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Beitrag vom 24.12.2016

Basler Zeitung

Überlebenskampf in der Abflughalle

Johannes Dieterich aus Johannesburg

Afrika kann wunderschön sein: Über die Lebensfreude und den Humor seiner Bewohner liessen sich ganze Bücher füllen. Afrika kann allerdings auch scheusslich sein: Vor allem, wenn es um das einzelne kleine Menschlein geht. Weil Afrika keinen Martin Luther und keine französische Revolution erlebt hat, ist das Individuum zumindest für den europäischen Geschmack hier sträflich unterbewertet. Die Würde und die Rechte des Menschen werden als ortsfremde Konzepte regelmässig mit Füssen getreten. Ein Mensch zählt erst dann etwas, wenn er es zum Dorfchef oder zum Präsidenten, dem Big Man No 1, gebracht hat: Dann kann er tun und lassen, was er will.

Selbst in der Wirtschaft ist das so. Der Kunde als König existiert in Afrika nicht. Hier ist die Firma König, die dem Kunden ihre Ware oder Dienstleistung wie einem Verdurstenden das Wasser in die Wüste bringt. Ein aktuelles Beispiel: Eine Maschine der südafrikanischen Fluggesellschaft SAA bleibt in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa wegen eines Computerschadens stecken. Die rund hundert Fluggäste werden nach einer Stunde Verspätung plus einer Stunde Wartezeit in der Maschine zurück in die Abflughalle gebeten, wo das Warten erst richtig beginnt. Über acht Stunden ohne Essen und Trinken – auch Updates über den Stand der Dinge werden keine gegeben. Stattdessen sitzt das SAA-Bodenpersonal in heiterer Runde zusammen: Sie sind in diesem Fall die Dorfchefs.

Die beste Fluggesellschaft Afrikas

Neben mir sitzt ein ausgemergelter junger Mann, der fast vom Plastikstuhl rutscht. Er stellt sich als simbabwischer Lastwagenfahrer vor, der die vergangenen vier Tage wegen Malaria im Krankenhaus verbracht hat. Dort bekam er so viele Spritzen in den Po gejagt, dass er kaum noch sitzen kann. Zum Stehen ist er zu schwach und wenn er gehen muss, schlurft er wie ein Greis. Tendayi legt die gut 4000 Kilometer zwischen Johannesburg und Kinshasa fast jeden Monat zurück: Er braucht dafür 18 oder 19 Tage, je nachdem wie lange die Wartezeiten an den vier Grenzen sind. Seine jüngste Reise wurde zum Horrortrip. In Angola brach der LKW eines Freundes zusammen. Und als dieser am Strassenrand auf Hilfe wartete, raste ein betrunkener angolanischer Trucker in ihn hinein. Sein Freund starb in Tendayis Armen. Zwei Tage später wurde er selbst von einer Malaria-Attacke gefällt. Im Fieberwahn musste er von der angolanischen Grenze abgeholt und in ein Krankenhaus in Kinshasa eingeliefert werden.

Nun sitzt er schlotternd neben mir. Tendayi spricht kein Französisch, weshalb er das Bodenpersonal nicht um Auskunft bitten kann. Er muss eigentlich alle paar Stunden Pillen nehmen, hat aber kein Wasser, mit dem er sie runterschlucken kann. Als sich die Fluggesellschaft um neun Uhr abends schliesslich bereit erklärt, uns in ein Hotel zu nehmen, wird der Beschluss dermassen schlecht kommuniziert, dass Tendayi in der Abflughalle zurückgeblieben wäre, hätte ich ihn nicht mitgeschleift. Im Hotel, in dem wir noch mal zwei Stunden warten müssen, weil es der Fluggesellschaft eigentlich zu teuer ist, bekommt der halb Ohnmächtige kurz vor Mitternacht schliesslich eine Plastikkarte in die Hand gedrückt, mit der er nichts anzufangen weiss. Wie soll er ahnen, dass man in noblen Hotels damit Türen öffnen und den Strom aktivieren kann? Nachdem ich ihm den Schalter der Klimaanlage gezeigt habe, die bereits Eiskristalle an die Fenster zauberte, fällt Tendayi aufs Bett und würde vermutlich noch immer dort liegen, hätte ich ihn am nächsten Morgen nicht gerade noch rechtzeitig zur Abfahrt des Flughafenbusses aufgeweckt. SAA wurde auch in diesem Jahr wieder zur besten Fluggesellschaft Afrikas gewählt: Tendayi hat also noch mal Glück gehabt.

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Johannes Dieterich
Er berichtet schon seit 13 Jahren aus Afrika. Trotzdem hat er es noch immer nicht geschafft, sämtliche 50 Länder seines Berichterstattungsgebiets auch persönlich kennen zu lernen: Derzeit fehlen ihm noch neun. Wie es sich ob seines Namens gehört, lebt Johannes Dieterich mit seiner Frau und zwei Kindern in Johannesburg.