Beitrag vom 19.03.2019
FAZ
Nigeria
Afrikas Zement-König greift nun nach dem Öl
von Claudia Bröll
Für Aliko Dangote ist es ein „absurdes Dauerärgernis“. Sein Heimatland Nigeria ist der größte Ölproduzent in Afrika. Doch Nigeria steckt in einer ähnlichen Lage wie die meisten rohstoffreichen Länder des Kontinents. Fast die gesamte Rohölproduktion landet zur Weiterverarbeitung im Ausland. Nahezu jeden Tropfen Benzin und Diesel müssen die Nigerianer zu hohen Preisen importieren, denn die existierenden staatlichen Raffinerien sind alt und schlecht gewartet.
Der 61 Jahre alte Unternehmer will das ändern. 50 Kilometer südöstlich von der Hauptstadt Lagos, in einem Sumpfgebiet zwischen einer Lagune und der Küste, lässt er gerade eine der größten Öl-Raffinerien der Welt bauen. Die wohl mehr als 12 Milliarden Dollar teure Anlage soll am Tag 650000 Fass Öl verarbeiten. Dangote hofft, damit den gesamten Bedarf des Landes zu decken und noch einen beträchtlichen Teil zu exportieren. Es ist ein gigantisches Projekt, wie es sich sonst Staaten mit Hilfe von Entwicklungsbanken vornehmen.
In Afrika muss man ihn nicht lange vorstellen, er hat dort den Bekanntheitsgrad eines Bill Gates. Im dunklen Anzug oder im wallenden weißen Gewand mit muslimischer Kopfbedeckung ist er unbestrittener Stargast auf Veranstaltungen wie dem Weltwirtschaftsforum in Afrika. Als kürzlich Barack Obama in Johannesburg einen Empfang gab, war Dangote selbstverständlich vertreten, wurde ebenso stürmisch begrüßt wie der frühere amerikanische Präsident. Bill Gates ließ es sich nicht entgehen, vor einem Jahr zur rauschenden Hochzeit von Dangotes jüngster Tochter Fatima nach Lagos zu reisen.
In Nigeria, wo ein großer Teil der Bevölkerung bitterarm ist, ist Dangote zu einem der reichsten Männer der Welt aufgestiegen. Sein Vermögen, welches das “Forbes-Magazin“ kürzlich auf 10,3 Milliarden Dollar schätzte, entspricht fast 3 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Dangote ist damit der reichste Mann in Afrika, zwei Plätze vor Südafrikas Nicki Oppenheimer. Anders als man es in einem ölreichen Land wie Nigeria erwarten würde, hat er seinen Reichtum nicht Rohstoffen zu verdanken, sondern dem Aufbau einer verarbeitenden Industrie. Importe durch eigene Produkte zu ersetzen, das ist sein Ziel. Mit Mehl, Zucker, Reis und Salz fing es an. Heute liefert das Dangote-Konglomerat fast alles: Säfte, Nudeln, Tomatenpaste, Verpackungen, Stahl und vor allem Zement. Dangote Cement, der größte börsennotierte Konzern in Nigeria, produziert mehr als 45 Millionen Tonnen Zement im Jahr. Doch die Dangote-Gruppe investiert auch in die Landwirtschaft, in Immobilien, bietet Telekommunikations- und Logistikdienste, betreibt Häfen. Nur eines schien dafür bisher zu fehlen: Treibstoff.
Dangote wurde in Kano, einer alten Handelsstadt im Norden Nigerias, geboren. Er stammt aus einem wohlhabenden Elternhaus, der Großvater war mit dem Handel von Nüssen zu einem der reichsten Männer in Westafrika geworden. Auch der junge Dangote, der nach dem Tod des Vaters bei den Großeltern aufwuchs, zeigte schon frühzeitig Geschäftssinn. Wie er gerne erzählt, hatte er damals von seinem Taschengeld Bonbons gekauft und sie auf dem Schulhof gewinnbringend verkauft. Nach dem Studium an der Al-Azhar-Universität in Kairo zog er nach Lagos, lieh sich von einem ebenfalls schwerreichen Onkel Geld, um selbst in das Handelsgeschäft einzusteigen. Andere Möglichkeiten gab es damals kaum, um Geld zu verdienen. Und das tat Dangote.
Gegen Ende der neunziger Jahre aber drängte es ihn, selbst zu produzieren. Gute Beziehungen bis in die höchsten Regierungsebenen erwiesen sich dabei als hilfreich. Ein Telefonanruf und ein Treffen reichten, um den damaligen neugewählten Staatspräsidenten Olusegun Obasanjo zu überzeugen, hohe Importzölle auf Zement und andere Waren zu erheben. Von diesem Schutz profitiert Dangote bis heute. Auf einer von Wikileaks veröffentlichen Diplomatenmitteilung hieß es, es sei kein Zufall, dass so gut wie alle Produkte, für die in Nigeria Importzölle fällig würden, zu seinem Angebot gehörten. Er wiederum verteidigt die Politik mit dem Argument: „Ohne Protektionismus ist Afrika weiterhin die Müllkippe der ganzen Welt.“ In seiner Heimat wird Dangote, der als pflichtbewusster Muslim regelmäßig fastet und betet, von vielen als überlebensgroßer Held gesehen. Nicht nur hat er den großen Traum seiner Landsleute verwirklicht. Auch ist er Nigeria weiterhin verbunden, baut dort Fabriken, schafft Arbeitsplätze, eifert mit seinem wohltätigen Engagement Bill Gates nach. Kritiker hingegen bezeichnen ihn auch als gewieften Geschäftsmann und Monopolisten, der Wettbewerber zermahlt wie seine Fabriken den Zement.
Sein neues Vorhaben könnte für seine Unternehmensgruppe und für Nigeria, das sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Südafrika um die Spitzenposition in Afrika liefert, einen Quantensprung bedeuten. Die Raffinerie ist es nicht allein. In dem Sumpfgebiet, das auch eine Freihandelszone ist, entsteht unter seiner Ägide der größte Industriekomplex samt dem größten Petrochemie- und dem größten Düngerkonzern des Landes. Auch diese beiden sollen den gesamten Bedarf der fast 200 Millionen Einwohner Nigerias decken und darüber hinaus exportieren.
Zweifel, ob der kühne Plan aufgeht, gibt es. Dangote hält beharrlich an 2020 als Starttermin der Raffinerie fest, Fachleute halten 2022 für realistischer. Wie Großprojekte andernorts in Afrika hapert es auch bei diesem an der nötigen Infrastruktur. So baut der Selfmademilliardär buchstäblich alles selbst: Straßen, einen Hafen, ein Stromkraftwerk, zwei 550 Kilometer lange Unterwasserleitungen für Gas aus dem Nigerdelta. „Es gibt recht viele Herausforderungen“, sagte er vor kurzem, „aber es geht voran.“
Vielen anderen würde der Bau einer Raffinerie in Afrika als Beschäftigung reichen. Doch Dangote ist gerade auch noch dabei, das Herzstück, Dangote Cement, an die Londoner Börse zu bringen. Cherie Blair, die Ehefrau des früheren britischen Premierministers – eines guten Freundes –, sitzt schon im Aufsichtsrat. Darüber hinaus ist er passionierter Fußballfan und bemüht sich seit Jahren, den Londoner Club Arsenal zu kaufen. Und nicht zuletzt hat er, wie er der „Financial Times“ verriet, private Pläne. Nach mehreren Scheidungen halte er gerade nach einer neuen Ehefrau Ausschau. Mangel an Bewerberinnen besteht vermutlich nicht, aber die Zeit könnte ein Engpass sein. Bei einer anderen Gelegenheit sagte er jüngst, er würde sich selbst gerne klonen. Dann könnte er sich um noch mehr Dinge gleichzeitig kümmern. CLAUDIA BRÖLL