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Beitrag vom 13.07.2018

NZZ

Drohnen

In Afrika erhofft man sich viel vom Drohneneinsatz zu humanitären Zwecken. Aber in Malawi geht auch die Angst vor Vampiren um, was die geplanten Transporte heikel macht.

Drohnen wird in Afrika eine grosse Zukunft vorausgesagt, etwa beim Transport von Medikamenten in entlegene Dörfer. Im südafrikanischen Staat Malawi werden auf einem riesigen Gelände Drohnen für humanitäre Zwecke getestet. Sogar Brutstätten der Malariaüberträger werden aus der Luft lokalisiert.

David Signer, Kasungu

In Malawi existiert der erste permanente Drohnenkorridor für humanitäre Hilfe. In einem Gebiet von achtzig Kilometern Durchmesser können hier Drohnen getestet werden. Das Uno-Kinderhilfswerk Unicef initiierte das Projekt vor einem Jahr. Gerade auf dem afrikanischen Kontinent ist der Einsatz von Drohnen vielversprechend. Der Transport auf dem Landweg in entlegene Gebiete ist wegen der schlechten oder fehlenden Strassen oft schwierig. Beispielsweise für die schnelle Lieferung von Medikamenten, Impfstoffen oder Blutkonserven in isolierte Dörfer sind Drohnen eine effiziente Alternative. Während der Überschwemmungen in Malawi im Frühling 2017 wurden Drohnen eingesetzt, um Luftaufnahmen der betroffenen Gebiete zu machen. Dank diesem Überblick konnten Regierung und Hilfswerke gezielter intervenieren. Gerade in solchen Katastrophenfällen können unzugängliche Landesteile dank Drohnen auch mit Handy- und Internetempfang versorgt werden, was die Einsätze und deren Koordination erleichtert.

Brutstätten aus der Luft identifizieren

Das Zentrum des Testgeländes bildet der kleine Flughafen von Kasungu im Landesinnern. Von hier können auch grosse Drohnen starten. Die unbemannten Flugobjekte dürfen bis zu einer Höhe von 400 Metern steigen. Das Flugfeld von Kasungu wird abgesehen von den Tests nur wenig benützt, Flugzeuge gibt es im Luftraum dieses Landesteils kaum.

Mitte Juni ist es eine Gruppe von jungen Forschern der Universitäten Liverpool und Leicester, die in Malawi ihre Experimente in der Luft durchführt. Es geht darum, Brutstätten der Anopheles-Mücke, die Malaria überträgt, ausfindig zu machen. Herkömmliche Methoden – Entomologen im Feld, die Wasserproben entnehmen – sind zeitaufwendig, arbeitsintensiv und kaum je flächendeckend. Aufnahmen aus Flugzeugen sind teuer, Satellitenbilder haben oft nicht die nötige Auflösung, oder die Sicht wird durch Wolken beeinträchtigt. Drohnen sind für solche Aufgaben die ideale Alternative. Dank den scharfen Aufnahmen aus mittlerer Distanz, zum Teil mit Infrarot, könnten solche riskanten Orte – meist handelt es sich um stehende Gewässer und Sümpfe – rascher als bisher lokalisiert werden. Auch gibt es Korrelationen zwischen Vegetation und Brutstätten, die durch die Forschung mithilfe von Drohnen überprüft werden können, indem parallel zu den Luftaufnahmen ein Experte am Boden punktuell Wasserproben entnimmt, sie auf die Anwesenheit von Larven untersucht und in Beziehung setzt zur vorhandenen Flora.

Es ist kein Zufall, dass das Forschungsprojekt im Juni durchgeführt wird. Während dieser trockenen Jahreszeit ziehen sich die Mücken an ein paar wenige Orte zurück, wo sie Eier legen, aus denen die Larven schlüpfen, die sich dann verpuppen. Es geht darum, die Malariaüberträger in dieser besonders verwundbaren Phase, bevor sie ausschwärmen, unschädlich zu machen, sei es durch Austrocknung, durch das Aussetzen von natürlichen Feinden oder durch chemische Mittel. Aufgrund der Lokalisierung mithilfe von Drohnen ist es dann auch einfacher, Siedlungen in der Nähe solcher Risikogebiete zu identifizieren und beispielsweise gezielt mit Moskitonetzen zu versorgen.

Die Forscher schicken zu diesem Zweck nacheinander zwei Drohnen in den Himmel, die das Gebiet rund um einen See fotografieren. Es handelt sich um Hunderte von Aufnahmen, die dann am Ende wie ein Mosaik zusammengesetzt werden, um ein lückenloses Abbild des Territoriums zu erstellen.

Impotenz wegen Malarianetz

Laut Takundwa Msosa, Arzt am Distriktspital von Kasungu, gehen die Malariatodesfälle zwar auch in Malawi zurück, aber langsamer als in andern afrikanischen Ländern. Bei 40 Prozent der Patienten im Spital geht es um Malaria. Er rechnet mit 5 Millionen Malariaerkrankungen im vergangenen Jahr, bei einer Bevölkerung von 19 Millionen Personen. Verantwortlich für die hohe Rate macht er das Klima, die Geografie (die vielen stehenden Gewässer), die Armut und die fehlende Bildung. Denn mit der mangelnden Aufklärung gehen oft auch obskure Vorstellungen über Malaria und Moskitonetze einher. «Weit verbreitet ist die Idee, Moskitonetze würden Impotenz verursachen», sagt Msosa. Laut dem Arzt rührt diese Angst vor allem daher, dass die Netze imprägniert sind. «Viele Leute vermuten, dass es sich dabei um Chemikalien handle, die dazu führten, dass die Malawier weniger Kinder hätten.» Malawi hat eine hohe Geburtenrate, und den Familienplanungsprogrammen der sowieso schon wenig glaubwürdigen Regierung begegnen die meisten Einwohner mit Misstrauen. Weit verbreitet ist laut Msosa auch die Vorstellung, dass Moskitonetze ein Hort von Ungeziefer seien. Diese Idee rühre daher, dass die Leute die Netze oft lange lagerten und sich dann alle möglichen Insekten darin einnisteten. «Es werden immer wieder Netze verteilt», sagt der Arzt, «aber oft werden sie als Vorhänge oder Fischernetze benützt, oder man deckt Gartenbeete damit ab.»

Der Leiter des Drohnenprojekts in Malawi, Michael Scheibenreif, begegnet auch oft okkulten Vorstellungen, wenn er in die Dörfer reist, um den Leuten zu erklären, worum es beim Drohnenkorridor geht. Viele Leute haben noch nie ein Flugzeug aus der Nähe gesehen, geschweige denn eine Drohne. «Fliegende Objekte bringen sie oft mit Hexen in Verbindung, von denen man annimmt, dass sie sich in Körben durch die Lüfte bewegen», sagt er. In Malawi geht auch die Angst vor Vampiren um, was die geplanten Bluttransporte etwas heikel macht. Anfang dieses Jahres kam es zu mehreren Todesfällen im Süden des Landes, als Unbekannte als Blutsauger verdächtigt und getötet wurden. Am Ende musste der Präsident intervenieren und Soldaten in die Region schicken.

Eine Drohne hat nichts mit Magie zu tun

Gerade deshalb ist es Scheibenreif wichtig, persönlich zu den Leuten zu gehen und seine Drohne vorzuführen. Immerhin wohnen in den Dörfern innerhalb des Korridors insgesamt etwa eine halbe Million Menschen. «Bei der direkten Begegnung sieht die lokale Bevölkerung, dass nichts Geheimnisvolles oder Magisches hinter dieser Technologie steckt», sagt er, «sondern dass ein normaler Mensch das Objekt steuert.» Oft schlägt die anfängliche Skepsis dann rasch in Begeisterung um, und Scheibenreif muss am Ende nicht mehr beruhigen, sondern im Gegenteil die hochgeschraubten Erwartungen dämpfen. «Ich muss den Menschen dann erklären, dass man zwar einige, aber nicht alle Probleme mit Drohnen lösen kann und dass wir erst am Anfang stehen.»

Nebst der Malariaprophylaxe können Drohnen auch grosse Dienste bei der Choleraprävention leisten. Mittels Luftaufnahmen ist es relativ leicht festzustellen, in welchen Siedlungen es keine Latrinen gibt. Solche offenen Defäkationsorte in Kombination mit unbedeckten Wasserstellen, die sich dank Drohnenbildern ebenfalls leicht identifizieren lassen, deuten auf ein hohes Risiko hin. Anfang des Jahres war es in Malawi zu einem Choleraausbruch mit dreissig Toten gekommen.

Die Gesetzgebung betreffend Drohnen variiert stark von Land zu Land, von sehr liberal bis sehr repressiv. In Rwanda transportiert das Start-up-Unternehmen Zipline Blutkonserven und Medikamente in entlegene Spitäler. Die Drohnen fliegen mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 Kilometern pro Stunde. Sie landen nicht, sondern werfen die Ware am Zielort mit einem Fallschirm ab. Da Rwanda klein ist, kann so der hinterste Winkel in kurzer Zeit erreicht werden.

In andern Ländern wie Somalia oder Jemen, wo Drohnen vor allem militärisch eingesetzt werden, wäre ein solcher ziviler oder humanitärer Einsatz schwierig. Zu gross ist das Misstrauen oder sogar die Angst in der Bevölkerung vor den unbemannten Flugobjekten. Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet Malawi, das für viele einen weissen Fleck auf der Weltkarte darstellt, im Bereich Drohnen nun eine Pionierrolle einnimmt.