«Die Korruption ist gewissermassen in unserem Staatsbudget enthalten»
Kenya
NZZ
Kenyas Regierung geniesst international den Ruf, viel für eine sauberere Politik zu tun. Das sieht der bekannte Korruptionsbekämpfer John Githongo etwas anders.
Markus Spörndli, Nairobi
Vielleicht war es nicht die beste Idee, John Githongo zum Mittagessen einzuladen. Eine Biografie über den legendären kenyanischen Korruptionsbekämpfer trägt den Titel «It’s Our Turn to Eat» – eine lokale Redewendung, die zum Ausdruck bringt, wie sich die ethnisch geprägten Parteien an der Regierung abwechseln und die Staatsgelder «fressen». Und auf tieferer Ebene beginnt ein Bestechungsversuch nicht selten mit der Frage: «Can I buy you lunch?»
Githongo empfängt also lieber in seinem Büro im Westen Nairobis. Der hünenhafte Mann mit markanter Brille sitzt an seinem Schreibtisch und tippt konzentriert in sein Notebook. Einer früheren Regierung hatte er als oberster Antikorruptionsbeamter gedient – bis er einen bedeutenden Fall aufdeckte und aus Angst um sein Leben das Land verliess. Heute führt der 54-Jährige die NGO Inuka, die unter anderem die investigative Online-Zeitung «The Elephant» herausgibt. Auf Githongos Schreibtisch stehen eine Thermoskanne und eine bis zum Rand gefüllte Teetasse, an der Wand dahinter hängt eine Kenya-Flagge. Githongo erklärt: «Korruptionsbekämpfung ist ein patriotischer Akt.»
Eroberung der Staatsgewalten
Das hätte auch der kenyanische Präsident sagen können. Uhuru Kenyatta hat sich die Korruptionsbekämpfung gross auf die Fahne geschrieben – besonders, seit er vor zwei Jahren seine Wiederwahl sicherte. Die Staatsanwaltschaft und die Strafverfolgungsbehörde sorgen regelmässig für spektakuläre Medienberichte von mutmasslich bestechlichen Politikern, die in Handschellen abgeführt werden.
Ende Juli wurde gar der Finanzminister verhaftet. Henry Rotich wird beschuldigt, zwei Staudammprojekte in Westkenya demselben italienischen Bauunternehmen zugeschanzt und sich dabei gemeinsam mit fast zwanzig Spitzenbeamten grosszügig bereichert zu haben. Der oberste Antikorruptionsbeamte der Kenyatta-Regierung schätzte vor drei Jahren, dass ein Drittel des Staatsbudgets durch Korruption verloren geht.
«Kenyatta will als Antikorruptionspräsident in die Geschichte eingehen», sagt Githongo in seinem Büro. «Aber er hat riesige Interessenkonflikte.» Das Portfolio der Kenyatta-Familie enthalte grosse Unternehmen und viele Immobilien, die es ohne Bestechung und Landenteignungen nicht gäbe. «Sein Antikorruptionskampf ist eine grosse Show mit wenig Wirkung», sagt Githongo. «Die Verhaftungen führen zu Schlagzeilen, aber die komplexen Gerichtsfälle kommen nie zu einem Abschluss.»
International gilt Kenya unter Kenyatta als ein Land mit unabhängigen und effektiven
Antikorruptionsinstitutionen. Githongo sieht das diametral anders. Er sieht eine unheilvolle Kontinuität institutionalisierter Korruption, die im Kolonialsystem angelegt war und seit der Unabhängigkeit bis heute überdauert hat.
Experten nennen es «state capture» oder Staatsvereinnahmung: die höchste Form politischer Korruption, bei der die Staatsgewalten weitgehend durch private Interessen gelenkt werden. Auf dem Kontinent galt bisher Südafrika als Modellfall. Eine kürzlich erschienene Studie, an der auch Githongo beteiligt war, kommt zum Schluss, dass die Lage in Kenya mindestens so schlimm ist.
«Da bekam ich ein Problem»
Githongos persönliche Geschichte erhellt, dass es in einem System der «state capture» ziemlich egal ist, ob sich ein Präsident die Korruptionsbekämpfung auf die Fahne schreibt. Denn auch Kenyattas Amtsvorgänger Mwai Kibaki hatte dies getan. Um sein Wahlversprechen einzulösen, ernannte er einen prominenten investigativen Journalisten zum obersten Antikorruptionsbeamten: John Githongo. Dieser machte sich im Januar 2003 an die Arbeit und deckte schon bald einen der grössten Korruptionsfälle in der Geschichte Kenyas auf – den sogenannten Anglo-Leasing-Skandal.
Anglo Leasing Finance hiess eine von 18 Scheinfirmen, die von der Kibaki-Regierung Aufträge im Sicherheitsbereich erhielten. 600 Millionen Franken wurden ihnen für Dienstleistungen bezahlt, die sie in den meisten Fällen nie erbracht hatten. Das Geld floss vielmehr an dubiose Geschäftsleute, die von hochrangigen Politikern eingesetzt worden waren. Mehrere Minister sollen die Hauptprofiteure gewesen sein.
«Als mir klarwurde, dass die Verträge illegal waren, liess ich die Zahlungen an die Scheinfirmen stoppen», erinnert sich Githongo. «Da bekam ich ein Problem.» Spitzenbeamte versuchten, den Korruptionskämpfer zu bestechen, später erhielt er Morddrohungen. Weil er sich auch von Präsident Kibaki nicht genügend unterstützt sah, floh er 2005 nach Grossbritannien ins Exil.
Fühlt sich Githongo heute wieder sicher in seinem Land? «Ja, ja», sagt er. «Aber ich exponiere mich auch nicht mehr so wie früher.» Die staatliche Korruption habe unter der jetzigen Regierung allerdings noch zugenommen. Githongo greift zu seiner Teetasse und zu einer Analogie: «In Zeiten von Anglo Leasing zahlte die Regierung für Tassen, die nie geliefert wurden. Heute werden zuweilen Tassen zugestellt, aber zu einem Preis von 2000 Shilling, obwohl sie nur 10 Shilling wert sind.»
So laufe es etwa bei der Beschaffung von medizinischen Geräten oder beim Bau der von China finanzierten Eisenbahnlinie. Anglo Leasing sei komplett illegal gewesen. «Mit der Eisenbahnlinie verlieren wir vielleicht hundertmal mehr Geld», sagt Githongo. «Aber die Verträge sind grundsätzlich legal – die Korruption ist gewissermassen in unserem Staatsbudget enthalten.»
Ein Urteil gegen Githongo
Was die Anglo-Leasing-Affäre betrifft, geschieht auch unter Kenyatta nicht viel. «Seit Jahren befassen sich mehrere Gerichtsverfahren mit dem Skandal», sagt Githongo. «Keines von ihnen ist abgeschlossen, es gibt kaum Fortschritte.» Selber ist er bei zwei Prozessen als Zeuge involviert. Seit zwei Jahren habe er keine Vorladung mehr erhalten.
Ein Urteil allerdings gab es im Mai – in einem Gerichtsprozess gegen Githongo. Ein früherer Transportminister, dem Githongo als damaliger Antikorruptionsbeauftragter vorgeworfen hatte, sich über Anglo Leasing bereichert zu haben, reichte 2006 eine Klage wegen Verleumdung ein. Nun entschied ein Richter, dass Githongo ihm eine Genugtuung von umgerechnet 270 000 Franken zahlen muss.
Das Urteil hat in der Antikorruptionsbewegung Kenyas hohe Wellen geschlagen. Es sei dazu da, sie mundtot zu machen. Und es scheint bezeichnend für die «state capture» in Kenya: Der ursprünglich zuständige Richter hatte den Fall abgegeben. Es habe Bestechungsversuche gegeben, lautete seine Begründung. Dann übernahm ein Mann, der von einem Überprüfungsausschuss einmal als «rachsüchtig, korrupt» und somit als «unfähig» für das Richteramt beurteilt worden war.
Githongo, der gegen das Urteil Berufung eingelegt hat, bleibt gelassen: «Das ist schon die fünfte Klage gegen mich.» Die Solidarität, die er aus der Zivilgesellschaft erfahre, sei enorm. «Um das Berufungsverfahren kümmern sich sechs Anwälte», sagt Githongo lachend, erinnert aber sogleich daran, dass die Korruption auch das Justizsystem gefressen habe: «Vielleicht muss ich ins Gefängnis. Ich bin bereit.»