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Beitrag vom 23.06.2017

Wiener Zeitung

Migration

"Mittelmeerroute schließen, aber in Afrika investieren"

Für Migrationsforscher Paul Collier ist Kurz' Forderung, die Entwicklungshilfe zu streichen "weder notwendig, noch vertretbar".

Wien/Oxford. Der britische Migrationsexperte Sir Paul Collier spricht sich für die Schließung der Mittelmeerroute aus. Die Drohung von Außenminister Sebastian Kurz, nordafrikanischen Ländern die Entwicklungshilfe zu streichen, wenn sie Flüchtlinge nicht zurücknähmen, bezeichnete Collier am Freitag im Gespräch mit der APA in Wien aber als "weder notwendig noch moralisch vertretbar".

"Es muss eine legale Route nach Europa geben"

An sich unterstützte der Professor an der Universität Oxford aber die Forderung, die Migration über das Mittelmeer zu unterbinden. Die Tatsache, dass der Weg nach Europa nur über Menschenschmuggler über das Mittelmeer funktioniere, sei keine sinnvolle Art, mit Migration umzugehen, erklärte Collier in einem Interview mit der APA am Freitag. Stattdessen müsse es "klarerweise eine legale Route für Asylberechtigte nach Europa" geben.

Die illegale Route müsse geschlossen werden, um nicht noch mehr Menschen, die in ihren eigenen Ländern gebraucht würden, zur gefährlichen Reise nach Europa zu motivieren. Die Schließung der Mittelmeerroute müsse aber in Verbindung mit Investitions- und Hilfsprojekten in Afrika geschehen, und Flüchtlingen müsse es erlaubt sein, zu arbeiten.

Menschen setzen unter falschen Vorstellungen ihr Lebens aufs Spiel

Collier erklärte, dass die Menschen unter falschen Vorstellungen ihr Leben aufs Spiel setzen. "Denn sie haben in Europa keine großen Berufsaussichten." Diese Vorstellungen würden u.a. von bereits in Europa befindlichen Migranten entfacht, die ein falsches Bild in ihre Herkunftsländer schickten, da sie nicht über ihre schlechte Lage in Europa berichten wollten. "Den jungen, gut situierten Menschen, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa kommen, muss stattdessen durch Investitionen die Möglichkeit auf einen sicheren Arbeitsplatz im eigenen Land gegeben werden."

Die Mittelmeerroute kann laut Collier geschlossen werden, indem die Menschen in abgefangenen Flüchtlingsbooten in sichere Zufluchtsorte außerhalb Europas gebracht werden. Sobald man damit anfinge, würde sich das Problem mit Schleuserbanden von selbst lösen. "Niemand wird mehr sein Leben riskieren, wenn er die Aussicht auf einen gut zugänglichen und sicheren Zufluchtsort hat."

Diese Zufluchtsorte sind zehn Staaten, die bereits den Großteil der Flüchtlinge aufgenommen haben und sich in der Nähe der Krisenherde befinden. Zwei von ihnen sind Jordanien und Äthiopien, wo bereits Arbeitsplätze sowohl für die lokale Bevölkerung, als auch für die Flüchtlinge geschaffen würden. Collier hat bereits mit der deutschen Bundesregierung die G-20-Initiative "Compact with Africa" organisiert, die vergangene Woche in Berlin stattgefunden hat.

Hier konnten Staats- und Regierungschefs von sieben afrikanischen Ländern den Investoren die wirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer Staaten aufzeigen. Collier erklärte, dass sich vor allem Senegal schnell entwickelt und Firmen nun in dem Land investierten. Die Herausforderung sei es also, europäische Firmen zu Investitionen in Afrika zu bewegen, um die wirtschaftlichen Möglichkeiten auszubauen und so der Migration vorzubeugen.

"Man muss Afrika eine Partnerschaft auf Augenhöhe anbieten"

"Man muss", so Collier, "Afrika eine Partnerschaft auf Augenhöhe anbieten". Der Vorschlag von Außenminister Kurz, die Entwicklungshilfe für Staaten zu kürzen, die keine Flüchtlinge entgegennehmen wollen, bewertet er als "weder notwendig noch ethisch vertretbar". "Europa hat bereits zu viel gedroht, gepredigt und bestochen", so Collier weiter, "Unsere Herangehensweisen müssen eine solide, ethische Basis haben, so wie mit 'Compact' in Africa."

Dabei handle es sich um freiwillige Möglichkeiten für afrikanische Länder, private Investoren und somit Arbeitsplätze ins Land zu bringen. In solchen Ländern sei die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, auch höher. Sie müssten aber unterstützt und nicht bedroht werden.

"Die Schande der vergangenen Jahre war es, dass diesen Ländern nicht geholfen wurde" betonte Collier. Man dürfe sich nicht in Extremen bewegen: "Diese Situation ist zu wichtig, um nicht unsere Herzen zu verwenden. Wir müssen Mitgefühl zeigen, aber wir müssen auch unseren Kopf verwenden, um herauszufinden, wie wir dieses Mitgefühl, diese Hilfe leisten", fügte Collier hinzu.

Die Idee eines Marshall-Plans, die Collier bereits vor zehn Jahren vorgestellt hatte, sieht er mittlerweile nicht mehr als zeitgemäß. Es gäbe nicht mehr genug öffentliches Geld, um den afrikanischen Staaten zu helfen. Vielmehr müsse es Anreize für den privaten Sektor geben, in Afrika zu investieren, die mit öffentlichen Mitteln gestützt sind: "Staaten brauchen Firmen, die Standorte eröffnen, sodass die Bevölkerung effektiver arbeiten kann und ihre Spezialisierung erhöht wird"

Die großen Zufluchtsländer seien gut auf Flüchtlingswellen vorbereitet, solange sie die wirtschaftliche Unterstützung anderer Länder erhalten, die Arbeitsplätze und Geld bringen, sodass die Situation sie nicht ruiniere. "In Jordanien gibt es bereits 40 Industriezonen, europäische Firmen müssten dort nur in näherer Zukunft einen Standort eröffnen." Die Europäische Union habe Jordanien bereits zehn Jahre lang freien Marktzugang gewährt.

Collier bekräftigte seine Aussage, Demokratie sei nicht immer das beste Mittel, um afrikanische Staaten zu stabilisieren. Äthiopien und Ruanda, die keine Vorzeige-Demokratien seien, setzten die Interessen der Bevölkerung effektiv um. "Wir sollten uns davon verabschieden, nur einen einzigen Weg nach vorne zu sehen. Natürlich wäre es schön, wenn wir alle dieselben demokratischen Leitlinien wie das heutige Dänemark hätten. (...) Aber Dänemark wurde zum heutigen Dänemark dank einer früheren funktionierenden Staatsform, von dem eine Entwicklung zur Demokratie ausgehen konnte."

Dies treffe auch auf den Nahen Osten zu. Das Wichtigste sei, meinte Collier, "dass die Bevölkerung den Staat als legitim anerkennt." Besonders schlimm sei eine sich selbst als legitim darstellende Regierung, die von der Bevölkerung nicht als legitim anerkannt werde.

(Das Interview führte Martin Auernheimer/APA)