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Beitrag vom 10.06.2020

NZZ

Zehn Jahre nach der Fussball-WM in Südafrika: Was von der teuersten Party Afrikas geblieben ist

Die enormen Kosten der ersten Fussball-WM auf dem afrikanischen Kontinent rechtfertigte man mit der Schaffung langfristiger Strukturen. Viel ist nicht entstanden. Ein Fehler war das Turnier dennoch nicht.

Christian Putsch, Kapstadt

Wohl keine Fussball-WM ist rhetorisch so überhöht worden wie diejenige in Südafrika im Jahr 2010. Die Menschen hätten «in ihrem langen Kampf für Freiheit» Geduld und Ausdauer gelernt, liess sich Nelson Mandela, der ehemalige Präsident des Landes, im Vorfeld vom Weltfussballverband Fifa zitieren. Nun solle das Turnier zeigen, dass sich auch das lange Warten auf die erste WM in Afrika gelohnt habe. Der damalige Fifa-Präsident Sepp Blatter würdigte das Turnier als «eine Feier der Menschlichkeit» – ein Beleg, dass Fussball nicht nur ein Spiel sei, «sondern Leben bewegt».

Am 11.?Juni jährt sich der Turnierbeginn zum zehnten Mal. Das Eröffnungsspiel zwischen Südafrika und Mexiko endete 1:1. Südafrika sollte später als erster WM-Gastgeber schon in der Vorrunde ausscheiden, was dieser historischen Endrunde schnell ein Stück ihrer Romantik raubte. Der Jahrestag am Donnerstag wird einigermassen unauffällig vorbeiziehen, nicht nur wegen der zunehmend dramatischen Covid-19-Pandemie, die das Land seit Monaten fest im Griff hat. Denn ein Ausgangspunkt für eine glorreiche Fussballzukunft, wie es von der Fifa damals beschrieben wurde, war das 3,8 Milliarden Dollar teure, überwiegend vom Staat finanzierte Turnier mit dem um das Zehnfache überzogenen ursprünglichen Budget nicht.

Eine Stiftung mit 65 Fifa-Millionen

Ein Anruf bei Joe Carrim, dem federführenden Verwalter des 2010 Fifa World Cup Legacy Trust. Die Stiftung wurde einige Monate nach der WM eingerichtet und mit 65 Millionen Dollar aus den üppigen Fifa-Einnahmen dotiert. Der Start sei holprig gewesen, gibt Carrim zu. Bis es wirklich losging, vergingen fast zwei Jahre – «da haben wir das Momentum des erfolgreichen Turniers ein Stück weit verloren». Die Jahre nach dem Turnier hätte man weit früher klarer strukturieren müssen, so der Funktionär.

Ein Grossteil der Mittel sei in die Entwicklung des Jugendfussballs im nationalen Fussballverband Safa geflossen, vor allem in die Organisation von Ligen auf lokaler Ebene, sagt der Manager. Jeweils über 7000 Trainer und Schiedsrichter seien weitergebildet worden, dazu rund 2400 Funktionäre. «Die Qualität ist erheblich gestiegen», sagt Carrim. Zudem habe man landesweit 27 Kunstrasenplätze gebaut und in der Nähe von Johannesburg auf dem Gelände eines Resorts ein nationales Leistungszentrum errichtet, das vor allem für die Auswahlteams des Landes «beste Bedingungen» biete, sagt Carrim. Auch in Pretoria sei ein Leistungszentrum ausgebaut worden.

Die Früchte dieser neuen Strukturen wirken nicht gerade üppig. Über die Nationalmannschaft Südafrikas spricht Carrim wenig, schliesslich qualifizierte sie sich weder für die WM 2014 noch für die WM 2018; selbst zwei Afrika-Cups wurden verpasst. Dafür verweist Carrim darauf, dass sich die südafrikanischen Nachwuchsteams für die Weltmeisterschaften qualifiziert hätten. Und das Nationalteam der Frauen habe sich nach Einrichtung der Stiftung erstmals für Olympische Spiele und eine WM qualifiziert. «Insgesamt haben wir ganz gute Arbeit geleistet», sagt Carrim.

Das sieht so mancher südafrikanische Branchenkenner anders. Ashley Rasool zum Beispiel, ein Spielerberater und Mitgründer der privaten Nachwuchsakademie Cape Umoya. «Der nationale Fussballverband ist besonders auf regionaler Ebene in einem völlig dysfunktionalen Zustand», sagt er. In den neunziger Jahren hätten die Verbandsstrukturen noch Spieler wie Mark Fish, Shaun Bartlett (ehemals FC Zürich) oder Delron Buckley hervorgebracht, die sich später in grossen europäischen Ligen hätten etablieren können. Auch wegen der guten Verbandsarbeit habe Südafrika 1996 «mit einer goldenen Generation» sensationell den Afrika-Cup gewonnen, sagt Rasool.

Immer weniger Geld komme an der Basis an

In letzter Zeit sei trotz der Fifa-Stiftung immer weniger von den Safa-Geldern an der Basis angekommen. «Die Wettbewerbsdichte der Vereine in den lokalen Verbänden ist viel zu niedrig, als dass Profifussballer hervorgebracht werden könnten», sagt Rasool, und fügt an: «Viele Plätze sind weiter in desolatem Zustand. Mittel fliessen wenn überhaupt nur in die grossen Städte. In ländlichen Gegenden gibt es für Talente kaum Entwicklungschancen.» Der Fussball in Südafrika habe seit der WM eher einen Rückschritt gemacht. Damals habe es noch Spieler in der englischen Premier League gegeben, wie Steven Pienaar oder Aaron Mokoena. Benni McCarthy gewann mit dem FC Porto sogar die Champions League. Inzwischen finde man südafrikanische Spieler nur noch in kleineren Ligen. Und das sehr selten.

Die von Rasool mitinitiierte Nachwuchsakademie Cape Umoya schloss sich vor zwei Jahren mit fünf ambitionierten Vereinen im Grossraum Kapstadt zu einer eigenen Jugendliga zusammen, um öfters Spiele auf höherem Niveau organisieren zu können. Es ist bezeichnend, dass zu diesen leistungsstärksten Teams auch die Hilfsorganisation Young Bafana gehört, die erst nach der WM vom Deutsch-Südafrikaner Bernd Steinhage gegründet wurde.

Der Betriebswirtschafter Steinhage kann kicken, er spielte einst in Berlin in den höchsten Amateurligen. Nach der WM entwickelte sich aus gelegentlichem Fussballunterricht an einer Schule bald eine gemeinnützige Akademie, die zum Magneten für einige der grössten Talente aus den Townships wurde. 6 seiner rund 200 Nachwuchsspieler sind in den Juniorenteams von Profivereinen untergekommen, einer lebt vom Sport.

Manchmal kann es Steinhage selber nicht fassen, wie schnell er mit wenigen Mitarbeitern und bescheidenen Mitteln in die Elite der südafrikanischen Nachwuchsförderung vorstossen konnte. «Es hapert an der Trainerausbildung», sagt er, «zu viele an der Basis arbeiten ohne Lizenz. Das sind oft hochmotivierte Menschen, aber ohne das nötige Fachwissen macht man manchmal mehr kaputt, als dass man hilft.»

Zudem gebe es vom Verband beim Übergang von den Junioren zu den Profis keine Unterstützung. In dieser Phase würden Vereine den 18-jährigen Talenten umgerechnet teilweise kaum mehr als 100 Franken im Monat zahlen. Das reicht bisweilen nicht einmal für das Benzin für die Fahrt zum Training. Wer den Sprung in die heimische Profiliga Premier Soccer League (PSL) nicht schafft, der fällt nicht selten ins Bodenlose.

Immerhin, die PSL gilt als Profiteur der Weltmeisterschaft. Das sagt zumindest Mark Gleeson, einer der erfahrensten Fussballkommentatoren des Landes. «Die Leute vergessen manchmal, wie schlecht die Infrastruktur der Plätze und Stadien vor der WM war», sagt Gleeson, «die WM hat dem Land einen massiven Schub gegeben und den Sport für Fernsehen und Sponsoren viel interessanter gemacht.»

Monatslöhne von über 15?000 Franken

Gleeson ist der dienstälteste Reporter des Senders Supersport, des wichtigsten Verkaufsarguments des vor der Corona-Pandemie florierenden Bezahlfernsehangebots DSTV. «Viele Township-Hütten haben inzwischen eine Satellitenschüssel», sagt Gleeson, das Abonnement mit der lokalen Liga koste umgerechnet 8?Franken und verkaufe sich sehr gut. Ohne den Rahmen der für die WM neu gebauten oder renovierten Stadien, davon ist Gleeson überzeugt, wäre das nicht möglich gewesen. Eine kleine Rolle könnte auch gespielt haben, dass die lärmenden Vuvuzela-Tröten in Südafrikas Stadien an Popularität verloren haben – sie hatten während der WM 2010 noch so manchem Fernsehzuschauer die Ohren dröhnen lassen.

Nicht zuletzt der kommerzielle Erfolg der Liga ist einer der Gründe, warum südafrikanische Fussballspieler in Europa zur Rarität geworden sind. Zwar hat der Zuschauerdurchschnitt der Liga mit rund 8000 Besuchern seit der WM stagniert, doch Spielersaläre von umgerechnet über 15?000 Franken im Monat sind trotzdem keine Seltenheit mehr. In den vergangenen Jahren konnte man also auch im heimischen Fussball zum gesellschaftlichen Spitzenverdiener werden – eine Entwicklung, die sich mit der Covid-19-Pandemie umkehren könnte. Weit mehr als den meisten europäischen Spitzenvereinen droht südafrikanischen Profiklubs angesichts der plötzlichen Einstellung des Spielbetriebs der Konkurs. Die Rücklagen sind gering. Gut möglich, dass es bald wieder mehr südafrikanische Spieler gibt, die es schon in der Jugend nach Europa zieht.

Natürlich gebe es auch Grund zur Kritik, sagt Gleeson. Die Nationalmannschaft habe schwache Jahre hinter sich. «Aber», so merkt er an, «das war vor der WM auch nicht viel besser.» Und ja, mit wenigen Ausnahmen seien die WM-Stadien unausgelastet und defizitär. «Aber eine Touristenmetropole wie Kapstadt braucht einfach ein Weltklassestadion.» Selbst wenn es ein Zuschussgeschäft sei. Die WM habe Südafrika von der besten Seite gezeigt. Und sie sei gut gewesen für die Psyche der Leute. Wirtschaftlich habe das Land schwierige Jahre hinter sich. Das liege aber keineswegs an dem überwiegend mit Steuergeldern finanzierten Turnier, sondern an den darauffolgenden, von Korruption geprägten Jahren unter dem ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma.

Immer wieder Korruptionsvorwürfe

Längst nicht jeder Journalist blickt so wohlwollend auf das Vermächtnis der WM zurück wie Gleeson. So zieht der Fussballchef der Johannesburger Zeitung «The Citizen», Jonty Mark, eine überwiegend negative Bilanz. «Kurzfristig sind durch die WM einige Jobs entstanden, langfristig erkenne ich nicht viele positive Folgen des Turniers», sagt Mark. Besonders die Bilanz der Fifa-Millionen hält er für katastrophal.

«Die Schiedsrichter haben sich zumindest in der PSL nicht verbessert, auch auf Trainerebene sehe ich in Südafrika wenige Fortschritte», sagt der Journalist und fährt fort: «Die Nachwuchsauswahlen haben sich zwar für grosse Turniere qualifiziert, aber das gegen afrikanische Mannschaften mit äusserst geringen Mitteln.» Die Administration des Verbandes sehe sich immer wieder Korruptionsvorwürfen ausgesetzt, und das neue Leistungszentrum sei bisher kaum genutzt worden.

War das Turnier ein Fehler? So weit möchte Mark dann doch nicht gehen. Denn so alleine stehe Südafrika mit der mässigen Bilanz nicht da, in Japan und Südkorea habe es beispielsweise nach der WM 2002 auch leerstehende Stadien gegeben. «Wir haben der Welt damals gezeigt, dass wir in Südafrika ein Weltklasseturnier stemmen können», sagt er. Das sei durchaus etwas wert.