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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 01.02.2018

https://weltneuvermessung.wordpress.com/2018/02/01/kommen-immer-mehr-af…

Kommen immer mehr Afrikaner nach Europa? China betreibt eine erfolgreiche Migrationspolitik mit Afrika und Europa nicht.

Robert Kappel

Die These, wonach Migration und Flucht nach Europa in den kommenden Jahren deutlich zunehmen werden, werden mit Bevölkerungswachstum, der Migrationsbereitschaft der Jugend, mit hoher Armut und Nichtbeschäftigung, Terror, Klimawandel, politische Fragilität und Bürgerkriegen begründet. So bedeutend diese Faktoren sind, und der Argumentation soll keinesfalls frontal widersprochen werden, sollte man auch die Gegentrends verstehen. Es gibt neue Optionen und diese liegen im Strukturwandel Afrikas mit sich entwickelnden urbanen Zentren begründet, sie liegen in den Optionen, die China und andere emerging countries eröffnen, und sie zeigen sich an den Mobilitätsstrategien im Rahmen der zirkulären Migration innerhalb Afrikas und der globalisierten zirkulären Migration. Hier entwickeln sich neue Dynamiken.

Allenthalben überschlagen sich die Horrormeldungen von den großen Fluchtbewegungen und steigender Migration aus Afrika nach Europa. Terrorismus, Klimakatastrophen, Staatszerfall, ethnische Konflikte und sogar die steigende Armut auf dem Kontinent muss für Panikmache herhalten. Der Alarmismus der Öffentlichkeit hat die EU-Kommission und die europäischen Regierungen sicherlich nicht zum Handeln veranlasst, denn sie wissen es genau, wie viele afrikanische Flüchtlinge und Migranten nach Europa gekommen sind, nicht viele.

Flüchtlinge

Die Gründe für geringe Zahl der Migranten und Flüchtlinge aus Afrika sind einfach zu benennen:

•Die europäische Union hat ihre Grenzen nach Afrika verlagert und hindert Flüchtende und Migranten aus Afrika bereits auf dem Kontinent daran, nach Europa zu kommen. Stichwort „Migrationspartnerschaften“.[1]

•In afrikanischen Ländern hat sich inzwischen herumgesprochen, dass die EU nicht das gelobte Paradies ist. Afrikaner lernen, dass Europa nur wenigen Migranten gute Chancen bietet, dass Rassismus weit verbreitet ist, dass es schwer ist, einen Job zu bekommen, dass es keine Willkommenskultur mehr gibt, dass der europäische Populismus inzwischen auch in Afrika bekannt geworden ist und Europa zunehmend eher ein trauriges Bild der Abschreckung bietet. Die Regierungen haben nach vielen Jahren des Diskutierens und Streitens nicht mal eine vorzeigbare Einwanderungspolitik entwickeln können. Stattdessen das wiederholende und nervige Strapazieren von den „Fluchtursachen bekämpfen“. Deutschland ist so ein Beispiel. Mit 3 Mrd € aus dem BMZ-Haushalt, mit ein paar deutschen Unternehmen, die ein paar Arbeitsplätze durch ihre Investitionen schaffen? Was für eine grobe Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeit.

Afrika wartet nicht auf Deutschland, Europa predigt die Segnungen der Entwicklungskooperation, aber diese enthält immer ein Element von Bevormundung und Paternalismus. Im Gegenteil, viele afrikanische Länder wenden sich ab, sie suchen mehr Handlungsspielräume durch die verstärkte Kooperation mit China, Indien, der Türkei, den Golfstaaten und Israel. Nicht weil von dort die Segnungen kommen, sondern weil diese klare Interessen haben und ihre Versprechen meist umsetzen. Das Agieren dieser emerging economies in Afrika hat keineswegs altruistische Motive, nein Samaritertum ist ihnen vollkommen fremd, und auch wird nicht permanent die Fahne der Menschenrechte geschwungen. Im Übrigen hat Franz Nuscheler bereits 1993 die menschenrechtlichen Doppelstandards in der deutschen Entwicklungspolitik kritisiert[2]. Gegenüber den kleinen Ländern machte man damals schon viel Aufhebens und drohte Maßnahmen an, während man diese bspw. in China und Indonesien stillschweigend duldete. Heute ist es gang und gebe, wenn die Bundesregierung links blinkt und rechts abbiegt. Ja, unsere Menschenrechte, unsere Werte bedeuten uns rhetorisch sehr viel, um zugleich mit den diktatorischen afrikanischen Regimes in Eritrea, Äthiopien und Rwanda zusammenzuarbeiten.

Nun denn, so ist die europäische und deutsche Realpolitik dort angelangt, wo sie nie hinwollte: Sie hat sich ins Abseits manövriert und verliert an Glaubwürdigkeit und der Einfluss schwindet, darüber können auch gute Werbekampagnen, wie der Marshallplan mit Afrika nicht hinweg täuschen. Es wäre auch nicht einmal schlimm, wenn man gute Werbung machte, wie BMZ-Minister Gerd Müller: „Afrika hat Probleme, wir haben die Lösungen“. Problematisch ist nur zu glauben, Deutschland sei in Afrika besonders wichtig und man warte dort auf uns. Nein, das ist alles nicht der Fall, darüber lässt sich nicht einmal mehr streiten. Die vom Compact with Afrika[3] für sechs ausgewählte Länder vorgesehenen Summen betragen für jedes Land gerade 100 Mio. €, ein Klacks gegenüber den über 60 Mrd € jährlichen hohen Rücküberweisungen von Migranten nach Afrika. Die Gewichte haben sich verlagert.

Warum die These, es kommen noch mehr Afrikaner nach Europa, hinterfragt werden sollte

Dass immer mehr Afrikaner nach Europa kommen, wenn das Niveau der Einkommen steige, wurde von Michael A. Clemens[4] empirisch gut fundiert. Demnach steigt die Bereitschaft auszuwandern, wenn das Einkommen steigt. Die Armen würden gerne auswandern, können es sich aber nicht leisten, und die Reichen sind reich genug, um auch in ihrem Heimatland ein angenehmes Leben zu führen, daher sei die Wanderungsbereitschaft der Mittelschichten größer. Diejenigen, die etwas mehr verdienen, werden also eher auswandern. Dieser These hängen viele Experten und Mitarbeiter in Ministerien an. Und zahlreiche Wissenschaftler kauen diese Aussage wider – ohne zu prüfen. Dabei wäre es notwendig, den Wahrheitsgehalt kritisch zu hinterfragen und die Trends nicht einfach fortschreiben.

Natürlich wird ein Teil der Afrikaner migrieren wollen und müssen, keine Frage. Wie überall die Menschen in der Welt. Und es gibt auch mehr Menschen, die migrieren, wenn sie höhere Einkommen haben. Es gibt immer Menschen, die anderswo ihre Chancen wahrnehmen wollen, sie sind neugierig, aktiv, innovativ und sie wagen etwas. „Wagen und Winnen“ – einst der Wahlspruch der Bremer, der ihnen abhanden gekommen ist. Aber Migration ist auch Verlust, ist mit Härten und Kosten verbunden, wie bspw. die Separation von der Familie und der Gemeinschaft. Migration ist keine Glücksgeschichte. Deshalb wollen die meisten Menschen ja nicht weg von zu Hause, obwohl anderswo viel mehr verdient wird und wo es möglicherweise bessere Jobs gibt. So bleiben die meisten Kpelle in Liberia, so die Igbo in Nigeria und die Oromo in Somalia oder Äthiopien und siedeln nicht einmal in die meist reichere Hauptstadt um, wo die Einkommen oft zehnmal höher sind als auf dem Land.

Aber entscheidender ist, dass die vielfach gepflegte enge Krisenbetrachtung auf Wachstum und Entwicklung in Afrika zu bedeutenden Fehleinschätzungen führt, wie bspw. der Strukturwandel in Gesellschaften, der technologische Fortschritt, die Nachfrage nach Arbeitskräften oder die saisonalen Wanderungen von Menschen, um zu überleben. Menschen bleiben, wenn Frieden herrscht, und wenn die Perspektiven positiv sind. Drei wesentliche Trends verdeutlichen, dass die steigende Abwanderungsbereitschaft nach Europa oder in die USA zu hinterfragen ist. Zentrale Aspekte sind:

1.Europa wächst nur schwach, typisch für viele der entwickelten OECD-Länder. Auch wenn es Überalterung in Europa usw. gibt, wird Europa sich schwer tun, Immigration aus Afrika zu ermöglichen. Wenn, dann wird es vor allem intra-europäische Wanderungen aus Ländern mit Arbeitskräfteüberschuss in Länder mit wachsender Nachfrage nach Arbeitskräften geben. Die Grenzkontrollen, die hohen Kosten der Migration und das weiterhin geringe Wirtschaftswachstum Europas schwächt die Bereitschaft von Afrikanern ab, überhaupt nach Europa zu wollen. Und immer weniger haben Lust, als billige Arbeitskräfte auf Andalusiens Plantagen, auf dem Straßenstrich Italiens oder in Asylheimen in Deutschland zu landen. Niedriges Wachstum und die Abschreckung durch Europas versetzte Grenzen nach Afrika sind nicht gerade eine Einladung an Migranten. Aber viel wichtiger als Europas Müdigkeit, gesunkene Attraktion und Wohlstandsbauchlogik sind zwei andere Entwicklungen, die eindeutig eine Verlagerung der Migrationen weg von Europa bedeuten.

2.Afrikas Wirtschaftswachstum: Viele afrikanische Länder haben weitaus höheres Wachstum und werden daher noch attraktiver für inner-afrikanische Migration. Zahlreiche Länder mit hohem Wachstum und höherem Pro-Kopf-Einkommen laden geradezu ein, eher innerhalb Afrikas nach Perspektiven zu suchen. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit der jungen Generationen und der noch ansteigenden Bevölkerungen, werden sich die Binnenwanderungen verstärken. Dabei kann Afrika an Entwicklungen seit vielen Jahrzehnten knüpfen: So basiert der Alltag vieler Westafrikaner auf einer Strategie zur Existenzsicherung, wie Laurence Marfaing sie hervorragend analysiert hat, die Sesshaftigkeit und Mobilität verbindet.[5]

Viele Menschen sind ihr Arbeitsleben lang mobil, sie legen lange Wege zurück und verbleiben für eine Zeit außerhalb des eigenen Landes. Mobilität und Migration ist für den gesamten Sahara-Sahel-Raum prägend. Es gibt eine „condition sahélienne„oder „culture of migration“. Die zirkuläre Migration wird durch grenzüberschreitende Handels-Netzwerke, die seit langem bestehen, erleichtert. Diaspora-Netzwerke verbinden sich mit Netzwerken des Herkunftslandes. Diese Migrationsnetzwerke von Händlern und Arbeitskräften befördern den Handelsaustausch in Afrika und die wirtschaftliche Entwicklung. Das Wachstum des intra-regionalen Handels ist angestiegen, auch vor allem seitdem Europa seine Tore versucht zu schließen.

Noch bedeutender ist ein Phänomen, das seit Beginn des Jahrtausends den afrikanischen Handel grundlegend verändert hat. Der wachsende Import von preiswerten Konsum- und Investitionsgütern aus China hat auch mit den Aktivitäten afrikanischer Händler zu tun, die die chinesischen Importe innerhalb der Region weiter verkaufen. Vor allem afrikanische Migranten, die als Händlern in China aktiv sind, nutzen die Globalisierung der Märkte für ihre eigenen Wirtschaftsaktivitäten.

China hat sehr gut verstanden, Migranten und mobile Händler in seine Exportstrategie einzubinden. Es hat vor allem verstanden, sich als globaler Netzwerker aufzustellen, Netzwerke von Chinesen und Afrikaner zu befördern, anstatt sie zu behindern. Dazu gehört auch, die Mobilität afrikanischer Migranten zu unterstützen, bspw. durch Business Visa für Afrikaner, die nach China reisen, um dort Waren einzukaufen, um diese dann in Afrika auf die Märkte zu bringen. So entsteht eine moderne Form der globalen zirkulären Migration, in der Frauen eine hervorgehobene Rolle spielen.

Afrikanische Händler spannen ihre Geschäfts- und Handelsnetzwerke, die früher überwiegend auf den afrikanischen Raum beschränkt waren, heute weltweit zwischen verschiedenen internationalen Handels-Drehscheiben, wie etwa Istanbul, Dschiddah, Dubai, Bangkok, Hongkong oder Guangzhou. So fungieren innerafrikanische bzw. internationale afrikanischen Unternehmer und Händler als Vermittler von Produkten, Technologien und Ideen. Hinzu kommen ca. 50 Tausend afrikanische Studenten in China (Stand 2015)[6], die akademische und Business Netzwerke entwickeln, die zukünftig erst richtig wirksam werden. Auf der anderen Seite gibt es eine hohe Anzahl von chinesischen Migranten in Afrika, die eine Diaspora in Afrika bilden, die sehr eng mit ihrem Heimatland verbunden ist. Zeitweilig wurde angenommen, es seien ca. 1 Million Chinesen.[7] Diese Chinesen sind in allen Bereichen aktiv, sie sind Arbeitskräfte in Infrastrukturprojekten, sie haben Handelsunternehmen, sie sind im produzierenden Gewerbe tätig, sie haben kleine Werkstätten und Shops, sie besitzen Farmen und Hotels. Sie sind vielfältig in Bereichen tätig, die für einen normalen europäischen Investor uninteressant sind. D.h. die Kompatibilität der afrikanisch-chinesischen Kooperation ist weitaus höher als die der europäisch-afrikanischen Zusammenarbeit.

3.Der Strukturwandel in Afrika stellt wahrscheinlich eine weitaus größere Ressource für die Nachfrage nach Arbeitskräften innerhalb Afrikas dar und für Aktivitäten der zirkulären Migration. Auch wenn es viele Unbeschäftigte in den Ländern Afrikas, gibt es doch immer auch Bedarf für zusätzliche Arbeitskräfte. In den urbanen Zentren wächst die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften, der intra-afrikanische Handel entwickelt sich durch Infrastrukturmaßnahmen und Zollsenkungen und durch Liberalisierung der Märkte in den Regionen des Kontinents. Mittelschichten wachsen, es gibt in einigen Ländern rege Bautätigkeit und Industrieentwicklungen. Der Strukturwandel ist schnell und manche Länder können in dieser Phase hohes Wirtschaftswachstum realisieren. In den wachsenden Märkten werden Arbeitskräfte benötigt, vor allem im produzierenden Gewerbe. Viele Migranten finden Jobs im informellen Sektor. Auch gibt es Expertenmigration, wie bspw. von Zimbabwe nach Südafrika. Mehr als 90% der Migranten verbleiben innerhalb Afrikas.

Zirkuläre globale Migration Richtung Asien

China, die Türkei und die USA sind in einer anderen Situation. Europa grenzt an Afrika, während die anderen weiter weg sind. Außerdem gab es lange historisch gewachsene Beziehungen und viele Kooperationsabkommen zwischen Europa und Afrika. Aber, wie auch in anderen Bereichen (Investitionen, Infrastrukturentwicklung, Studentenaustausch, strategische Kooperation mit Regierungen) agieren die EU und auch Deutschland eher zu langsam, zu unkoordiniert und immer noch paternalistisch. Es gibt zu viele alteingesessene und verschlossene Strukturen im Handel, die Afrikanern kaum neue Optionen ermöglichen. Einreisen nach Europa sind erschwert worden, Geschäftsleute aus Afrika finden im Übrigen auch nicht die große Anzahl an preiswerten Konsum- und Investitionsgütern, die sich auf dem Wege der globalen zirkulären Migration kaufen und wieder verkaufen lassen. Also engagieren Händler sich dort, wo die Optionen besser sind, in China und den Golfstaaten.

Die Abkehr von Europa ist also nicht nur eine Abkehr, weil Migration nach Europa deutlich eingeschränkt wurde, sondern vor allem eine Folge des Strukturwandels, der zur Stärkung der afrikanischen Diaspora in aufstrebenden Weltregionen – vor allem in Asien – und innerhalb Afrikas führt, während Europa seine einst dominante Rolle auf dem Kontinent einbüßt. Diese Entwicklungen schlagen sich auch in den gewachsenen Rücküberweisungen der Migranten nach Afrika in Milliardenhöhe aus Saudi Arabien, den Golfstaaten, aus Kamerun, aus Côte d’Ivoire und Südafrika nieder.

Fußnoten

[1] Siehe Beitrag von Helmut Reisen auf Blog Weltneuvermessung „Migrationspartnerschaften“; wordpress.com/2017/08/29/migrationspartnerschaft/amp/

[2] Nuscheler, Franz (1993), Menschenrechtliche Doppelstandards in der Entwicklungspolitik, in: Tetzlaff, Rainer, Hrsg., Menschenrechte und Entwicklung, Bonn: 79-95.

[3] Kappel, Robert, Birte Pfeiffer und Helmut Reisen (2017), Compact with Africa: Fostering Private Long-term Investment in Africa, Bonn: DIE Discussion Paper 13/2017 https://www.die-gdi.de/discussion-paper/article/compact-with-africa-fos…; Kappel, Robert und Helmut Reisen (2017), „Compact with Africa“: Unsuitable for African Low-Income Countries, Berlin: FES, http://library.fes.de/pdf-files/iez/13441.pdf

[4] Michael A. Clemens (2014), Does Development Reduce Migration, Bonn IZA DP 8592, http://ftp.iza.org/dp8592.pdf

[5] Vgl. Marfaing, Laurence (2015), Importations de marchandises chinoises et mobilité sous régionale en Afrique de l’ouest, in: Cahiers d’Etudes Africaines 218: 359-379; Marfaing, Laurence (2017): Mobilität in Westafrika: Migranten als Akteure der Globalisierung; Bundeszentrale für Politische Bildung, Kurzdossier 2017; http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/250265/migranten-…

[6] http://www.daad.org.cn/aktuelles-china/zahl-deutscher-studierender-in-c…

[7] http://german.china.org.cn/txt/2017-09/01/content_50006659.htm