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Beitrag vom 27.09.2023

zeit.de

Die Benin-Bronzen? Nigeria findet sie toll. Aus ganz unerwarteten Gründen

Wie die Rückgabe der Kultobjekte die Kreativwirtschaft in Benin City befeuert.

Von Ijoma Mangold

AUS DER ZEIT NR. 41/2023

Wie geht es weiter mit den Benin-Bronzen? Im Dezember vergangenen Jahres landeten die ersten Objekte aus deutschen Museumsbeständen, begleitet von Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth, mit der Regierungsmaschine in Nigerias Hauptstadt Abuja. Es war der symbolische Höhepunkt eines langwierigen Restitutionsprozesses. Geplant war, so hatten es die offiziellen Stellen auf deutscher wie auf nigerianischer Seite ins Auge gefasst, in Edo State, dem ehemaligen Königreich Benin, mit deutscher Unterstützung einen Museumskomplex zu errichten, das Edo Museum of West African Art (EMOWAA). Als sein Allerheiligstes sollte es die Benin-Bronzen aufnehmen.

Wenig später das böse Erwachen: In einer seiner letzten Amtshandlungen hatte der scheidende Präsident Nigerias, Muhammadu Buhari, noch ein Dekret erlassen, wonach die Benin-Bronzen in das Eigentum des Oba von Benin übergehen sollen. Ob Buharis Nachfolger diesen Erlass tatsächlich so umsetzen wird, ist noch völlig offen, auf jeden Fall war Buhari seinen eigenen Regierungsstellen in den Rücken gefallen.

Düpiert war auch Godwin Obaseki, der Gouverneur von Edo State, der sich sehr in die Verhandlungen mit Deutschland und das Museumsprojekt reingehängt hatte. Allerdings scheinen die Rückschläge seiner Vision, Benin City zum Ort einer kulturellen Renaissance zu machen, keinen Abbruch zu tun. So reiste er in diesen Tagen mit allerlei Plänen im Gepäck nach Deutschland. Mit dabei hatte er die junge Museumsdirektorin des EMOWAA, Ore Disu, und Philip Ihenacho, der es in der Londoner City zu einem Vermögen gebracht hat und als Spiritus Rector, Mitinitiator und finanzieller Förderer der Stiftung gilt, die das EMOWAA trägt. Wir hatten Gelegenheit, mit den dreien zu sprechen – eine interessante Lektion in Postkolonialismus. Denn während viele Deutsche (und darüber hinaus viele Europäer) gewissermaßen an den Objekten kleben, wollen die drei Kultur- vor allem als Standortpolitik verstehen. Deutschland, machte Obaseki klar, sei zu sehr auf die Objekte fixiert, dabei gebe es in Nigeria ausreichend Benin-Bronzen in privatem Besitz, mit denen man arbeiten könne.

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Viel wichtiger als die Musealisierung einzelner Stücke sei es, Benin City zu einem Hub künstlerischer Kreativität zu machen. Es müsse darum gehen, mit dem Museumsbau eine zeitgenössische Kunstproduktion anzustoßen, um die alte Bronzen-Tradition fortzuführen, aber mehr noch, um Perspektiven für die nächste Generation zu eröffnen: "Ich habe fünf Millionen Bürger in Edo State mit einer extrem jungen Demografie, denen muss ich eine Perspektive geben, sonst wandern die mir ab. Wir wollen eine Institution schaffen, die für lebendiges Leben sorgt und Chancen eröffnet. Deswegen sind wir manchmal frustriert, wenn es in Deutschland immer nur um die Objekte geht." Philip Ihenacho pflichtet ihm bei: Niemand komme wegen Safari-Tourismus nach Nigeria, hingegen sei das Land ein Zentrum der Kreativwirtschaft, mit seiner Musik- und Filmszene und der Kunstmesse Art X Lagos – daran wolle man anknüpfen.

Das ist ein neues Narrativ: Aus der Sicht des Gouverneurs haben die Benin-Bronzen wie ein Katalysator gewirkt, sie haben den Anstoß gegeben, eine neue kulturelle Infrastruktur zu erarbeiten. Das EMOWAA, geplant vom Architekten David Adjaye, wird mit der Rainforest Gallery nicht nur über Ausstellungsräume verfügen, sondern auch über ein archäologisches Forschungszentrum, an dem junge nigerianische Archäologen arbeiten können, um zum Beispiel die mittelalterlichen Stadtmauern von Benin City zu sichern und zu erforschen.

Der Gouverneur klingt in diesem Moment wie ein NRW-Ministerpräsident der frühen Neunzigerjahre, der den Strukturwandel von der Kohle- zur Medienwirtschaft gestalten will. Das Schicksal der Benin-Bronzen werde nicht über Nacht entschieden, es werde jetzt an einem entsprechenden Gesetz gearbeitet, aber es seien bereits heute in Privatsammlungen mehr Bronzen vorhanden, als es je Ausstellungsräume geben werde – so seien für den Oba, der ein eigenes Palastmuseum plant, und für das EMOWAA ausreichend Objekte vorhanden. Wobei Obaseki das Wort "Objekte" immer wie in Anführungszeichen ausspricht, als verharre für seinen Geschmack Deutschland zu sehr in einem magischen Denken der Gegenständlichkeit, obwohl es doch um kreative Prozesse gehe. "Wir freuen uns über die Aufmerksamkeit, die die Bronzen uns sichern, wir haben aber viel weiter gehende Pläne."

So wird Nigeria 2024 einen eigenen Pavillon auf der Venedig-Biennale bespielen – zum zweiten Mal erst in seiner Geschichte. Ein Palazzo in Dorsoduro ist bereits gefunden, geleitet wird der Pavillon von Ore Disu vom EMOWAA, kuratiert von Aindrea Emelife, die auch die zeitgenössische Kunst im EMOWAA betreuen wird. Das Venedig-Projekt auf die Beine zu stellen, hat die nigerianische Zentralregierung tatsächlich Godwin Obaseki beauftragt – eine politische Geste der Anerkennung, dass man trotz der Kontroverse um die Bronzen die kulturpolitische Energie des Gouverneurs nicht ausbremsen möchte. In Berlin trafen die drei auch Jenny Schlenzka, die neue Direktorin des Martin-Gropius-Baus, um zu ventilieren, ob nicht Teile der Venedig-Schau auch in Berlin gezeigt werden könnten. So entstehen Projekte, die durch den Restitutionsprozess angestoßen worden sind, aber in dynamisch unberechenbarer Weise über die Benin-Bronzen hinausgehen. Eigentlich die Definition von Lebendigkeit.