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Pour une autre politique de développement!

Kein Licht am Ende des Tunnels

Südafrika
Finanz und Wirtschaft Nach vielen Jahren der Misswirtschaft und des Niedergangs stehen Südafrika äusserst harte Zeiten bevor. Das augenfälligste Anzeichen dafür sind die immer übleren Stromausfälle. Wolfgang Drechsler Seit seiner Gründung als moderner Staat im Jahr 1910 hat Südafrika mehrmals am Rand des Abgrunds gestanden – doch den oft prophezeiten Absturz dann doch vermieden. Im letzten Moment obsiegte stets die Vernunft. Fast dreissig Jahre nach dem Ende der Apartheid und der Hoffnung auf einen Neubeginn hat nun jedoch ein geballter Mix schlechter Nachrichten den (naiven) Optimismus von einst in einen fast apokalyptischen Pessimismus verkehrt. Neben den immer heftigeren Stromausfällen und dem Zerfall elementarer Infrastruktur wie Strassen, Schienen oder Häfen beunruhigt viele Südafrikaner der verheerende Zustand des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und der mafiösen Strukturen in Wirtschaft und Politik. Während die frühere Widerstandsbewegung von Korruption, Inkompetenz und Machtgier zerfressen ist, droht das einzige Industrieland des Kontinents zu einem Failed State zu degenerieren. Erst zu Monatsbeginn warnte die südafrikanische Zentralbank, dass die gegenwärtige Politik eine direkte Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems und die Wirtschaft des Landes sei. Zeitgleich kritisierte der Internationale Währungsfonds die viel zu niedrigen Wachstumsraten von weniger als 1% und das Unvermögen des Staates, ein Umfeld für mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Mit offiziell rund 35%, inoffiziell aber fast 50% Arbeitslosenrate (einschliesslich derer, die die Suche nach Arbeit aufgegeben haben) hat Südafrika den mit Abstand höchsten Wert unter den Industrienationen. Der staatliche Rechnungsprüfer hat wiederholt vor dem fortschreitenden Kollaps vieler Stadtverwaltungen und der Veruntreuung von Steuergeldern und anderen Ausgaben gewarnt. Selbst der Polizeiminister hat eingeräumt, dass die zuvor schon hohe Verbrechensrate auf einen neuen Höchststand geklettert ist. Eine internationale Studie über die Lesefähigkeit von Schülern kam kürzlich zum Ergebnis, dass 81% am Ende ihrer Grundschulzeit weder richtig lesen noch schreiben könnten. In jedem einzelnen Segment liegt Südafrika auf den hintersten Rängen. Markt traut dem Rand kaum Kein Wunder, dass erstmals seit der Machtübernahme des ANC 1994 ein tiefes Gefühl des Unbehagens die regierende Elite beschleicht, angetrieben von der Angst vor einem kompletten Kollaps des Stromnetzes, dessen Neustart Wochen dauern und in der Zwischenzeit zu schweren Unruhen führen könnte. Die Ahnung, dass die Lage am Kap schon bald im Scheitern des Staates münden könnte, hat nun auch auf die internationalen Partner und Investoren übergegriffen – und den Rand auf neue Allzeittiefs gegenüber Dollar und Euro gedrückt. Verantwortlich dafür war der Vorwurf des US-Botschafters, Südafrika habe verdeckt Waffen an Russland geliefert. Sollte das zutreffen, könnten der Kaprepublik womöglich sogar bald Sanktionen drohen, die der Wirtschaft schwersten Schaden zufügen würden, etwa durch den Verlust eines Freihandelsabkommens mit den USA. «Leicht wird ein Neubeginn am Kap nicht werden. Es ist eher wie mit einer zweiten Ehe: Die Erfahrung spricht dagegen, dafür spricht allein die Hoffnung.» Anders als früher wird Südafrika seine bislang wohl schwerste Krise diesmal nicht mit Durchhalteparolen und ein paar kosmetischen Reformen lösen können, zumal die Krise längst strukturell verankert ist. Inzwischen sind einfach zu viele Institutionen und Organisationen funktionsunfähig geworden und am Zerfallen. Der jüngste Cholera-Ausbruch im Norden des Landes fühlt sich wie ein Vorbote für das an, was dem südafrikanischen Gesundheitswesen nun womöglich anderswo bevorsteht. Was zerbrochen ist, kann schon deshalb nicht repariert werden, weil andere Dinge im Vorfeld bereits zerstört wurden. Der staatliche Strommonopolist Eskom, dessen Strompuffer von einst 30% (1994) tief in den Minusbereich gerutscht ist, zerstört nicht nur sich selbst; der Magel an Strom führt auch zum Kollaps von Kläranlagen und Gesundheitsdiensten – und bedroht kleine wie grosse Unternehmen in ihrer Existenz. Es handelt sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um systemisches, institutionalisiertes Versagen. Selbst wenn der ANC die Macht trotz seiner Verwurzelung in der schwarzen Bevölkerung in den Wahlen 2024 verlieren sollte, was derzeit eher unwahrscheinlich ist, würde eine Wende zum Besseren diesmal schon deshalb lange dauern, weil das Staatsschiff voller Löcher ist und tief unter der Wasserlinie liegt. Inzwischen ist der Fiskus derart hoch verschuldet, dass einer neuen Regierung das Geld zur Lösung der vielen Krisen fehlen würde. Auch sind die korrupten Netzwerke, etwa im Bau- oder im Transportgewerbe, inzwischen so tief verankert, dass sie auch unter einer neuen Regierung fortbestehen würden. Kapital und Personal ziehen ab Schon wegen der enormen Dominanz des ANC und eines möglichen Bündnisses mit einer linksradikalen Partei (EFF) um Julius Malema dürfte der dramatische Hoffnungsverlust weiter zunehmen, was zu einem zusätzlichen Abfluss an Kapital und Fachkräften führen dürfte. Verwaltung, Armee und Polizei zahlen seit Jahren mit wachsender Ineffizienz den Preis für den überstürzten Umbau des Landes, der nicht etwa an Leistung und Kompetenz, sondern primär an die Hautfarbe geknüpft ist – was auch künftig so bleiben dürfte. Wie lange solche Phasen des Nieder- oder Übergangs dauern können, zeigt Südafrikas Nachbarland Simbabwe, wo Diktator Robert Mugabe 37 Jahre lang selbstherrlich und korrupt herrschte – und seine Nachfolger diese Vetternwirtschaft in den vegangenen sechs Jahren nahtlos fortgesetzt haben. Für den Kontinent ist der Niedergang des einstigen Hoffnungsträgers Südafrika schon deshalb ein Desaster, weil ihm nun die dringend benötigte Wachstumslokomotive fehlt, die Asien mit China, Japan oder Südkorea hat. Einige Beobachter glauben, dass Südafrikas Zukunft auch diesmal seiner Vergangenheit ähneln und das Land sich wie früher durchwursteln werde, auch wenn es am Ende wie jedes andere ärmere Entwicklungsland aussehen wird. Es ist ein vergleichsweise zuversichtlicher Ausblick, der jedoch die Tatsache verkennt, dass Südafrika schon seit mehr als einem Jahrzehnt in einer Krise aus niedrigen Investitionen und mickrigem Wachstum steckt und dass sich ein Land nur für eine bestimmte Zeit schlecht regieren lässt, bevor es irgendwann absackt. Zeit vertrödelt, Schwung verloren Viele Gewissheiten gibt es für Südafrika nach den langen Jahren der Misswirtschaft und des Niedergangs nicht mehr. Eine davon ist, dass dem Land extrem harte Zeiten bevorstehen. Die immer schlimmeren Stromausfälle an bislang fast jedem Tag dieses Jahres sind nur ein Indiz dafür – und das wohl sichtbarste. Eine andere Gewissheit ist, dass Südafrika für Wohlhabende noch immer eine hohe Lebensqualität bietet und dies hoffentlich auch noch tun wird, wenn sich das Blatt womöglich doch noch zum Besseren wendet. Es hat die Menschen, die Energie und eine natürliche Schönheit dafür. Aber es hat auch sehr viel an Zeit und Dynamik verloren. Vielleicht hilft Südafrika ein Blick in die Vergangenheit: Entgegen allen düsteren Prognosen eines Rassenkrieges stellten Nelson Mandela und sein Gegenüber Frederik Willem de Klerk das Wohl ihrer gemeinsamen Heimat einst über Rachsucht, Hass und Machtkalkül, weil sie erkannten, dass Schwarz und Weiss in Südafrika entweder gemeinsam überleben oder gemeinsam untergehen würden. Leicht wird ein solcher Neubeginn sicherlich nicht werden. Es ist eher wie mit einer zweiten Ehe: Die Erfahrung spricht dagegen, dafür spricht allein die Hoffnung. Wolfgang Drechsler ist Afrika-Korrespondent in Kapstadt.