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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 09.11.2012

Wirtschaftswoche

Das endlose Scheitern der Entwicklungspolitik

von Ferdinand Knauß

Ob im Kosovo oder im Rest der Welt: Entwicklungshilfe funktioniert nicht. Doch die Ausgaben steigen trotzdem. Ein perfides System.

Das Urteil war vernichtend. Der Bericht des Europäischen Rechnungshofes über die Hilfen der Europäischen Union für das Kosovo ist eine Chronik des Scheiterns: Polizei, Gerichtsbarkeit und Verwaltung des jungen Staats funktionieren immer noch nicht. Das kleine Balkanland bleibt ein weitgehend rechtsfreier Raum, von wirtschaftlicher Entwicklung ist wenig zu spüren, die einzigen Geschäftsfelder die florieren, sind Menschenschmuggel und Korruption.

Hat sich Europa zu wenig gekümmert um den jüngsten Staat des Kontinents? Im Gegenteil. In das kleine Land pumpte die westliche Staatengemeinschaft zwischen 1999 und 2007 rund 3,5 Milliarden Euro, zwei Drittel davon kamen aus Brüssel und den EU-Ländern. EULEX, die "Rechtsstaatlichkeits-mission" der EU allein verschlang in den vergangenen fünf Jahren 614 Millionen Euro. Es ist damit die größte Krisenmanagement-Aktion der EU. "Kosovo ist pro Kopf der größte Empfänger von EU-Hilfe in der Welt", heißt es im Bericht.

Ebenso deprimierend wie der Bericht selbst ist die Tatsache, dass er offenbar kaum jemanden überraschte und empörte. Einigen Zeitungen war er einen Artikel wert. Aber das war es dann wohl. Weder aus Brüssel noch aus irgendeiner anderen Hauptstadt der Geberländer war eine laute Forderung zu vernehmen, die Hilfen für das Kosovo in der existierenden Form einzustellen oder sie auch nur grundlegend in Frage zu stellen.

Man nimmt das zur Kenntnis und glaubt an spezifische Missstände, die man beheben kann. Aber EULEX im Kosovo ist leider keine Ausnahme, sondern nur ein Beispiel von vielen. Entwicklungspolitik funktioniert nicht, weder in Europa, noch in Afrika oder sonst wo. Nation Building ist eine Baustelle, die nie fertig wird. Warum eigentlich?

Die Bemühungen der westlichen Welt um den Aufbau moderner Staaten nach ihrem Ebenbild zeigen überall vergleichbare Phänomene. Der Ablauf ist meist etwa so: Ein kriegerischer oder bedrohlicher Zustand wird durch eine militärische Intervention oder andere unwiderstehliche Machtmittel von außen beendet. Sofort nach den Soldaten kommen die ausländischen Experten: Ein Heer von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen - NGOs genannt - strömt herein. Natürlich hilft das zunächst sehr schnell, die unmittelbare Not zu lindern. Mit üppigen Mitteln aus den Staatskassen der "Geberländer" und großzügigen Spenden wohlmeinender Bürger dieser Länder rekrutieren die Hilfsorganisationen eine Auxiliartruppe einheimischer Fahrer, Dolmetscher und Vorzeige-Unternehmer. Es entsteht eine Schicht von Privilegierten und Profiteuren der Entwicklungspolitik, die kein Interesse daran haben, dass sich am Zustand der Hilfsbedürftigkeit etwas ändert. Und dabei bleibt es dann auf Jahre hinaus. Im Kosovo, in Bosnien, in Afghanistan, in zahlreichen Ländern Afrikas und des Nahen Ostens.

Entwicklungspolitik innerhalb Europas

Eine Variante dieses Modells der Entwicklungshilfe ist auch innerhalb der EU zu beobachten. Die Geschichte der Süd-Erweiterung und der Kohäsionsfonds ist letztlich eine Geschichte der innereuropäischen Entwicklungspolitik. Das vergleichsweise zurückgebliebene Südeuropa, inklusive Süditalien, drohte in den 70er Jahren nach dem Ende der faschistischen Regime in Portugal, Spanien und Griechenland, kommunistisch zu werden, möglicherweise mit gewalttätigen Folgen. Griechenland hatte 1945 bis 1949 einen Bürgerkrieg erlebt, noch 1973 waren linke Studenten von Panzern zusammengeschossen worden. In Spanien versuchten Offiziere noch 1981 einen Putsch. In Südeuropa waren damals genug Rechnungen offen, die manch einer gerne mit Blut beglichen hätte. Da sprang die damals sozialdemokratisch dominierte Europäische Gemeinschaft ein. Die Strukturhilfen aus Brüssel versprachen eine attraktivere Alternative zum Eurokommunismus. Spätestens mit dem Beitritt Griechenlands 1979 war Europa-Politik auch Entwicklungspolitik.

Natürlich haben sich Spanien, Portugal und Griechenland seither entwickelt. Der Wohlstand stieg gewaltig - oberflächlich betrachtet schien er in den 1990er Jahren fast mitteleuropäisches Niveau erreicht zu haben. Als die Brüsseler Hilfen aber weniger wurden, weil auch Osteuropa seinen Teil aus dem Topf beanspruchte, konnten die Südeuropäer ihren neu errungenen Lebensstandard nur halten, weil ihnen die Währungsunion erlaubte, sich zinsgünstig zu verschulden. Und jetzt, da diese Quelle versiegt ist, sind sie wieder auf direkte Hilfe angewiesen. Und die wird ihnen nicht versagt.

Mentalität der Abhängigkeit

Was eigentlich die in dreißig Jahren EG- und EU-Mitgliedschaft nach Griechenland geflossenen Milliarden aus den Kohäsionsfonds bewirkt haben, traut man sich kaum laut zu fragen. Von einer Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit kann jedenfalls keine Rede sein.

Betrachtet man die Geschichte der Entwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte unvoreingenommen, muss man feststellen: Gesellschaften, in denen der Zufluss von Hilfe aus dem Ausland über Jahre anhält, entwickeln sich nicht so wie die Entwicklungspolitiker es bei "Geberkonferenzen" vorzeichnen. Statt unternehmerischer Initiative, selbsttragendem Wirtschaftswachstum und einer stabilen Bürgergesellschaft mit funktionierenden staatlichen Strukturen entwickeln solche Gesellschaften eine Mentalität der Abhängigkeit. Wenn das Geld der Geber bedingungslos sprudelt, gibt es keinen Grund, an diesem Zustand etwas zu ändern.

Die Realität ist leider oft verdammt nah dran an dem unterhaltsamen Brettspiel "Junta": Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Familienclans, die die fiktive "Republica de las Bananas" regieren. Ziel des Spiels ist die Veruntreuung von Hilfszahlungen einer Großmacht, die keine Fragen stellt, auf dem eigenen Schweizer Konto.

Die Entscheider ignorieren das Scheitern

An Erkenntnissen über das Scheitern der Entwicklungshilfe mangelt es nicht. "Hilfe war und ist weiterhin und durch und durch ein politisches, ökonomisches und humanitäres Desaster für die meisten Entwicklungsländer" verkündet die aus Sambia stammende Ökonomin Dambisa Moyo. Mit ihrem Buch "Dead aid" hat sie 2009 weltweit für Furore gesorgt. Sie war damals nicht die erste, die die Nutzlosigkeit und Schädlichkeit der etablierten Entwicklungspolitik beklagte. Und auch nach ihr melden sich immer wieder Kritiker des Helfens zu Wort. Der Afrika-Korrespondent der FAZ, Thomas Scheen, führt seit Jahren einen publizistischen Verzweiflungskampf gegen die Hilfsindustrie der NGOs. Unterstützung erhält er von Volker Seitz, langjähriger deutscher Botschafter in Kamerun und Autor des Buches "Afrika wird armregiert".

Diese Bücher erreichen hohe Auflagen, die Autoren werden interviewt - aber die Entscheider stellen sich stumm: "Jedes Infragestellen der Entwicklungszusammenarbeit war unerwünscht", berichtet Seitz aus seiner aktiven Zeit, "da dies den Finanztransfer ins Stocken bringen könnte. Und wenn das Geld nicht ausgegeben werden kann, dann können auch unmöglich immer mehr Mittel vom Finanzminister verlangt werden." Ob im Kosovo oder in Kamerun, die Milliarden aus den Etats der entwickelten Welt fließen weiter - und versickern weiter.

Allenfalls die Schwerpunkte verändern sich. Die neueste Mode der Entwicklungspolitik ist das Capacity-Building: Man sucht nach fähigen Beamten und bildet sie aus. Ein weites und attraktives Einsatzfeld für NGOs. "Das mutet mitunter komisch an, wenn amerikanische Jurastudentinnen in Hotpants versuchen, hartgesottenen Buschkämpfern die Feinheiten einer geschlechtsneutralen Stellenausschreibung näherzubringen", berichtet Scheen aus dem Südsudan.

Die Beharrungskräfte der Mitleidsindustrie

Ein triftiger Grund für die Resistenz der Helfer gegen ihr eigenes Scheitern wird von den Kritikern immer wieder benannt: "Natürlich haben die Helfer ein wesentliches Interesse daran, für den Rest des Arbeitslebens in der Entwicklungshilfe zu bleiben", schreibt Seitz. Die "Mitleidsindustrie" (Linda Polmann) besteht aus rund 370 000 Nichtregierungsorganisationen, die meisten davon in der Entwicklungshilfe aktiv. Dazu kommen staatliche Organisationen, wie die deutsche "Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit" (GIZ). Wie viel Geld diese Branche umsetzt, weiß niemand genau. Weltweit bis zu 150 Milliarden Dollar pro Jahr, sagen die Schätzungen. Allein in Deutschland wurden 2011 nach Angaben des Spendenrates 4,3 Milliarden Euro gespendet, drei Viertel davon für "humanitäre Hilfe". 6,4 Milliarden Euro beträgt der Etat des Bundesministeriums für Internationale Zusammenarbeit. Hinter diesen Beträgen stehen Hunderttausende Menschen, die ihren Lebensunterhalt als professionelle Helfer verdienen.

Aber diese vulgärökonomische Erklärung genügt natürlich nicht, um die erstaunliche Schaffenskraft der Entwicklungspolitik und ihres wachsenden Helferheeres zu erklären. Die NGOs wären weder für ihr eigenes Personal noch für die vielen Millionen Spender attraktiv, wenn sie nicht auch eine starke immaterielle Motivation anböten.

Anderen Menschen zu helfen - oder zumindest zu glauben, dass man das tut - ist ein vermutlich uraltes und allzu menschliches Bedürfnis. Das Schenken kommt in der Menschheitsentwicklung lange vor dem Verkaufen, wie der Anthropologe Marcel Mauss feststellte. Seit Mauss hat die Soziologie - sträflicherweise weitgehend unbemerkt durch die Standardökonomie - eine eigene Theorie der "Gift Economy" entwickelt. Der homo donans, der schenkende Mensch, ist also mindestens ebenso real wie der stets seinen Nutzen maximierende homo oeconomicus. Wer an einen echten, völlig uneigennützigen Altruismus nicht glauben mag, kann sich das Helfersyndrom auch als getarnte Form der Reziprozität erklären: Irgendwie erwartet der Helfer eben doch eine Gegenleistung. Zum Beispiel den Dank des Beschenkten, der dem eigenen Handeln höheren Sinn gibt. Geld für Zwecke auszugeben, die als sinnvoll erachtet werden, kann höchste Befriedigung verschaffen.

Ein falsches Menschenbild

Dafür, dass Helfer und Spender Entwicklungshilfe als sinnvoll ansehen, und Regierungen ihre wachsenden Etats für Entwicklungsprojekte politisch durchsetzen können, sorgt ein im Westen nach Jahrzehnten des Friedens und Wohlstandes etabliertes Menschenbild. Ein geschichtsblindes Menschenbild, das die Zähigkeit vormoderner, kultureller Prägungen in den Gesellschaften des Südens und Ostens ignoriert. Ein allzu optimistisches Menschenbild, in dem Eigenschaften wie Faulheit, Korrumpierbarkeit und Ressentiment nicht vorkommen. Ein ursozialdemokratisches Bild, in dem die Menschen zur Sonne, zur Freiheit geführt werden müssen. Ein falsches Bild, das den Blick auf die Realität verstellt.

In der wirklichen Welt jenseits der falschen Bilder haben aufstrebende Gesellschaften stets selbst und aus eigener Kraft ihren Weg zur Sonne gefunden. Warum manche Staaten reich werden - und andere arm bleiben oder es wieder werden - ist eine der großen Fragen, die sich Ökonomen und Historiker immer wieder stellen. Sie wägen geographische, klimatische, politische und andere Ursachen gegeneinander ab und kommen zu verschiedenen Begründungen. "Die Kultur macht den entscheidenden Unterschied", schreibt zum Beispiel David Landes ("Wohlstand und Armut der Nationen"). Den einen, richtigen Weg gibt es ganz offensichtlich aber nicht.

Eine der wenigen Gemeinsamkeiten aller volkswirtschaftliche Erfolgsgeschichten ist, dass es immer auch wissenschaftliche Erfolgsgeschichten waren. Das gilt für Europas Aufstieg ab dem 16. Jahrhundert ebenso wie für die Aufholjagd Japans seit 1853. Der Hunger nach Wissen ging überall einher mit dem nach wirtschaftlichem Aufstieg und nationaler Größe. Deutschlands Aufstieg zur größten Industrienation Europas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fiel mit der Hochzeit der deutschen Universität zusammen. Auch Japan erhielt nichts geschenkt, sondern gründete Universitäten und lud europäische Wissenschaftler ein. Ähnliches gilt für die heutigen Aufsteigernationen in Asien und anderswo. Umgekehrt sind die Sorgenkinder der Entwicklungspolitik in Europa und im Rest der Welt identisch mit den Staaten, die in keiner wissenschaftlichen Publikationsstatistik auftauchen. Griechenlands Universitätslandschaft ist nicht zufällig eine Exzellenzwüste. Die Schlüsse für die Entwicklungspolitik liegen auf der Hand.