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mar, 13 Sep 2011 - 22:33

Elke Zarth, Ségou, Mail
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Dezentralisierung in Mali - große Schilder in kleinen Gärten

Die Einschätzung, inwieweit die Dezentralisierung in Mali heute umgesetzt ist, ist zuallererst sicher eine Sache der Perspektive und die führt jeweils zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Die Frage nach der Motivation dürfte dabei grundlegend sein. Wer betreibt aus welchen Gründen Dezentralisation und mit welchem Ziel? Hier spielen Geld, Macht und Sendungsbewusstsein eine tragende Rolle.

Die malische Regierung muss sich heute mehr denn je bemühen, die Geberländer vom guten Willen zur Demokratisierung zu überzeugen, um sich für Entwicklungshilfefonds zu qualifizieren, und erschafft ein ausreichendes Bild auch zur Dezentralisierung. Die Niederlassungen der Geberländer (wie alle anderen Projekte wird auch die Dezentralisierung nicht durch in Mali erwirtschaftetes Geld finanziert) sind in ihrer Bewertung der Bemühungen großzügig - Etats müssen verteilt und ihre Verwendung gegenüber dem Steuerzahler legitimiert, eigene wirtschaftliche Interessen im Rennen neben anderen Interessenten verteidigt werden, und Mali zeigt sich offen für die Zusammenarbeit, gibt genug Anlass zu positiven Berichten.

Die notwendigen Strukturen für die Dezentralisierung (Bürgermeisterämter in den Kommunen, Wahlen, bedingte Eigenverwaltung und Steuerrecht etc.) wurden eingerichtet und arbeiten je nach Selbstverständnis der Gemeinden und vor allem ihrer politischen Vertreter mehr oder weniger effektiv. So hat die einfache Bevölkerung durchaus den Eindruck, dass etwas geschieht und sie beteiligt ist. Das war sie allerdings auch vor der Dezentralisierung durch die traditionelle Dorforganisation, und es stellt sich die Frage, ob die neuen politisierten Strukturen (die vom Zentrum finanziell angefüttert werden) besser funktionieren oder ob sie nicht gar gewachsene Strukturen verdrängen und so vor allem in ländlichen Gebieten der ständisch traditionellen Gesellschaftsstruktur mit ihrer Dorfdemokratie zuwiderläuft und Konflikte herbeiführt. Vor allem in den entfernten Regionen des Nordens ist man an unabhängiges Handeln gewöhnt und hat hierfür eigene Strategien entwickelt.

In kleinen Dingen (Geburtsurkunden, Personalausweis, Führerschein etc.) ist die Administration einen Schritt weiter gekommen. Der Ausbau der Infrastruktur dürfte für viele Malier gar ganz erstaunlich sein. Sie sind zwar nicht die wirklichen Nutznießer (das sind sicher die großen ausländischen Unternehmen, die in den wasserreichen Regionen z.B. Agrobusiness betreiben), aber es macht den Anschein, als ginge es aufwärts. In der Regel verfügt die Bevölkerung leider nicht über die notwendigen Kompetenzen, um über den üblichen Kleinhandel hinaus an der wirtschaftlichen Entwicklung teilzunehmen. Die PPP-Projekte sind steuerbefreit und generieren also keine Abgaben an die Regionen. Zudem läuft die Landvergabe über das Zentrum und die Gemeinden vor Ort (wenn sie nicht gar umgesiedelt werden) stehen dem als "Wahrer des Patrimoine" im dezentralistischen Sinne nur mit schwachen Argumenten gegenüber.

Die lokalen Amtsinhaber nutzen ihre Befugnisse leidlich aus (Bürgermeister sind dafür berüchtigt, dass sie Land, das ihnen nicht gehört, gleich mehrmals verkaufen), aber man besänftigt den Argwohn auch hie und da mit "Bonbons" (z.B. einen Tag lang kostenlose Geburtsurkunden für alle Neugeborenen). Das afrikanische Machtphänomen (ein Mächtiger, der seine Macht nicht nützt, verdient sie nicht) trägt dazu bei, dass die Gemüter ruhig bleiben.

Für wirklich wichtige Dinge des alltäglichen Lebens muss man nach wie vor in die Hauptstadt. Die Wege der Behörden sind verschlungen und es dürfte für einen Malier aus der Peripherie ohne ausreichende Bildung kaum möglich sein, den komplexen Papiermarathon (und die individuelle Auslegung der Gebührenordnungen) durchzuhalten. Es mangelt an Transparenz und demokratischem Verständnis bei den Behörden, und nicht selten vergehen Jahre, bis ein Sachverhalt (z.B. ein Antrag auf Rente) geklärt wird oder letztlich schlicht im Sande verläuft. An den Schaltstellen ist man sich der Macht bewusst und spielt diese auch aus. Von Bamako aus herrscht nach wie vor ein extremes Machtgefälle. Die großen Entscheidungen werden dort ebenso vorgenommen wie die Verteilung der Mittel (von denen ein erklecklicher Teil der Korruption zufällt).

In den Peripherien können die Gemeinden Steuern einstreichen, die für die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort vorgesehen sind - sie scheitern allerdings an der "Weigerung" der Bevölkerung. Gerade die Landbevölkerung befindet sich mit der Agrikultur noch auf der Subsistenzebene und ist kaum in der Lage, Steuern abzuführen. Wer Steuern zahlen könnte, findet Mittel und Wege, das zu vermeiden. Die vormals staatlichen Steuerbehörden wirken zudem nicht mehr autoritär auf die Zahlungsmoral. In der malischen Bevölkerung hat diesbezüglich kein Umdenken stattgefunden: Regularien und Obligationen eines demokratischen Systems werden generell aus verständlichen Gründen umgangen. Es besteht kaum Grund zum Vertrauen in die staatlichen Strukturen, und man ist der Meinung, der Staat sei schließlich für einen da und nicht umgekehrt.

Das Rechtssystem reagiert im Großen wie im Kleinen kaum auf solche Delikte, weil es regelmäßig der verwickelten Moralstruktur und dem Nepotismus unterliegt. Hin und wieder steht der Staat den Gemeinden mit finanzieller Hilfe zur Seite, wo es am Einfachsten mangelt.

Ein ganzheitliches Umdenken wäre sicher nur durch die frühe Erziehung hin zu demokratischen Ideen und Denken fort von Clansbewusstsein, Nepotismus und traditionell organisierten Strukturen möglich. Allerdings scheint gerade das Bildungssystem das erklärte Stiefkind der Veranstaltung zu sein. Mit der Entscheidung, die ersten 5 Schuljahre in Bambara zu unterrichten, hat man endgültig - im Wissen der Geberländer und ihrer teuren entwicklungsfördernden Antennen im Land - den Rückweg angetreten. Die "pédagogie convergente" stützt sich auf die Idee, dass die bessere Kenntnis der Muttersprache das Erlernen der Fremdsprache erleichtert - ignoriert aber, dass Bambara eine traditionelle Sprache für traditionelle Inhalte ist und Kinder mit 11/12Jahren die Leichtigkeit zum Spracherwerb verlieren - womit Französisch dann unvermeidlich Fremdsprache wird Nichts spräche indes dagegen, beides parallel zu fördern und so Brücken zu bauen.

Quantitativ hat das Schulwesen enorme Fortschritte gemacht (und auch bei der Bevölkerung den fatalen Eindruck erweckt, man sei auf dem Wege der Modernisierung) - qualitativ irreparable Rückschritte, weil seit den letzten großangelegten Bemühungen vonseiten der EU Ende der 90er Jahre, das Bildungssystem zu modernisieren, eine weitere Generation ohne nachhaltiges Wissen ins Erwachsenenleben entlassen wurde. Die Analphabetenrate steigt, die Re-Analphabetisierung ist erheblich, die Abschlussquoten in der mittleren Bildung liegen unter 40%, universitär z.T. unter 30%. Man muss dazu sagen, dass die Einstellung der malischen Allgemeinheit zum Bildungssystem und zur Bildung selbst für europäisches Verständnis durchaus prekär ist: ein großer Teil des Sektors wurde privatisiert und kommerzialisiert, die Investitionen auf familiärer Ebene gehen selten in Lernmaterial, sondern eher in das jeweils gängige Moped-Modell, mit dem man an der Schule vorfährt. Lehrer kommen nicht von selbst auf die Idee, ihre Materialien zu aktualisieren. Man erwartet, dass Bildung gebracht/serviert wird. Eigeninitiative und Fragenstellen sind unerwünscht, kritisch-analytisches oder gar autokritisches Denken so wie die ganze Dialektik ein Unding. Es gibt auch nach 50 Jahren Entwicklungshilfe kein nennenswertes Berufsbildungssystem.

Wer ein echtes Interesse am "Fortkommen" seiner Kinder hat, nimmt den Begriff wörtlich und schickt sie ins Ausland - die hierfür notwendigen Mittel sind u.a. jenen vorbehalten, die eigentlich für die Abschaffung des Bildungsnotstandes zuständig sind. Diese wiederum haben aus traditionellen Gründen keinerlei Interesse an der Bildung der breiten Masse.

So dürfte die Dezentralisierung theoretisch erfolgreich in Mali lanciert worden sein und kann sich unter den anderen afrikanischen Staaten sehen lassen. Was genau allerdings die Akteure darunter verstehen und was sie im Einzelnen daraus machen, steht auf einem anderen Blatt und hat wie so oft wenig mit den Vorstellungen der Spender zu tun.