Beitrag vom 26.02.2021
FAZ
Afrikas Schuldenspirale dreht immer schneller
Finanzminister Scholz verweist auf beschlossene Erleichterungen, Entwicklungsminister Müller fordert Erlass
clb./mas./wvp.KAPSTADT/BERLIN/Washington. Sambia ist das erste Land, das seit Ausbruch der Pandemie seine Schulden nicht mehr bedienen konnte. Tschad und Äthiopien benötigen auch schon Unterstützung. Viel deutet darauf hin, dass auch andere Länder auf dem Kontinent in Zahlungsschwierigkeiten geraten werden. „Die Schuldensituation ist für viele afrikanische Länder prekär“, sagt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) der F.A.Z. Schon vor der Corona-Krise waren nach seinen Worten viele Länder in einer schwierigen Lage. Die Corona-Wirtschaftskrise habe die Situation jetzt noch drastisch verschärft. Ein Weiter so sei für viele Länder nicht möglich. „Die Entscheidung, den armen Ländern ihre Schulden für ein Jahr zu stunden, war richtig“, betont der Minister. „Das hat Luft verschafft, aber auch nicht mehr. Die Krise ist ja längst nicht vorbei.“
Das an Kupfer und anderen Rohstoffen reiche Land im südlichen Afrika galt noch vor wenigen Jahren für Investoren als interessanter Standort. Die Regierung in Lusaka plazierte Dollar-Staatsanleihen an den internationalen Finanzmärkten. Jetzt muss es um internationale Hilfe bitten. „Ich hoffe, dass sich die Regierung trotz der bevorstehenden Wahl auf ein ambitioniertes Reformprogramm mit dem Internationalen Währungsfonds einigt und die strukturellen Ursachen der Überschuldung angeht“, hebt der deutsche Minister hervor. „Gerade Sambia als ressourcenreiches Land muss seine Einnahmen- und Ausgabestruktur transparenter gestalten und Korruption entschlossener bekämpfen.“
Die Corona-Krise werfe ein „Schlaglicht“ auf eine prekäre Lage, die sich schon vor Ausbruch der Pandemie zusammengebraut hatte, sagt Virág Fórizs vom Institut Capital Economics in London. Sambias Staatsverschuldung stieg von 36 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2016 auf mehr als 90 Prozent 2019 und schließlich auf 120 Prozent im vergangenen Jahr. Gleiche oder höhere Schuldenquoten haben Moambique, Eritrea, Kapverden und Angola. In der gesamten Region südlich der Sahara kletterte die Verschuldung innerhalb einer Dekade von weniger als 30 Prozent auf mehr als 50 Prozent der Wirtschaftskraft. Dabei verließen sich die Staaten stark auf ausländische Kreditgeber. Die Corona-Krise, vor allem die schwache globale Konjunktur und hohe Unsicherheit, trifft die meisten nun in einer extrem schwachen Position. Anders als für entwickelte Länder sind die Möglichkeiten begrenzt, die Wirtschaft anzukurbeln, Armut zu bekämpfen, Gesundheitssysteme zu stärken und Impfstoffe zu besorgen.
Die öffentlichen Schulden der am wenigsten entwickelten Staaten waren schon vor der Pandemie in besorgniserregende Höhen geschnellt, wie aus Analysen der Weltbank hervorgeht. In den 73 ärmsten Ländern waren die Auslandsschulden im Jahr 2019 allein um 9,5 Prozent gestiegen – auf das Rekordvolumen von 744 Milliarden Dollar (umgerechnet etwas weniger als 610 Milliarden Euro). Die Geschwindigkeit, mit der Schulden gemacht wurden, hatte sich nach Angaben der Weltbank gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Die Pandemie verschärft nun die Probleme. Zwei Drittel der Entwicklungs- und Schwellenländer haben schon ihre Staatsausgaben für Bildung gekürzt, obwohl dieser Sektor eher mehr Mittel nötig hätte, um Online-Unterricht zu gewährleisten.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgiewa, treibt die Sorge um, dass nach Jahren erfolgreicher Aufholjagd ein Teil der armen Länder wieder abrutscht. Knapp 60 Prozent der ärmsten Länder drohten zurückzufallen, sagt der Währungsfonds voraus. Das heißt, für sie wird die Wohlstandskluft zu den reichen Ländern größer. Der Grund: Die Impfkampagnen erreichen die Entwicklungsländer erst Ende 2021 oder noch später. Einige der Länder leben vom Tourismus oder Rohstoffexporten und sind deshalb besonders gebeutelt. Die meisten haben ohnehin eine angespannte Finanzsituation.
Die Gruppe der zwanzig großen Industrie- und Schwellenländer (G20) hat schon vergangenes Jahr einer Aussetzung der Schuldendienste an staatliche Entwicklungsbanken zugestimmt und damit insgesamt 5 Milliarden Dollar lockergemacht. Unabhängig von diesem Nothilfeprogramm sieht der Währungsfonds die Notwendigkeit, dass einigen bitterarmen Ländern mehr geholfen wird und Schulden gestrichen werden. An diesem Freitag haben sich die G-20-Finanzminister zu einer Videokonferenz verabredet. „Die Pandemie können wir nur gemeinsam in den Griff bekommen, wir brauchen den internationalen Schulterschluss“, sagt Finanzminister Olaf Scholz (SPD) der F.A.Z. Deshalb habe die G20 die Grundlage für weitreichende Schuldenerleichterungen für die ärmsten Länder geschaffen. „Das ist ein starkes Signal internationaler Solidarität.“ Jetzt gelte es, das neue Rahmenwerk schnell und umfassend zum Laufen zu bringen. „Dazu werden erste Gespräche geführt.“
Nach Einschätzung von Entwicklungsminister Müller reicht das Moratorium nicht mehr aus. „Als Reaktion auf die Corona-Krise wird für die ärmsten der armen Länder auch ein Schuldenerlass zu verhandeln sein, der an klare Regeln gebunden sein muss“, fordert er. Voraussetzung sei eine Transparenz-Initiative: Alle Schulden müssten offengelegt werden. Alle Gläubiger müssten mitmachen, auch die privaten. „Sonst finanzieren wir mit Entwicklungsgeldern Spekulationsfonds“, gibt er zu bedenken. „Zudem darf kein Euro in korrupte Kanäle oder Prestigeprojekte gehen“, mahnt er. Der eingesparte Schuldendienst müsse vor allem in Gesundheit und soziale Sicherung investiert werden.
Sambias Aufstieg und rasanter Fall ist das beste Beispiel, dass die akute Krise nicht nur dem tückischen Virus geschuldet ist, das seit mehr als einem Jahr das Geschehen in der Welt prägt: Die Regierung nahm nicht nur in den vergangenen Jahren kräftig Kredite auf, sondern erhöhte auch sukzessive die Staatsausgaben. Diese Fiskalpolitik habe jedoch nicht zu höherem Wirtschaftswachstum geführt, sagt Daniel Kavishe von der südafrikanischen Bank RMB der F.A.Z. Sehr viel früher hätte man auf einen Konsolidierungskurs einschwenken müssen. Als Ende 2019 auch noch die Landeswährung Kwacha gegenüber dem Dollar rasant an Wert verlor, zeichnete sich bereits ein Zahlungsausfall auf die in Dollar nominierten Staatsanleihen ab. Faktoren wie eine schwere Dürre und regelmäßige, oft stundenlange Stromausfälle kamen hinzu, während die vielen neugebauten Infrastrukturprojekte nicht unmittelbar Erträge lieferten. China hat in Sambia ein Wasserkraftwerk, Straßen und Flughäfen finanziert und von chinesischen Unternehmen bauen lassen. Jetzt geht die Sorge um, die Volksrepublik könne von dem säumigen Kreditnehmer Sicherheiten einfordern und sich der Rohstoffschätze oder staatlicher Institutionen bemächtigen. Bisher deutet jedoch mehr darauf hin, dass sich auch China verhandlungsbereit zeigt.
Vor den Wahlen im August macht Staatspräsident Edgar Lungu alles, um sich Wählerstimmen zu sichern. Dazu gehören Interventionen in den Maismarkt, um die Preise für die Verbraucher zu senken. Im vergangenen Monat strich der Finanzminister die Mehrwertsteuer von 16 Prozent auf Benzin. Solche Aktionen werden weder dem Währungsfonds noch den privaten Gläubigern Vertrauen einflößen. Allgemein wird daher erst nach den Wahlen eine Zusage des IWF erwartet. In der Zwischenzeit hat Sambia nach offiziellen Angaben den Schuldendienst an alle Gläubiger eingestellt.