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Beitrag vom 12.04.2021

FAZ

Moçambique

Terroristen auf dem Vormarsch

Die Gruppe Al-Shabaab kontrolliert in Moçambique bereits ganze Städte – und gewinnt weiter an Einfluss

Von Claudia Bröll, Kapstadt

Fast vier Jahre lang haben Terroristen im Norden von Moçambique gewütet. Mehr als 2000 Menschen wurden in der Provinz Cabo Delgado Opfer von Terroranschlägen, Hunderttausende mussten ihre Dörfer verlassen. Schreckensberichte über brutale Gewalt und Zerstörungen ganzer Dörfer drangen aber kaum über die Region hinaus. Mit dem Überfall auf die Stadt Palma hat sich das schlagartig geändert. Vor allem die Regierungen in der Region hat die Eskalation der terroristischen Aktivitäten in ihrem Nachbarland alarmiert. Auf einem Gipfeltreffen am Donnerstag in Maputo haben erstmals die Staatschefs von sechs afrikanischen Ländern – Moçambique, Malawi, Tansania, Botswana, Südafrika und Zimbabwe – über Lösungen beraten.

Man sei „tief besorgt über die andauernden Terroranschläge in Cabo Delgado“, teilte die Entwicklungsgemeinschaft im südlichen Afrika (SADC) mit. Die Anschläge seien ein „Affront gegen den Frieden und die Sicherheit nicht nur in Moçambique, sondern auch in der Region und in der gesamten internationalen Gemeinschaft“, sagte Botswanas Staatspräsident Mokgweetsi Masisi. Der moçambiquanische Präsident Filipe Nyusi hat Einmischungen aus dem Ausland aber bisher abgelehnt. Eine internationale Unterstützung im Kampf gegen den Terror müsse geprüft werden, sagte er kurz vor dem Treffen. Moçambique müsse dabei die Führungsrolle behalten. „Es geht nicht um leeren Stolz, sondern um unsere Souveränität“, so Nyusi.

Terroristen hatten die Stadt Palma im Norden des Landes vor zwei Wochen überfallen, wahllos auf die Bürger geschossen, Fahrzeuge, die Menschen in Sicherheit bringen wollten, aus dem Hinterhalt angegriffen und große Teile der Stadt verwüstet. Dutzende Menschen wurden getötet, Tausende flüchteten in die umliegenden Wälder, in die 250 Kilometer entfernte Küstenstadt Pemba oder an die Grenze zu Tansania. Die tansanische Regierung weigert sich jedoch, sie ins Land zu lassen. Erstmals seit Beginn der Terroranschläge im Oktober 2017 befinden sich unter den Opfern und Vertriebenen auch zahlreiche ausländische Staatsbürger. Wenige Kilometer von Palma entfernt baut der französische Konzern Total eine Flüssiggasanlage. Vor einigen Jahren wurde dort eines der größten Erdgasfelder der Welt gefunden, internationale Öl- und Gaskonzerne schmiedeten Investitionspläne in Milliardenhöhe. Nach den Anschlägen auf Palma zog der Konzern am vergangenen Wochenende sämtliche Mitarbeiter von dem Projekt auf der Halbinsel Afungi ab.

Die moçambiquanische Regierung hat mittlerweile bekanntgegeben, die Kontrolle über Palma wiedererlangt zu haben. Doch Beobachter sind skeptisch, denn ähnliche Mitteilungen haben sich in der Vergangenheit immer wieder als falsch erwiesen. Eine von der Regierung organisierte Pressereise nach Palma konnte die Zweifel auch nicht zerstreuen. Es dringen nur wenige Nachrichten aus der Stadt an die Öffentlichkeit, die meisten Informationen stammen von Geflüchteten in Pemba. Die Sorge ist nun groß, die Terroristen könnten die gesamte Provinz in ihre Gewalt bringen. Angeblich sollen sie mittlerweile vom Islamischen Staat (IS) unterstützt werden. Der IS hatte sich nach dem Überfall auf Palma gerühmt, die Stadt erobert zu haben. Doch es ist schwer zu prüfen, ob es sich um Propaganda handelt und wie eng die Verbindungen tatsächlich sind.

Von den Streitkräften in einem der ärmsten Länder Afrikas ist wenig Widerstand gegen die Terroristen zu erwarten. Während des Überfalls auf Palma brachte die Dyck Advisory Group (DAG), ein privates Militärunternehmen aus Südafrika, zahlreiche Menschen mit Hubschraubern in Sicherheit und beschoss die Angreifer aus der Luft. Berichten zufolge hatten sich die moçambiquanischen Soldaten zu der Zeit zurückgezogen, womöglich wegen fehlender Munition. Seit Beginn dieser Woche ist der Vertrag des Unternehmens mit der Regierung angeblich beendet. Ein weiteres südafrikanisches Unternehmen liefert Moçambique Militärhubschrauber. Sie würden von ukrainischen Piloten geflogen, berichtet das Armed Conflict Location and Event Data Project (Acled), eine amerikanische Organisation. Wer sie beschäftige, sei unklar. Klar aber sei, dass sich die Piloten bisher nicht mit Ruhm bekleckert hätten. Mehrere Informanten berichteten, sie seien betrunken in der Nähe ihrer Basisstation gesehen worden.

Militärische Hilfe aus dem Ausland lehnt die Regierung weiter ab. Südafrika entsandte Soldaten, aber nur um die eigenen Staatsbürger in Sicherheit zu bringen. Die amerikanische Regierung stellte im März ein kleines Kontingent von Soldaten für ein zweimonatiges Trainingsprogramm bereit. Portugal, die frühere Kolonialmacht, will ebenfalls bei dem Training moçambiquanischer Soldaten helfen. Auch die Europäische Union hat Unterstützung angeboten. Beobachter halten ein Engagement darüber hinaus für unwahrscheinlich. Analysten des Beratungsunternehmens Eurasia vermuten, die moçambiquanische Regierung fürchte, eine Beteiligung ausländischer Partner werde zu mehr Kontrolle führen und die Ursache des Aufstands aufdecken: die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Regierungsführung. Kritik aus dem Ausland wiederum könnte die Gegner des Präsidenten in seiner Partei stärken. Ein militärischer Einsatz in der abgelegenen Region ist zudem äußerst schwierig. Die wenigen Zufahrtsstraßen in den Norden sind blockiert oder zu gefährlich, um sie zu passieren. Fahrzeuge müssten über Schiffe dorthin geschafft werden, Truppen über Flugzeuge. Militärexperten halten eine Präsenz von Soldaten über viele Jahre hinweg für nötig.

Die in Moçambique aktive Terrorgruppe wird Al-Shabaab genannt, hat aber keine Verbindung zu der gleichnamigen Gruppe in Somalia. Sie bildete sich, weil Jugendliche, Kleinhändler und arme Fischer aus Cabo Delgado über die Regierung und ihre ausweglose wirtschaftliche Lage frustriert waren. Zunächst bauten sie eigene Moscheen und forderten die etablierten Religionsführer heraus, die sie als regierungsnah betrachteten. Als die Polizei hart durchgriff, bewaffneten sie sich und verübten 2017 den ersten Anschlag. Anfangs seien es kleine Gruppen gewesen, schreibt die International Crisis Group. Sie hätten abgelegene Polizeiposten und Dörfer angegriffen, oft nur mit stumpfen Waffen. Als es ihnen Anfang 2020 gelang, staatliche Waffenvorräte zu plündern, begannen sie, auch Städte anzugreifen. So etwa die Hafenstadt Moçimboa da Praia, die bis heute besetzt ist. Die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung eskalierte, auch ausländische Kämpfer, vor allem aus Tansania, schlossen sich an.

In einem Communiqué des Gipfeltreffens am Donnerstag hieß es, die Teilnehmer hätten einen „sofortigen technischen Einsatz“ in Moçambique beschlossen. Außerdem wurde ein weiteres außerordentliches Treffen auf Ministerebene und anschließend ein Gipfeltreffen Ende April festgesetzt. Die Staatschefs drückten ihre Solidarität mit den Moçambiquanern aus und „bekräftigten ihre Verpflichtung, zu den Bemühungen um dauerhaften Frieden und Sicherheit sowie zur Versöhnung und Entwicklung“ beizutragen.