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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 25.09.2018

FAZ

Afrika helfen – mit weniger Entwicklungshilfe

Europäische Staaten haben ihr Geld für Sambia eingefroren – wegen Korruption und Betrug im Land. Dennoch könne Afrika geholfen werden, meinen Fachleute. Nur wie?

Von Thilo Thielke und Philip Plickert

KAPSTADT/FRANKFURT, 24. September. Der Schritt hat Aufsehen erregt. Mitte September twitterte der britische Hochkommissar Fergus Cochrane-Dyet aus Lusaka, sein Land werde die Zahlungen an Sambia aussetzen, die staatliche Hilfsbehörde UK Aid verfolge „eine Null-Toleranz-Haltung gegenüber Betrug und Korruption“. Grund für den Furor der Briten, die seit vielen Jahren zu den Hauptsponsoren der ehemaligen Kronkolonie zählen, war der Verlust von umgerechnet rund 4,3 Millionen Dollar. Das Geld war eigentlich für die Bekämpfung der Armut in dem afrikanischen Land gedacht, aber spurlos verschwunden. Es war also wieder einmal eingetreten, was der ehemalige Sprecher des Europäischen Rechnungshofs, Karel Pinxten, einst der belgischen Zeitung „De Standaard“ als Normalfall schilderte: „Sobald das Geld überwiesen ist, verlieren wir jede Spur.“

Die Briten handelten diesmal nicht allein, auch Schweden, Finnland und Irland setzten ihre Zahlungen aus. Der Internationale Währungsfonds (IWF) leiht dem Rohstoffland zwischen Kupfergürtel und Victoriafällen schon seit Monaten kein Geld mehr – aus Sorge, das Land könne seine Schulden nicht mehr zurückzahlen. Der Verdacht: Die sambische Regierung verschleiere die wahre Staatsverschuldung. Nach offiziellen Angaben liegt die bei 8,7 Milliarden Dollar. Fachleute halten die Verschuldung aber für mehr als doppelt so hoch. So kommt Robert Besseling, Leiter der Johannesburger Analystenfirma EXX Africa, die politische Risikoeinschätzungen vornimmt, zu dem Ergebnis, „dass die externen Schulden bis zu 15,6 Milliarden Dollar betragen können, während die lokalen Schulden, die staatliche Einrichtungen bei einheimischen Banken aufgenommen haben, fast unkalkulierbar hoch zu sein scheinen“.

Vor kurzem drohten auch die Vereinigten Staaten, die Hilfe für Sambia einzustellen, weil die Regierung den asylsuchenden zimbabwischen Oppositionellen Tendai Biti an der Grenze abwies und zurück nach Harare schickte. Nur die Bundesrepublik Deutschland zahlt fleißig weiter, obwohl Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) erklärt hatte, korrupte Regimes in Zukunft nicht mehr allzu üppig zu bedenken. Zwischen 2016 und 2018 finanzieren deutsche Steuerzahler die Kleptokraten in Lusaka mit immerhin 97,5 Millionen Euro.

Sollte sich Deutschland dem Zahlungsboykott der anderen Länder anschließen, könnte es aufwärtsgehen mit Sambia, glaubt Volker Seitz. Der frühere Botschafter und Autor des Bestsellerbuchs „Afrika wird armregiert“, das gerade aktualisiert neu erschienen ist, gilt als profunder Kenner des Schwarzen Kontinents. 17 Jahre hat er als Diplomat dort verbracht, unter anderem als Botschafter in Benin und Kamerun. „Die jährlich 8 Milliarden Euro, die vom Bundesministerium für Zusammenarbeit an Entwicklungshilfe größtenteils nach Afrika transferiert werden, schaden den Ländern“, sagt Seitz: „Wenn die Entwicklungshilfe etwas gebracht hätte, dann würde man in Deutschland nicht über stetige Erhöhungen diskutieren, sondern reduzieren.“ Es sei ein Dilemma, dass Afrika-Politik mit Entwicklungshilfe gleichgesetzt wird. Seitz: „In kaum einem anderen Bereich sind die Wahrnehmung unserer Öffentlichkeit und der Realität so weit voneinander entfernt wie bei der Entwicklungshilfe.“ Der amerikanisch-nigerianische Schriftsteller Teju Cole habe recht mit seinem Ausspruch: „Der weiße Retter duldet morgens brutale Politik, gründet nachmittags eine Hilfsorganisation und bekommt abends dafür eine Auszeichnung.“

Seitz steht mit seiner Skepsis nicht allein. Gerade erst fand in Bonn eine entwicklungspolitische Konferenz des „Bonner Aufrufs“ statt. Zwei Tage lang diskutierten kritische Kenner der Entwicklungshilfe: neben den ehemaligen Botschaftern Volker Seitz und Wolfgang Runge (Niger) Afrikanisten wie Rainer Tetzlaff, Politikwissenschaftler wie Franz Nuscheler, Hans-Ferdinand Illy oder Peter Molt, Entwicklungshelfer und Aussteiger, Politiker wie der frühere FDP-Abgeordnete Karl Addicks. Am Ende der Tagung kamen die Fachleute zu dem Schluss: „Aus Respekt vor der Leistungsfähigkeit der afrikanischen Gesellschaften ist es geboten, auf ein Ende der bisherigen Entwicklungshilfe hinzuarbeiten und sie durch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage beiderseitiger Interessen zu ersetzen.“ Die fortdauernde Aufrechterhaltung der Entwicklungshilfe-Industrie missachte die Würde und Eigenverantwortung der Menschen in Afrika. Mehr Handel, weniger Hilfe also.

Ob das Geld für Entwicklungshilfeprojekte wirklich die Entwicklung und das Wirtschaftswachstum in den Empfängerländern anschiebt, ist unter Ökonomen seit langem höchst umstritten. Kritiker sagen, ein messbarer positiver Effekt sei nicht zu belegen. Dabei gibt es ein seltsames Mikro-Makro-Paradox, erklärt Axel Dreher von der Universität Heidelberg: Auf der Mikro-Ebene, also im Kleinen, werden die meisten Projekte positiv evaluiert. „Weltbank-Mitarbeiter prüfen etwa, ob die Bewässerungsanlage funktioniert oder die geförderte Straße gebaut wurde“, so Dreher. Bei etwa drei Vierteln der Weltbank-Projekte machen Prüfer einen Haken in der Evaluierung. Im Kleinen werden scheinbar viele Erfolge erzielt.

Aber auf der Makro-Ebene, beim Wirtschaftswachstum der Empfängerländer, ist kein positiver Effekt zu messen. „Die Literatur hat keinen robusten Zusammenhang gefunden, dass mehr Entwicklungshilfe zu mehr Entwicklung und Wachstum führt“, stellt Dreher fest. Und das obwohl die armen Länder im Durchschnitt etwa 5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aus Entwicklungshilfemitteln erhalten. Einige besonders arme Länder bekommen sogar viel mehr. Über die vergangenen fünf Jahrzehnte summierte sich die Entwicklungshilfe aller Industrieländer auf 4 Billionen Dollar.

Die Ergebnisse waren aber enttäuschend. Viele asiatische Länder, die wenig Geld erhielten, haben sich besser als afrikanische Länder entwickelt. Man kann zum Beispiel die beiden ehemaligen britischen Kolonien Ghana und Malaysia vergleichen: Beide wurden 1957 unabhängig und lagen damals auf einem ähnlichen Armutsniveau. Ghana erhielt sehr viel mehr westliche Entwicklungshilfe, doch Malaysias Wachstum war viel stärker; heute liegt das Pro-Kopf-Einkommen sechsmal so hoch wie das in Ghana. Dass Ghana von dem Geld aus der Ersten Welt auf Dauer nicht profitiert hat, weiß man in dem westafrikanischen Land selbst. „Wir können nicht länger eine Politik für unsere Länder und Regionen verfolgen, die auf irgendeiner Unterstützung, die uns die westliche Welt, Frankreich oder die Europäische Union geben kann, basiert“, erklärte Ghanas Präsident Nana Akufo Addo anlässlich eines Besuchs seines französischen Kollegen Emmanuel Macron: „Das hat nicht funktioniert, und es wird nicht funktionieren.“

Ein Hauptproblem der Entwicklungshilfe ist, dass die Geber nicht sicherstellen können, ob ihr Geld zielgenau ankommt. Zwar mag es sein, dass beispielsweise ein Brunnen oder eine Schule gebaut wird. Aber es ist möglich, dass die Regierung des Empfängerstaats die eigenen Ausgaben für Brunnen oder Schulen entsprechend kürzt und die Budgetmittel lieber ins Militär umleitet, erklärt Entwicklungsökonom Dreher. Oder das Geld versickert ganz in den Taschen korrupter Herrscher und der Bürokratie. Ein Regen aus Hilfsgeld führt so zu einer Verschlechterung der Institutionen vor Ort. Außerdem lässt sich feststellen, dass Hilfsgelder Verteilungskonflikte anheizen können. In einigen Fällen haben sie zudem die Wechselkurse verschoben; die Aufwertung des Empfängerlandes erschwerte es dessen Wirtschaft, zu exportieren. „Es gibt sehr viele problematische Nebeneffekte von Entwicklungshilfe“, sagt Dreher.

Die Summen, die jährlich aus den Industrieländern in die „unterentwickelten“ Länder fließen, sind dabei beachtlich. Fast 145 Milliarden Dollar waren es im vergangenen Jahr laut OECD-Angaben, davon 25 Milliarden Dollar für die Länder Afrikas südlich der Sahara. Allerdings übersteigen die privaten Überweisungen (Remittances) von ausgewanderten Afrikanern in ihre Heimatländer inzwischen die staatlichen Hilfsgelder deutlich. Nach Subsahara-Afrika überweisen Emigranten jährlich mehr als 30 Milliarden Dollar, schätzt die Weltbank. Nach Nordafrika sowie in den Nahen und Mittleren Osten sind es sogar mehr als 50 Milliarden Dollar im Jahr. Und noch bedeutender als die Überweisungen von Migranten sind Direktinvestitionen von Unternehmen: Nach Afrika fließen laut den Zahlen der UN-Behörde Unctad meist etwas mehr als 50 Milliarden Dollar jährlich an ausländischen Direktinvestitionen.

Setzt man das in Bezug zur Größe des Kontinents und zur Einwohnerzahl von inzwischen 1,3 Milliarden Menschen, ist das auch wieder wenig. Der Entwicklungsökonom Paul Collier beklagte kürzlich im F.A.Z.-Interview, Afrika brauche dringend mehr westliche Unternehmen und weniger westliche Hilfs-NGOs. Er verspricht sich von privaten gewinnorientierten Investitionen weit mehr als von den Aktivitäten der Hilfsorganisationen.

Ähnlich sieht das Colliers deutscher Kollege Robert Kappel von der Universität Leipzig. Auch er fordert ein Ende der destruktiven Entwicklungspolitik – dennoch könne die Politik etwas tun, indem sie zum Beispiel potentielle Afrika-Investoren finanziell stärker absichert. „Fairer Handel mit Afrika bedeutet zudem, dass man mehr tut, als sich lediglich mit den nichttarifären Handelsbeschränkungen, also Quoten, Gesundheitsbestimmungen und den technischen Normen der Europäer zu befassen“, sagt Kappel, „fairer Handel heißt auch, endlich die exzessiven Subventionierung der europäischen Landwirtschaft zu beenden.“ Erst wenn die Produktionsbedingungen nicht mehr verzerrt würden, könne eine „Win-win-Situation“ hergestellt werden. Und vielleicht stünde irgendwann sogar ein Land wie Sambia auf eigenen Beinen.