Rohstoffgeschäft sind wieder durch Korruption verlorengegangen. Der Corona-Schock drückt Afrika nun in die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Nigeria und Angola, aber auch Gabun und Kongo, deren Staatshaushalte stark von Öleinnahmen abhängen, kämpfen mit besonders tiefen Einbrüchen. Der Tourismus, der für einige Länder wie Mauritius und auch Kenia, Tansania und Namibia bis zur Krise ein wichtiger Devisenbringer war, ist vollständig zum Erliegen gekommen. Äußerst strikte Lockdowns mit wochenlangen Ausgangssperren wie in Südafrika haben das Wirtschaftsleben lahmgelegt und die tiefe Krise verschärft. Bis zum Ende des Jahres, befürchtet die Hilfsorganisation Oxfam, könnten als Folge des Anti-Corona-Kampfs weltweit jeden Tag 12000 Menschen an Hunger sterben – weit mehr, als dem Virus selbst zum Opfer fallen. Der IWF hat seit Ausbruch der Corona-Pandemie schnell reagiert und mehrere Hilfsinitiativen gestartet. Aus der „Rapid Credit Facility“ erhielten Staaten Subsahara-Afrikas bislang 5,3 Milliarden Dollar und durch das „Rapid Financing Instrument“ rund 9,5 Milliarden Dollar, zusätzlich noch gut 200 Millionen Dollar Schuldenerlass für Katastrophenfälle. Zusammen entspricht das etwas mehr als 1 Prozent der Wirtschaftsleistung der Länder. „Es ist ein positiver Schritt“, sagt Virág Fórizs, Afrika-Expertin beim Analysehaus Capital Economics. Die neuen Kredite würden die extrem angespannte Haushaltssituation etwas entspannen. Zudem haben die zwanzig größten Wirtschaftsmächte (G20), die Weltbank und der Pariser Club eine Initiative namens DSSI zur temporären Aussetzung des Schuldendienstes bis Ende des Jahres beschlossen. Im Rahmen dieses Plans kann Schuldnern bilateral eine Pause für Zinszahlungen und Tilgungsraten gewährt werden. Ein spezieller Fall ist die Rolle Chinas. Die Volksrepublik hat Milliardenkredite an afrikanische Länder vergeben, etwa an Angola, Äthiopien, Kongo, Sambia, Ghana und Nigeria, deren Höhe und Konditionen allerdings wenig transparent sind. Meist laufen die Schuldengeschäfte über die China Export Import Bank (Exim Bank) und die China Development Bank. Finanziert wurde mit den Krediten der Bau von Eisenbahnen, Straßen, Brücken und Häfen – vor allem um die Rohstoffe Afrikas auszubeuten. Kritiker sprachen von Neokolonialismus. In Nigeria gab es im Parlament eine Revolte wegen der zunehmenden Schuldenabhängigkeit von China. Weltbank-Chef David Malpass hat Peking kritisiert, dass es nicht an der DSSI-Initiative teilnehme. China scheint nun auch bereit zu Erleichterungen des Schuldendienstes in Afrika. Angola hat jüngst mit Peking eine größere Zahlungspause vereinbart. Angeblich hat China mit zehn ungenannten Ländern Vereinbarungen getroffen. Das Ölland Angola könnte laut einer Übersicht der Weltbank mit 2,6 Milliarden Dollar am meisten durch das DSSI-Abkommen sparen. Insgesamt halten sich die Schuldendienst-Erleichterungen für Afrika aber noch in Grenzen: Seit Juli sind 5,3 Milliarden Dollar Zinsen von bilateralen Gläubigern weltweit gestundet worden, rechnet Fórizs. „Das ist deutlich weniger als die 20 Milliarden Dollar, von denen anfangs mal die Rede war.“ Und von nächstem Jahr an müssten die Länder theoretisch die gestundeten Zinsen nachzahlen. Der afrikanische Kontinent wird sich nur langsam von der Corona-Rezession erholen, glaubt die Afrika-Expertin. „Ein riesiger wirtschaftlicher Schaden hat die Leben der Menschen sehr hart getroffen“, sagt sie, „es wird lange dauern, bis sich die Region erholt.“ Das liegt zum einen daran, dass die Preise für Rohstoffe, für viele afrikanische Staaten eine Haupteinnahmequelle, wohl nicht so schnell wieder steigen werden. Die Touristen werden wahrscheinlich auch nicht so schnell zurückkommen. Die durch die harten Lockdowns verstärkte Rezession ist für viele Afrikaner lebensbedrohlich: Laut IWF-Schätzung könnten dieses Jahr 26 bis 40 Millionen Menschen auf dem Schwarzen Kontinent in die absolute Armut fallen. Vor beispielloser Migrationskrise? Auch die alten Geißeln Korruption und Missmanagement haben in Afrika während der Corona-Krise nicht pausiert. Ende August gelang es der kenianischen Polizei nur mit dem Einsatz von Tränengas, eine Demonstration in der Innenstadt von Nairobi aufzulösen. Die Demonstranten hatten von der Regierung Aufklärung über den dubiosen Einkauf von mehr als 1,8 Millionen Corona-Schutzmasken verlangt. Die dem Gesundheitsministerium unterstehende Kenya Medical Supplies Authority hatte offiziell dafür 7,7 Millionen Dollar ausgegeben – nach Ansicht von Experten fast doppelt so viel wie nötig. Sie vermuten massiven Betrug hinter dem seltsamen Deal. Korrupt sieht es auch in Südafrika aus, wo die Nutznießer des Corona-Geldregens als „Covidpreneurs“ verspottet werden. Auch am Kap geht es um den Einkauf von medizinischer Ausrüstung. Der Ehemann von Khusela Diko, der Sprecherin von Staatspräsident Cyril Ramaphosa, soll einen Staatsauftrag zur Beschaffung von Schutzausrüstung über umgerechnet rund 6 Millionen Euro erhalten haben, und die Söhne des ANC-Generalsekretärs Ace Magashule bekamen Aufträge in der Höhe von umgerechnet 140000 Euro zugeschanzt. Präsident Ramaphosa äußerte sich, ohne diese Namen zu nennen. „Inmitten der größten Gesundheitskrise des Landes sehen wir Diebe ohne Gewissen“, polterte er kürzlich in einer Rede zur Lage der Nation. Corona-Profiteure, von denen viele aus seinem engsten Umfeld stammen, nannte er „Hyänen und Aasfresser, die um ihre verwundete Beute kreisen“. Einen Untersuchungsausschuss zu Corona-Korruptionsfällen lehnte die Regierungspartei ANC jüngst ab. Vor einem Jahr sagte Ramaphosa auf einem Kongress in London, dass durch korrupte Machenschaften bis zu eine Billion Rand (gut 50 Milliarden Euro) aus den Staatskassen gesaugt worden seien. Das hat der ANC zu verantworten, der das Land seit einem Vierteljahrhundert regiert. Nun verschärft Corona die wirtschaftliche Notsituation. Millionen Menschen haben ihre Jobs verloren. Unter jüngeren Erwachsenen beträgt die Arbeitslosenquote offiziell schon 38 Prozent. Ökonomen erwarten, dass sie noch weiter steigen wird. Der Afrika-Forscher Cobus van Staden, der dem South African Institute of International Affairs in Johannesburg angeschlossen ist, warnt die Weltgemeinschaft, dass mangelnde Hilfe für Afrikas Schuldenprobleme katastrophale Folgen haben könnte – auch für die reichen Länder der Nordhalbkugel. Der Schuldensturm könnte in einem Dominoeffekt den Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften bewirken und gewaltige Migrationsströme in Gang setzen, warnt van Staden. „Wenn die afrikanische Wirtschaft völlig kollabiert, wird Europa einer beispiellosen Migrationskrise gegenüberstehen, die jene von 2015 noch in den Schatten stellt“, meint er.