Beitrag vom 02.09.2023
FAZ
EPIDEMIE DER PUTSCHE
Frankreichs langer Abschied von Afrika
Die Putsch-Serie im frankophonen Hinterhof offenbart eine neue Geisteshaltung in Paris. Warum Macron immer deutscher wird.
Von Michaela Wiegel
Angesichts der jüngsten Militärputsche im frankophonen Afrika hat Präsident Emmanuel Macron mit der französischen Tradition des militärischen Eingreifens gebrochen. Macrons Vorgänger hatten bereits betont, auf postkoloniale Einmischung zu verzichten. Doch wenn es ernst wurde, sollten stets französische Soldaten die Ordnung im früheren „Hinterhof“ wieder herstellen, zuletzt unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande in der Zentralafrikanischen Republik und in Mali. Macron aber verhält sich so, wie man es von der deutschen Außenpolitik gewohnt ist. Er verurteilt, fordert und ermahnt, setzt auf Sanktionen und regionale Organisationen, aber verzichtet auf militärische Führung.
Zwar hat sich der Streit mit den Putschisten über die diplomatische Immunität des französischen Botschafters Sylvain Itté in Niger zugespitzt. Frankreich hat gedroht, dass das gewaltsame Eindringen in das Botschaftsgebäude mit militärischen Mitteln beantwortet würde. Macron hat zudem nicht ausgeschlossen, eine mögliche militärische Intervention der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS in Niger zu unterstützen. Aber er drängt nicht zum Waffengang und will nicht, dass Frankreich an vorderster Front kämpfen muss. Er hatte sich geweigert, französische Spezialkräfte in den nigrischen Präsidentenpalast zu beordern, um in den entscheidenden Stunden in Niamey dem Putschverlauf eine andere Wendung zu geben. Auch in Gabun hat Macron den Hilferuf des gestürzten Präsidenten Ali Bongo nicht militärisch beantwortet. In Paris weist man auf die Unterschiede zwischen dem Putsch in Gabun und jenen in den drei Sahelstaaten hin. In Libreville handele es sich um ein Regime, an dessen demokratischer Legitimität lange Zweifel bestanden hätten.
In Deutschland ist oft übersehen worden, dass Macrons selbstbewusster Anspruch, die Afrikapolitik neu zu gestalten, mit einer Ablehnung des militärischen Interventionismus einhergeht. Das entspricht einer Grundhaltung des Präsidenten, der zu den ersten befreiten Jahrgängen nach Aufhebung der Wehrpflicht in Frankreich zählt. Als verfassungsmäßiger Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte hat Macron seit seinem Amtsantritt 2017 keinen neuen Militäreinsatz in Afrika beschlossen. Die Operation Barkhane in Mali hat er von Hollande „geerbt“ und den veränderten Umständen angepasst und eine ergebnislose europäische Lastenteilung mit der Takuba-Einsatztruppe angestrebt.
Abzug auch aus Niger?
In seiner Afrika-Rede Ende Februar bezeichnete Macron militärische Interventionen als „anachronistisch“ und als „Falle“, in die Frankreich durch andere Mächte gelockt werden solle. Er spielte auf Russland an: „Einige kommen mit ihrer Armee oder ihren Söldnern an.“ Aus Mali und Burkina Faso ist die Armee inzwischen abgezogen; Militärfachleute erwarten, dass auch der Rückzug aus Niger bevorsteht. Dabei übt die Armeeführung erheblichen Druck auf Macron aus, Afrika nicht „aufzugeben“. Sicherheitsfachleute wie Pierre Harouche plädieren hingegen für eine Verlagerung der Afrika-Truppen an die NATO-Ostflanke, wo über die künftige Sicherheitsordnung Europas entschieden werde.
Bei der Botschafterkonferenz in Paris sagte Macron, dass er nicht gegen den Willen der Regierungen in Afrika agieren wolle. Die militärische Präsenz Frankreichs müsse auf der Grundlage von Partnerschaften bei Ausbildung und Ausrüstung strukturiert werden, die von afrikanischen Ländern eingefordert werde. Mit seinem Kurswechsel zieht Macron die Lehren aus den gescheiterten Operationen in Libyen, in der Zentralafrikanischen Republik und in Mali. Aus Rücksicht auf die 58 gefallenen Soldaten im Sahelgebiet verbittet er sich das Wort Scheitern. Aber dem Präsidenten ist klar, dass das Stabilisierungsziel verfehlt wurde. Ihn prägt fortan Skepsis, dass sich die multiplen Krisen in Afrika mit militärischen Mitteln lösen lassen.
„Epidemie der Putsche“
Der neue französische Ansatz könnte sich für die EU-Partner und insbesondere für die Bundesregierung zur Herausforderung entwickeln. Mit dem Rückzug als militärisch einsatzbereite Ordnungsmacht nimmt Frankreich die anderen Europäer in die Verantwortung, sich stärker für Stabilität und Sicherheit in Afrika zu engagieren. Die Bundesregierung wird sich fortan nicht mit einer Mitläuferrolle wie in Mali begnügen können. Die „Epidemie der Putsche“, die Macron im Sahelgebiet ausgemacht hat, stellt die EU-Ausbildungsstrategie infrage. Wie der französische Afrika-Fachmann Marc-Antoine Pérouse de Montclos schreibt: „Der Staatsstreich in Niger wirft Fragen über die angeblichen Erfolge der militärischen Zusammenarbeit auf, die auf die Ausbildung von Putschisten hinauslaufen.“
Macrons Afrika-Diskurs ist nicht frei von Widersprüchen. Im Tschad hat er widerspruchslos hingenommen, dass der Sohn des getöteten Präsidenten Idriss Déby die Macht ergriffen hat. Macron wohnte sogar der Trauerfeier bei, um General Mahamat Déby den Rücken zu stärken, obwohl dieser die Verfassung ausgehebelt hat. Auch die von der EU festgestellten Unregelmäßigkeiten bei der Wahl des jetzt gestürzten gabunischen Präsidenten Bongo waren für Macron kein Hindernis, ihn als „Freund“ Frankreichs noch im März zu besuchen. Gabun sollte ein Beispiel für eine neue Partnerschaft zum Schutz des Regenwalds und der Biodiversität bilden. Entsprechend groß ist der Frust in Paris. Macron hat nicht gefordert, dass Bongo wieder in Amt und Würden eingesetzt wird. Stattdessen heißt es, dass Ziel müssten freie und demokratische Wahlen in Gabun sein. Gegen neun Mitglieder der Bongo-Familie laufen Strafverfahren in Frankreich, weil sie sich unrechtmäßig bereichert haben sollen.