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Beitrag vom 14.02.2021

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Afrika-ABC in Zitaten: Widerspruch zwischen eigener Tradition und französischen Werten (34)

von Volker Seitz

Aya Cissoko macht in ihrem Buch „Ma“, Wunderhorn 2017, den Widerspruch zwischen den traditionellen afrikanischen Werten und denen der französischen Gesellschaft zu ihrem Thema. Die Autorin ist in Frankreich geboren, die Eltern kamen aus Mali und waren Analphabeten. Sie studierte Politikwissenschaften in Paris. 2006 wurde Aya Cissoko Amateur-Boxweltmeisterin.

Zitate aus dem Buch: „Meine Mutter ist tot. Heute wird sie auf dem Pariser Friedhof von Thiais begraben... Zwei Touristenbusse wurden für diesen Anlass gemietet. Sie sind fast ausschließlich mit den Männern der Familie gefüllt, denn sie spielen die Hauptrolle. Ein Begräbnis ist keine Weibersache... Ma starb schon vor drei Tagen. Kaum war ihr Tod bekanntgegeben, strömte die weitläufige Verwandtschaft in unsere Wohnung und machte es sich dort bequem. Sie nahmen alle vier Zimmer in Beschlag, außer dem, wo die Tote lag. Damit nichts von ihren Sachen gestohlen wurde, blieb die Tür zu diesem Raum die ganze Zeit abgeschlossen... Die Männer blieben streng von den Frauen getrennt... Die Frauen putzten und kümmerten sich um das Essen.“ (Seiten 7/8).

Über das Leben ihrer Mutter: „Es ist schwierig, Ma über Themen zu befragen, die sie nicht selbst gewählt hat... Das Eheversprechen zwischen Ma und Baba wird für sie geschlossen, sie haben dabei kein einziges Wort mitzureden. Wer außer den Eltern wüsste, was für ihre Kinder das Beste ist? Ma ist fünfzehn Jahre jünger als Baba, sie wohnten im gleichen Dorf, kannten sich aber trotzdem nicht. Männer und Frauen leben getrennt. Außerdem ist Baba schon seit ewigen Zeiten in Frankreich.“ (Seiten 36/37). [Auf Seite 45 schreibt die Autorin, dass ihre Mutter für das Visum um drei Jahre älter gemacht wurde. Statt fünfzehn ist sie angeblich achtzehn.]

„Bei uns in Mali hättest du schon ein Kind auf dem Rücken“

„Während seines ganzen Aufenthaltes in der afrikanischen Heimat hatte mein Vater eine Täuschung aufrechterhalten. In Frankreich zu leben und arm zu sein, das war unvorstellbar! Er hatte sich die Ausstattung für den Erfolg nach westlichem Muster zusammengeliehen: einen Anzug, blanke Schuhe, ein braunes Lederköfferchen. Aus diesem Lederköfferchen zog er Geldscheine, mit denen er die djeli [berufsmäßige Sänger] fürstlich belohnte. Dafür sangen die Griots sein Loblied und das seiner Eltern über mehrere Generationen. Mein Vater nährte damit weiter die Illusion, dass Frankreich ein gastfreundliches Land sei, wo man mit Arbeit gutes Geld verdient. Wer in Frankreich ist, hat Geld. Die haben dort ein schönes Leben. Egal wenn die Wirklichkeit anders aussieht.“ (S. 41)

„Während wir uns mit unserem Unglück herumschlagen, diskutieren die Männer aus Babas Clan unseren Fall in ihrer Versammlung und hinter Kulissen. Sogar in Frankreich liegt die politische Macht der Gemeinschaft in den Händen der Ältesten. Sie befehlen Ma, nach Mali zurückzukehren. Nachdem ihr Mann tot ist, hat sie in diesem Land nichts mehr zu suchen. Ma lehnt ab. ... Wie kann eine einfache Frau ihre Autorität in Frage stellen, außer sie hat den Verstand verloren?" (S. 75)

Momuso [die Mutter von Ma]: „In Frankreich ängstigt sie alles, besonders die Maschinen in der Metro, wo man draufstehen und sich festhalten muss und dann laufen sie für dich. Für Momuso ist die Lebensweise der Weißen unbegreiflich: Wie kann man den ganzen Tag in seiner Wohnung eingesperrt bleiben?“ (S. 86)

„Auch wenn Ma die Wahl meines künftigen Mannes mir überlässt, hindert sie das nicht daran, mir regelmäßig vorzuhalten: Du musst einen guten Ehemann finden... Bei uns in Mali hättest du schon ein Kind auf dem Rücken und ein anderes an der Hand.“ (S. 119)

Schimpfen auf die Unmoral der Weißen

„Filelikela hat in Afrika das Wahrsagen gelernt... Filelikela beginnt in Mali mit seiner Tätigkeit, aber er hat in Frankreich bessere finanzielle Aussichten... Durch seine Heirat mit Ma kommt er von der Banlieue in die Stadt, denn Pariser Patienten begeben sich, selbst in der Not, nur ungern in die Vorstädte... Unser Mietshaus wird sofort mit Beschlag belegt. Die Klienten bilden ständig, von morgens bis abends, eine Warteschlange, die sich häufig bis in das Treppenhaus und manchmal mehrere Stockwerke hinunterzieht. Am Freitag und Sonntag ist es ruhiger, denn an diesen beiden Tagen wird das Wahrsagen nicht empfohlen, da die Geister sich nicht klar ausdrücken.“ (Seiten 122/23)

„Unsere Wohnung ist wie ein Ableger des Hühnerhofs der Landwirtschaftsmesse: außer Hennen gibt es Perlhühner, manchmal Gänse, Puten. Die Klienten bringen sie als Opfergaben. Sie hoffen so die Unterstützung der Geister zur Bewältigung ihrer Schwierigkeiten zu gewinnen. Sie opfern auch Lebensmittel: Milch, Wasser, Hammelfleisch, Fisch, Kolanüsse, Knollenfrüchte und Münzen…" (S. 128)

„Wenn auch nur eine einvernehmliche Liebesszene zwischen zwei Erwachsenen auf dem Fernsehschirm erscheint, kommt im Zimmer Befangenheit auf. Manche schauen weg, die anderen schimpfen auf die Unmoral der Weißen. Sie sind verflucht.“ (Seite 148)

Ma über die Verwandtschaft in Mali: „Keiner will mehr arbeiten. Früher war man arm, aber alle hatten zu essen. Heute arbeitet keiner mehr für das Land. Jeder hat nur das Wort ,Überweisung‘ im Mund. Die Leute in Frankreich schuften sich zu Tode, aber die drüben wollen Moped und Handy.“ (Seite 169)

Angebliche Schulden von Ma: „Die Aasgeier gehen um. Sie wollen Geld. Aber Ma hatte vorgesorgt, als sie spürte, dass sie bald sterben würde. Sie hatte uns an ihrem Bett versammelt, Koroke, Gangarana Issa und mich, um uns ihr mündliches Testament zu hinterlassen. Unter anderem warnte sie uns: Ich hab keine Schulden. Wenn einer Geld will, ist er ein Lügner! Es war weise von ihr, uns zu warnen, denn ihre Leiche war noch nicht erkaltet, als ein Mann, der sich auf einem Bein springend fortbewegt, mich bittet, eine angebliche Schuld von Ma zu bezahlen.“ (Seite 181)