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Beitrag vom 23.06.2025

FAZ

Raubbau an Afrikas Regenwäldern

Von Claudia Bröll

Forscher sehen einen rapiden Schwund der Wälder. Das ist auch das Ergebnis von Konflikten, wie sie in Ostkongo seit Jahren toben.

Der Virunga-Nationalpark könnte eine Touristenattraktion sein. Auf einer Fläche fast so groß wie Zypern befinden sich Vulkane, Gletscher, Seen und dichter Regenwald. Doch seit in Ostkongo der schon lange dauernde Konflikt mit Ruanda und der bewaffneten Miliz M23 eskalierte, ist der Park für den Tourismus geschlossen. Nicht nur Besucher, welche die berühmten, dort lebenden Berggorillas sehen wollen, fehlen. Umweltschutzorganisationen mussten Büros schließen, Parkwächter können vielerorts nicht mehr patrouillieren. Dem Raubbau an der Natur und den Wäldern sind Tür und Tor geöffnet.

Angesichts der Gewalt, der Vertreibung Hunderttausender Menschen und der humanitären Katastrophe sind die Folgen für die Umwelt in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund geraten. Wissenschaftler stellen jedoch einen rapiden Anstieg der Entwaldung fest, seit die Kämpfe zugenommen haben. Unzählige Menschen flüchten aus den Städten, um in den Wäldern Schutz zu suchen. Die Nachfrage nach Holz und Holzkohle zum Kochen ist stark gewachsen. Auch deswegen blüht der Handel mit den illegal abgeholzten Rohstoffen. Zusätzlich profitieren die Milizen von diesem Handel, weil sie sich über Zwangsabgaben und Wegezölle finanzieren.

10.000 Fußballfelder in einem Jahr

Wissenschaftler des World Resources Institute (WRI) schrieben in einer kürzlich veröffentlichten Studie von einer alarmierenden Entwicklung. In Kongo und in der benachbarten Republik Kongo hätten die Verluste von Wäldern im vergangenen Jahr ein nie da gewesenes Ausmaß erreicht. Wie der Amazonas in Südamerika spielt das Kongobecken nicht nur für die Biodiversität, sondern auch als Kohlenstoffsenke eine wichtige Rolle. Daten von Global Forest Watch, einer Initiative, die mithilfe von Satelliten die Entwaldung verfolgt, zeigten vor einem Jahr, dass der jährliche Verlust an Waldfläche allein im Virunga-Nationalpark um mehr als ein Fünftel auf 6804 Hektar im Jahr 2021 gestiegen war. Das ist die Größe von fast 10.000 Fußballfeldern. Im darauffolgenden Jahr schwand eine noch größere Fläche.

Konflikte sind nur einer von vielen Gründen dafür. Auch Feuer, die Rodung zur Herstellung von Holzkohle – der vorherrschenden Energieform – und die kleinbäuerliche Landwirtschaft trügen zur Entwaldung bei, heißt es in dem Bericht. So führen starkes Bevölkerungswachstum und die hohe Armut dazu, dass Kleinbauern immer weiter in die Regenwälder vordringen. Eine traditionelle Form der Subsistenzwirtschaft – also der Anbau für die eigene Familie – ist der „Wanderfeldbau“. Dabei werden Wälder für eine kurzzeitige Bepflanzung gerodet und danach eine Zeit lang brach liegen gelassen, sodass die Wälder nachwachsen können.

In weiten Teilen des Tropengürtels weicht dieser Wanderfeldbau jedoch zunehmend der permanenten Landwirtschaft. Die Zeiten, in denen die Flächen brach liegen, werden außerdem immer kürzer. Eine vollständige Regenerierung ist nicht mehr möglich, und die Bodenqualität leidet. Es ist ein Teufelskreis für die Kleinbauern. Auf Übersichtskarten der Wissenschaftler ist die Entwicklung in Form von gelben und orangefarbenen Flecken gut erkennbar. Im riesigen Kongo­becken häufen sich weiterhin die gelben Flecken, die Wanderfeldbau angeben. Außerhalb des Beckens, entlang des Tropengürtels im Westen und Osten des Kontinents, aber sind große Flächen orange eingefärbt. Dies kennzeichnet die permanente Landwirtschaft. „Bisher wurde pauschal angenommen, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft die Hauptursache für die Entwaldung in Afrika ist“, sagt Tim Rayden von der Wildlife Conservation Society, einer Naturschutzorganisation. Die neue Analyse zeige, dass die Entwaldung in viel größerem Umfang durch den Anbau sogenannter Dauerkulturen wie Tee, Kaffee, Kakao und Palmöl vorangetrieben wird als bisher angenommen.

Ehrgeizige Ziele

Die große Frage ist, wie der starke Schwund der Regenwälder aufgehalten werden kann. Zahlreiche afrikanische Länder hätten sich ehrgeizige Ziele gesetzt, sagt Rayden. Mehr als dreißig afrikanische Länder beteiligen sich zum Beispiel an der African Forest Landscape Restoration Initiative (AFR100), die hundert Millionen Hektar beschädigte Wälder und andere Flächen bis 2030 wiederherstellen und zugleich Arbeitsplätze schaffen will. Die Umsetzung der vollmundigen Versprechen auf politischer Bühne und auf Weltklimakonferenzen ist jedoch schwierig und hängt von den finanziellen Beiträgen der reichen Industriestaaten ab.

In Kongo spiegelten die hohen Waldverluste die „harten Realitäten wider, mit denen die Menschen konfrontiert sind: Armut, Konflikte und eine starke Abhängigkeit von den Wäldern für ihr Überleben“, sagt Teodyl Nkuintchua des WRI-Afrikateams. Es gebe kein Patentrezept, „aber wir werden die derzeitige Entwicklung nicht ändern können, solange wir nicht auch die dortige Wirtschaft unterstützen und die Einkommenssituation der Menschen verbessern“.

Für merkliche Fortschritte müsse auch die Privatwirtschaft mit von der Partie sein, ergänzt Rayden. Internationale Konzerne haben beispielsweise mit vielfältigen Nachhaltigkeitsprogrammen auf Vorschriften wie die „Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten“ der Europäischen Union reagiert. Sie verlangt von den Unternehmen den Nachweis, dass Produkte wie Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja oder Holz nicht zur Entwaldung beitragen. „Das ist die gute Nachricht“, sagt der Forscher. Gleichzeitig gibt es jedoch großen Druck vonseiten der Industrie, solche Vorschriften aufzuweichen und den Zeitplan auszuweiten. „Wir sehen Fortschritte, aber es ist ein mühsamer Prozess der kleinen Schritte.“