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Beitrag vom 07.10.2018

FAS

Der Diktator ist tot, es lebe die Familie

Idi Amin hat in Uganda Hunderttausende ermorden lassen. Dann floh er mit vierzig Angehörigen ins Exil. Jetzt kehren die Amins zurück. Ein Enkel sitzt schon im Parlament. Von Thilo Thielke

Reiseleiter Allan Kakembo verdient sein Geld mit der blutigen Vergangenheit seiner Heimat. Er führt Touristen zu den Folterkammern Idi Amins.

Neben dem alten Palast der Könige in der Hauptstadt Kampala führt ein bunkerartiger Schacht unter die rote afrikanische Erde. „25000 Menschen kamen allein an diesem Ort unter Idi Amins Herrschaft ums Leben“, referiert Kakembo. Für 2,50 Euro erklärt er Touristen, wie Amin seine Gegner in den Folterkeller treiben, diesen unter Wasser setzen und die Elenden dann grausam unter Stromstößen krepieren ließ. Andere, so Kakembo, „wurden erschossen, mit Knüppeln totgeschlagen, mit Macheten zerhackt“.

Jahrelang habe der tote Diktator keine Rolle mehr im Leben der Ugander gespielt. „Die Menschen wollten vergessen.“ Doch seit „Der letzte König von Schottland“ 2006 in die Kinos kam, war das Interesse wieder da. Seit kurzer Zeit ist einer von Idi Amins Enkelsöhnen sogar Abgeordneter im ugandischen Parlament. Das hat das Interesse an Big Daddy, wie der Diktator lange Zeit genannt wurde, noch zusätzlich erhöht. Mittlerweile vergeht kaum ein Tag, ohne dass Touristen sich nach den Originalschauplätzen des Terrors erkundigten.

Im Haus von Idi Amins ältestem Sohn Taban am Stadtrand herrscht unterdessen ausgelassene Stimmung. Wenn der Weiße das nächste Mal nach Uganda komme, möge er bitte früher Bescheid sagen. Dann würden sie die anderen Geschwister auch zusammentrommeln. Vierundvierzig seien sie insgesamt, aber bestimmt gebe es noch ein paar, von denen sie nichts wüssten. Schließlich habe der Alte früher über seinen Kinderreichtum geprahlt, er sei „ein guter Scharfschütze“. Dann lacht die Runde aufgekratzt, die heute nur aus fünf von Idi Amins Kindern besteht. Sie alle erinnern sich noch an ein Gruppenbild, das in Tripolis aufgenommen wurde, direkt nach ihrer Flucht. Das würden sie gerne nachstellen. Versprochen, wir machen es nächstes Mal.

Aber heute sind nicht nur die fünf Kinder des ehemaligen Diktators gekommen. Auch Tapo ist dabei. Tapo heißt eigentlich Taban Idi Amin. Er ist 29 Jahre alt, einer von Idi Amins Enkelkindern und der Sohn von Idi Amins ältestem Sohn. Seit ein paar Jahren schon ist Tapo in der Politik. Im Dezember 2016 gewann er einen Sitz im ugandischen Parlament. „Auf Tapo ruhen jetzt die Hoffnungen der ganzen Familie“, sagt Amin-Sohn Jaffar über seinen Neffen. „Auf jeden Fall lebt der Geist unseres Großvaters weiter. Wir sind wieder da.“ Nach Jahren im saudischen Exil ist die Familie nach dem Tod Idi Amins im Jahr 2003 nahezu komplett nach Uganda zurückgekehrt. Selbst Tapos Vater. Er war selbst Rebellenführer, seine Miliz nannte sich „West Nile Bank Front“ und trieb in Kongo ihr Unwesen. „Als Baba tot war, hatte der Kampf für mich keinen Sinn mehr“, sagt er. Er versöhnte sich mit dem aktuellen Präsidenten Yoweri Museveni, kehrte heim und bekleidet nun das Amt eines stellvertretenden Leiters des Uganda-Geheimdienstes „Internal Security Organisation“. Nun müsse es eben sein Sohn richten und das Erbe des Großvaters antreten. Tapo nickt stumm. Heute führen die Alten das Wort. „Tapo hat eine große Zukunft vor sich“, sagt sein Vater, „er wird uns alle sehr stolz machen, vielleicht so stolz, wie Baba uns gemacht hat“. Baba, so wird Big Daddy von seinen Kindern genannt.

Fast ein Jahrzehnt lang hatte Idi Amin eine ganze Region im Herzen Afrikas in Aufruhr versetzt, mit seinen Eskapaden den Boulevard aus der Fleet Street unterhalten, Diplomaten aus aller Welt verunsichert. Er gab sich selbst den Titel: „Seine Exzellenz, Präsident auf Lebenszeit, Feldmarschall al-Hadsch Doktor Idi Amin Dada, Herr aller Tiere der Erde und aller Fische der Meere und Bezwinger des Britischen Weltreichs in Afrika im Allgemeinen und in Uganda im Besonderen“. Queen Elizabeth empfahl er sich als Liebhaber; die Königin möge doch einmal nach Kampala kommen, „um einen richtigen Mann kennenzulernen“. Den britischen Premierminister Edward Heath wollte er als Kapellmeister einstellen, den Sitz der Vereinten Nationen in die ugandische Hauptamt Kampala verlegen, König von Schottland und Hawaii werden.

Idi Amin war ein Politclown, aber einer mit Blut an den Händen. Für den Tod von 300000 bis 400000 Menschen soll er verantwortlich sein. Viele starben auf bestialische Weise. „Rebellierende Soldaten wurden gefragt, ob sie eine Zigarette wollten. Dann schnitt man ihnen die Geschlechtsteile ab und stieß sie ihnen in dem Mund, bis sie erstickten“, berichtete der „Spiegel“ im Jahr 1975: „Offiziere, die Idi Amin der Verschwörung verdächtigte, wurden in kleine Häuser gepfercht und dann mit Dynamit in die Luft gesprengt. Der ehemalige Außenminister Odinga trieb, von Krokodilen zerrissen, am Ufer des Victoriasees. Idi Amins zweite Frau lag zerstückelt im Kofferraum eines Autos.“

Voller Entsetzen berichtete ein Lehrer, dem die Flucht aus dem berüchtigten Makindye-Gefängnis gelang, 1974 einer internationalen Kommission, Gefangene seien gezwungen worden, anderen Häftlingen die Schädel mit Vorschlaghämmern einzuschlagen und nachher deren Fleisch zu essen.

Für viele Afrikaner war Amin ein Held. Er warf Zehntausende von Indern aus dem Land und ließ sich von Briten auf einer Sänfte durch Uganda tragen. Dafür liebten ihn viele Afrikaner. „Die gleichen Staatsmänner, die sich in lautem Protest gegen die Apartheidsländer Rhodesien und Südafrika, gegen die Politik der Portugiesen in Afrika vereinen, schauen schweigend den Vorgängen in Uganda zu“, schrieb die „Zeit“ im Jahr 1974. Der schwarze Rassismus sei ein „Freibrief für Idi Amin“.

Sein Ende führte Idi Amin dann vor ziemlich genau vierzig Jahren herbei, als er einen Krieg mit seinem Erzfeind begann, dem tansanischen Sozialisten Julius Nyerere. Ein halbes Jahr nachdem Amins Truppen in das Nachbarland eingefallen waren, hatten seine tansanischen Widersacher Kampala unter ihre Kontrolle gebracht und Amin samt Sippschaft ins Exil getrieben.

Jaffar und Taban Amin können sich noch gut an den Tag im April 1979 erinnern, an dem sie ausgeflogen wurden. „Die marxistische Artillerie bombardierte Kampala wie verrückt“, sagt Jaffar, „sie schossen blind in die Stadt, um möglichst viele Zivilisten zu erwischen und Angst und Terror zu verbreiten.“ Eines Tages habe ihr Vater dann gesagt, es sei Zeit zu verschwinden. Jaffar: „Vorher war er noch auf allen vieren durch das Wohnzimmer gekrochen und hat mit uns ,hoppe, hoppe, Reiter‘ gespielt, doch dann wurde er ganz ernst.“ An Bord einer Boing 707 verließen die Amins, damals vierzig an der Zahl, an einem regnerischen Tag im März 1979 Kampala. Weil die Sitze vorher entfernt worden waren, saßen alle auf Teppichen, die auf dem Boden des Frachtraums lagen.

Erstes Reiseziel: Libyen, das damals von Idi Amins Freund und Verbündeten beherrscht wurde. „Gaddafi war wie ein Vater zu uns“, sagt Taban Amin, „wir hatten bei ihm eine aufregende Zeit und genossen das Leben im Hotel.“ Erich Wiedemann, der Biograph Idi Amins, hatte die Großfamilie dort 1979 aufgespürt und notiert, Amin schleiche aus seiner Herberge „geduckt und mit einer großen Sonnenbrille getarnt – wie ein Liebhaber, der die Zimmerwirtin fürchtet“. Zudem habe er keine Reichtümer angehäuft und lebe „von den Almosen des Libyers“. Neun Monate später jedoch zog der Tross weiter nach Saudi-Arabien, wo Amin nach der Erinnerung seiner Kinder leidenschaftlich gerne im Roten Meer schwamm und fischte und Allah einen guten Mann sein ließ.

Die Amin-Sippe nennt all die Berichte über Idis Greuel pure Propaganda. Baba sei dem Westen ein Dorn im Auge gewesen, weil er für die Dritte Welt gekämpft habe, glauben sie. Daher die schlimmen Berichte. „Baba wollte nur, dass sich Uganda von Großbritannien emanzipiert, obwohl er die Briten persönlich zutiefst verehrt hat“, sagt Taban, der alte Guerrillero. „Heute erinnert sich kaum noch jemand an die Geißel des Kolonialismus.“ Die Menschen sollten froh sein, dass Männer wie sein Vater die Afrikaner davon erlöst hätten. Aber nun ist ja Tapo da, der Junior mit dem Sitz im ugandischen Parlament. Vielleicht komme der noch ganz groß raus. Präsident Musevenis Tage jedenfalls seien gezählt. Er ist kürzlich 74 Jahre alt geworden. „Ewig macht der es nicht mehr“, meint Taban Amin zum Abschied und schlägt seinem Sohn aufmunternd auf die Schulter.