Beitrag vom 20.11.2017
FAZ
Afrikas Infrastruktur hat gewaltigen Bedarf
Ohne bessere Straßen und Eisenbahnen wird es keine Entwicklung des Kontinents geben. Milliarden-Investitionen sind dringend nötig. Doch wer bringt das Geld dafür?
Von Philip Plickert
DÜSSELDORF, 19. November. Verfallene Eisenbahnstrecken, bröckelnde Fernstraßen und verstopfte Städte: Die Verkehrsinfrastruktur in Afrika ist in einem beklagenswert schlechten Zustand. Dies ist auch eines der wichtigsten Entwicklungshemmnisse für den Kontinent. Die Weltbank schätzt, dass die Produktivität in Afrika – also das Wohlstandsniveau – ohne Infrastrukturdefizite bis zu 40 Prozent höher sein könnte. Hohe Transportkosten sind einer der Gründe für den nur schwachen innerafrikanischen Handel. Hinzu kommt die Energiekrise. Wegen häufiger Stromausfälle in vielen Ländern Afrikas verlieren Unternehmen jedes Jahr rund 5 Prozent ihrer Umsätze.
Die Infrastruktur hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eher verschlechtert. Das zeigen die Zahlen zum Eisenbahn-Streckennetz. In den achtziger Jahren gab es 65000 Kilometer Eisenbahnen in Subsahara-Afrika, heute sind weniger als 60000 Kilometer Bahnlinien in Betrieb. Zum Vergleich: Das deutsche Eisenbahnnetz umfasst 43500 Kilometer. Und auch die Dichte des afrikanischen Straßennetzes ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten zurückgegangen. Aufgrund von Geldmangel und Inkompetenz ist die Infrastruktur vielerorts verrottet.
Das zeigt das Beispiel Ghana. Im frühen 20. Jahrhundert, als es noch britische Kronkolonie war, wurde in dem westafrikanischen Land ein Schienennetz gebaut, später aber verfielen die Strecken, die meisten sind heute nicht mehr benutzbar. „Der Eisenbahn-Sektor in Ghana hat sich so weit verschlechtert, dass er kaum noch existiert“, sagt Andy Appiah-Kubi, seit diesem Jahr Vizeminister für Eisenbahnentwicklung in dem westafrikanischen Land. Man stehe fast bei null. Nun sollen drei Hauptlinien wieder aufgebaut werden, versprach der Minister auf dem Deutsch-Afrikanischen Infrastrukturforum, das der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft kürzlich in Düsseldorf veranstaltete. Der Verein will deutsche Unternehmen und afrikanische Entscheidungsträger zusammenbringen. Ghana besitzt Gold, Diamanten, große Bauxitvorkommen und Eisenerz im Norden des Landes. Doch ohne Bahnen, mit denen die kostbaren Rohstoffe zu den Häfen Tema und Sekondi im Süden transportiert werden, ist kein profitabler Abbau möglich. Mit einer indischen Baufirma gibt es schon einen Vertrag für eine Bahnstrecke. „Ansonsten bewerben sich viele chinesische Unternehmen“, sagt Appiah-Kubi. 21,5 Milliarden Dollar soll der Ausbau der drei Linien kosten. Alle Angebote werden strikt geprüft. „Wir wollen nicht das billigste Angebot, sondern technische Kompetenz, Verlässlichkeit und Sicherheit sind wichtig“, sagt Appiah-Kubi.
Der Vertreter von Siemens, der seinem Vortrag lauscht, spitzt an dieser Stelle die Ohren. Siemens würde gerne seine Sicherheitstechnik in Ghana verkaufen. Entgleisende Züge, abgekoppelte Waggons und Kollisionen seien häufige Probleme afrikanischer Eisenbahnen, erzählt Siemens-Manager Thomas Bieg. „Auch Diebstahl auf freier Strecke ist ein großes Problem.“ Der Münchner Industriekonzern bietet seine digitalen Systeme an, etwa GPS-gestützte Sicherheitssysteme, die Zusammenstöße vermeiden helfen. Und wenn ein Wagen abgekoppelt entgleist, schlägt das Computersystem Alarm. Bis 2020 will Siemens sein jährliches Auftragsvolumen in Afrika auf 3 Milliarden Euro verdoppeln, erklärt Edmund Acheampong, Regionalmanager für Ghana. Die größten Geschäfte macht der Münchner Konzern in Afrika derzeit mit Kraftwerken, Turbinen und erneuerbaren Energien. Für mehr Wachstum wäre aber bessere Infrastruktur bitter nötig.
Der Ausbau der Eisenbahnen werde kommen, versprechen die Regierungen. In den 54 Ländern des Kontinents würden derzeit 300 Eisenbahnprojekte geplant, allerdings seien die Projekte in sehr unterschiedlichen Stadien, sagt Kenneth Odero vom Namibian-German Center for Logistics. Laut Regierungsangaben liege das Investitionsvolumen bei mehr als 500 Milliarden Dollar, erklärt der Institutsleiter. „Wir reden hier über einen riesigen Markt.“ Ob die Pläne aber verwirklicht werden, steht auf einem anderen Blatt. Eines der Haupthindernisse ist ein Mangel an Finanzierungen.
Im vergangenen Jahr, als der Rohstoffpreisverfall Afrikas Wirtschaftswachstum stark gebremst hatte, ging die Finanzierung für Infrastrukturprojekte laut Infrastructure Consortium for Africa (ICA) um 21 Prozent auf 62 Milliarden Dollar zurück, davon 25 Milliarden Dollar für Verkehrsprojekte. Etwas mehr als ein Drittel bringen afrikanische Regierungen selbst auf, sehr wenig der private Sektor, knapp ein Drittel die ICA-Mitglieder, darunter die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank sowie die G-8-Länder. Schon mehr als 10 Prozent der Finanzierung fließt aber aus China, das in Afrika ein wichtiger Faktor geworden ist.
Die Chinesen haben vor mehr als einem Jahrzehnt begonnen, den Kontinent systematisch als Investitionsfeld und Markt zu erobern. Sie kleckern nicht, sondern klotzen. Berühmt-berüchtigt sind sie für ihre großen Investitionen, für die sie gleich eine Finanzierung mit anbieten. Eine chinesische Staatsbank vergibt einen Kredit mit anfangs erstaunlich günstigen Konditionen, wenn afrikanische Länder den Auftrag für eine neue Eisenbahn, Fernstraße, einen Flughafen oder Hafen an ein chinesisches (Staats-)Unternehmen vergeben. Die Baufirmen bringen oft ihre eigenen Arbeiter mit, zu Tausenden sind Chinesen auf afrikanischen Baustellen tätig. Die Kehrseite ist, dass sich afrikanische Länder oft zu langfristigen Rohstofflieferungen verpflichten.
Die deutsche Bauindustrie ist auf dem afrikanischen Kontinent bislang nur ein Randspieler. Zwar gebe es einen „riesigen Nachholbedarf im Infrastrukturbereich“, sagt der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. „Trotz des enormen Baubedarfs beurteilt die deutsche Bauindustrie ihre Geschäftschancen in der Region eher verhalten, da die Länder – von wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel Ägypten, Marokko, Botswana und Namibia abgesehen – selbst nicht über die ausreichenden finanziellen Ressourcen verfügen, um die Infrastrukturlücke zu schließen.“ Und die von Weltbank oder Afrikanischer Entwicklungsbank finanzierten Projekte seien für deutsche Bauunternehmen nicht mehr attraktiv, da sie grundsätzlich die Vergabe an den billigsten Anbieter vorschrieben. Bei diesem Preisniveau können die Deutschen nicht mithalten. So kommen eben die Chinesen, manchmal auch Inder oder Brasilianer in großen Bauprojekten zum Zuge. Lediglich Heidelberg Cement ist in Afrika groß im Geschäft, der Konzern betreibt in neun Ländern südlich der Sahara Produktionsstätten und hat in den vergangenen Jahren eine halbe Milliarde Euro investiert.
Deutsche Firmen sind zuweilen auch als technische Berater tätig, etwa das mittelständische fränkische Unternehmen Gauff. Die Ingenieure beaufsichtigen derzeit in Moçambique den Bau der Maputo-Brücke, mit 680 Metern die längste Hängebrücke Afrikas. Sie wird die Hafenstadt Maputo am Indischen Ozean mit neuen Fernstraßen Richtung Südafrika verbinden. Das ausführende Bauunternehmen kommt – natürlich – aus China, ebenso ein Großteil der Arbeiter. Die haben sogar einen eigenen Gemüsegarten eingerichtet, wo sie Verpflegung anbauen.
„Wenn ein ganzer Kontinent seine Infrastruktur aufbaut, bringt das Riesenchancen, aber auch Risiken“, heißt es von Siemens. Afrikanische Länder schneiden im Korruptionsindex von Transparency International vergleichsweise schlecht ab. Zudem bleibt die politische Instabilität in Afrika hoch. Schon manche Investitionssumme ist so verlorengegangen.
Bei der Infrastrukturfinanzierung steckt der Teufel oft im Detail, erklärt Andreas Woitzik von der Beratungsfirma Deutsche Infrastructure mit Sitz in Luxemburg. Investoren können Erträge in lokaler Währung oft nur schwer in Euro oder Dollar umtauschen und aus dem Land herausholen. Rechtsunsicherheit und „flächendeckende Korruption“ schrecken Investoren ab. Ein Problem sind auch die Vorgaben zu lokalen Partnern, erklärt Woitzik: „In Ländern wie Südafrika sind sie per Gesetz mit dem Black Economic Empowerment gezwungen, mit ‚schwarzen Unternehmen‘ zu kooperieren, doch das sind oft Pfuscherunternehmen.“
Afrika macht es also nicht leicht, dort zu investieren. Andererseits, so sagen viele auf der Konferenz des Afrika-Vereins: Fast nirgendwo sonst kann man, wenn man das Risiko eingeht, so hohe Gewinnmargen erzielen wie in Afrika.