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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 04.04.2024

FAZ

Viele Reiche in armen Ländern kassieren Sozialleistungen

VON WINAND VON PETERSDORFF

Ein Teil der Sozialhilfe landet in den Händen der Reichen, während sie von hohen Steuern verschont bleiben. Der IWF will das ändern – und mehr tun, um die wirtschaftliche Lage in Entwicklungsländern zu verbessern.

Die Sozialhilfe-Systeme der ärmsten Länder sind nicht nur schlecht ausgestattet. Ein großer Teil der spärlichen Mittel kommt überdies den Mitgliedern der obersten Einkommensschicht der jeweiligen Länder zu­gute. Das brisante Ergebnis geht aus ei­ner Untersuchung des Internationalen Währungsfonds hervor, die jetzt vor­gestellt wurde. Die sozialen Sicherungssysteme, die häufig durch internationale Entwicklungshilfe teilfinanziert werden, verfehlen damit ihren Hauptzweck, die Armut zu verringern.

Speziell in der ärmsten Großregion der Welt südlich der Sahara zeigt sich der Missstand: Dort erreicht nur grob ein Drittel der Sozialausgaben die Ärmsten im untersten Fünftel der Einkommens­pyramide. Nur ein Viertel der Mitglieder dieser untersten Einkommensklasse kommt dort überhaupt in den Genuss von Sozialleistungen. Mehr als ein Viertel der Sozialausgaben streichen dagegen Mitglieder des obersten Einkommensquintils ein. Besonders eklatant ist das Missverhältnis in Ländern wie Senegal, Uganda oder Sambia, wo mehr als 80 Prozent der Sozialausgaben nicht im untersten Einkommensquintil ankommen: Das bedeutet, dass die Ärmsten in diesen Ländern bei der Verteilung der Sozialausgaben sogar benachteiligt werden. Ohnehin geben die Länder mit niedrigen Einkommen nur rund 1 Prozent der Wirtschaftsleistung für Sozialtransfers aller Art aus.

Würde man den Anteil der Sozialausgaben, die Länder südlich der Sahara den Oberklassen der jeweiligen Länder zahlen, von 25 auf 10 Prozent reduzieren und diese Mittel adäquat umlenken, würden 40 Prozent der Ärmsten in den Genuss von Sozialausgaben kommen statt aktuell 25 Prozent, rechnen die IWF-Autoren vor. Eine solche Umschichtung würde Ar­mut besser bekämpfen, ohne den Staatshaushalt zusätzlich zu belasten. Ein faires soziales Netz könne zudem wertvoll sein, wenn die Regierung auf öffentliche Un­terstützung für umstrittene Reformen angewiesen ist wie Steuererhöhungen oder die Kürzung von Energiesubventionen, heißt es in der IWF-Analyse. Weil in vielen Ländern das soziale Netz so schlecht zugeschnitten sei auf die Bedürfnisse der armen Bevölkerung, helfe eine Expansion des sozialen Netzes wenig, um die Ar­mut zu mildern.

Wirtschaftliche Lage in Entwicklungsländern leicht verbessert

Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa, wies auf einer von IWF und Weltbank orga­nisierten Armutskonferenz darauf hin, dass auch die Steuerquote in den ärmsten Ländern gering sei. Eine IWF-Auswertung vom Herbst vergangenen Jahres verweist auf eine Einnahmenquote von 13,8 Prozent, womit die Länder mit niedrigem Einkommen deutlich hinter den reicheren Ländern zurückbleiben. Der IWF hält es für möglich, die Einnahmenquote um 9 Prozentpunkte zu erhöhen, mit verbesserter Verwaltung und Strukturreformen. Georgiewa warb dafür, dass die Länder zumindest Teile ihrer Schattenwirtschaft legalisieren und reichere Bürger und Firmen stärker belasteten.

Die Analyse gewinnt an Brisanz an­gesichts der wachsenden Überzeugung unter multilateralen Institutionen und Geberländern, dass mehr getan werden muss, um Entwicklungsländern zu helfen. Generell hat sich die wirtschaftliche Lage für die Entwicklungsländer nach Georgiewas Einschätzung leicht verbessert, weil sich die Risiken einer globalen Rezession gemindert haben. Doch viele der ärmsten Nationen haben die Folge an globalen Erschütterungen durch Pandemie, Krieg in der Ukraine und Inflation nicht verwunden.

Mehr Unterstützung notwendig

Weil gleichzeitig die öffentliche Verschuldung vieler Länder hoch sei, wanderten 13 Prozent in den Schuldendienst. Weltbank-Präsident Ajay Banga sagte auf der Konferenz, wenn die Schuldendienstanforderungen dieses Niveau erreicht haben, würden dafür Ausgaben für Schulen und Gesundheit gekürzt. Die Perspektive, zu Schwellenländern aufzuschließen, verdüstert sich, weil sich die Wachstums­raten armer Volkswirtschaften verkleinern. Nach einer Aufholjagd von Mitte der Neunzigerjahre bis 2019 konnten viele arme Länder die Einkommenskluft zu reicheren Nationen verkleinern, weil ihre Volkswirtschaften schneller wuchsen als die reicherer Nationen. Seit 2019 hat sich der Trend umgekehrt.

Angesichts dieser Perspektive habe die internationale Gemeinschaft eine große Verantwortung, mehr Unterstützung zu gewähren, sagte die IWF-Chefin. Doch die Länder müssten selbst mehr unternehmen, um ihre Volkswirtschaften zu stärken. „Es gehören immer zwei dazu“, sagte Georgiewa. Der IWF habe seit der Pandemie das Kredit­volumen für die Entwicklungsländer, zu denen nach Definition des Währungsfonds 69 Länder zählen, die den Poverty Reduction and Growth Trust (PRGT) des IWF anzapfen können, verdreifacht auf 33 Milliarden Dollar. Sie erwartet, dass IWF und Weltbank mit deutlich höherer Nachfrage nach Krediten und Hilfen konfrontiert werden.

Nachdem der IWF im letzten Zyklus Länder der Eurozone gestützt habe, erwartet er nun, dass für den nächsten Zy­klus die ärmsten Länder und fragile Schwellenländer im Mittelpunkt der IWF-Programme stehen würden.