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Beitrag vom 26.07.2017

FAZ

Kenia

Wer hat Angst vor Raila Odinga?

Kenias Präsident scheut das Duell mit seinem Herausforderer / Von Thomas Scheen

NAIROBI, 25. Juli. Es sollte der einzige Showdown der beiden Spitzenkandidaten in diesem Wahlkampf werden, und alles war gerichtet: Die moderierenden Journalisten waren sorgsam ausgesucht, die Zeiten für Rede und Gegenrede exakt festgelegt worden. Wer allerdings am Montagabend nicht im Fernsehstudio auftauchte, war Präsident Uhuru Kenyatta – womit sein Gegenspieler Raila Odinga 90 Minuten lang zur besten Sendezeit seine Vorstellungen von einem besseren Kenia erläutern konnte. Seither fragt sich das Land nicht ganz zu Unrecht, ob Kenyatta Angst vor Odinga hat.

Das Leben in Kenia richtet sich aktuell nach einem einzigen Datum aus: dem 8. August. Dann sollen in der größten Volkswirtschaft Ostafrikas ein neuer Präsident gewählt werden, ein neues Parlament und neue Lokalvertreter. Doch wie das ausgehen wird, wagt niemand vorherzusagen, denn Wahlen in Kenia sind eine heikle Sache. Das Land wählt bevorzugt entlang ethnischer Linien, auf die Wahlergebnisse folgen fast immer schwere Krawalle. Nach den Wahlen im Jahr 2007 kamen mehr als 1000 Menschen ums Leben; 600000 weitere wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land. Dem jetzigen Präsidenten Kenyatta, damals Parteivorsitzender einer der größten Parteien namens Kanu, brachten die Vorgänge eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof ein, weil Kenyatta und sein heutiger Stellvertreter William Ruto die Auseinandersetzungen gezielt geschürt haben sollen.

Die Ermittlungen wurden aus Mangel an Beweisen zwar eingestellt, gleichwohl fürchten viele Kenianer in diesem Jahr eine Wiederholung der zehn Jahre zurückliegenden Ereignisse – zumal der Herausforderer abermals Raila Odinga heißt. 72 Jahre ist der Ingenieur mit dem Diplom aus Ostdeutschland inzwischen alt, er kandidiert zum vierten Mal. 2003 war er Mwai Kibaki deutlich unterlegen. Die Unruhen von 2007 endeten mit einer großen Koalition, in der Odinga zum Ministerpräsident unter Präsident Kibaki berufen wurde. Bei den Wahlen 2013 unterlag Odinga dann Kenyatta – aber es blieb ruhig, wohl auch, weil dem Land der Schock von 2007 noch in den Knochen saß.

Das ist in diesem Jahr anders: Die Korruption in Kenia hat ein Allzeithoch erreicht, und die Lebenshaltungskosten sind derart angestiegen, dass die „kleinen Leute“ kaum noch wissen, wie sie bis zum Monatsende durchhalten sollen. Ein Machtwechsel liegt aber auch deshalb in der Luft, weil Odinga als Spitzenkandidat eines mächtigen Bündnisses antritt: Fünf Oppositionsparteien und damit so viele wie noch nie in der Geschichte des Landes haben sich zur National Super Alliance (Nasa) zusammengetan. Das Bündnis ist ethnisch so vielfältig, dass es die Regierungspartei Jubilee, die im Wesentlichen auf die Unterstützung der Volksgruppen der Kikuyu (Uhuru Kenyatta) und der Kalenjin (William Ruto) baut, in Bedrängnis bringt.

Umso befremdlicher wirkte Kenyattas Weigerung, am Montag gegen Odinga in den Ring zu steigen. Der Präsident ließ anschließend mitteilen, solche Debatten hätten keine Auswirkungen auf das Wählerverhalten und seien somit verschwendete Zeit. Die Zeitung „The Standard“ widerlegte diese Arroganz am Dienstag mit einer Umfrage unter ihren Lesern: 82 Prozent bezeichneten Kenyattas Verhalten demnach als „unmöglich“ und als „Missachtung der Wähler“. Auch die offiziellen Umfragen zeichnen ein für Kenyatta bedrohliches Szenario. Lag seine Partei zu Beginn des Wahlkampfes noch um 30 Prozentpunkte vor Nasa, ist dieser Vorsprung inzwischen auf fünf Prozentpunkte zusammengeschrumpft. Fest steht, dass die Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen wird. Ob es danach friedlich bleibt, steht auf einem anderen Blatt. In Erwartung eines Wahlbetrugs des Kenyatta-Lagers haben Odinga und seine Leute eine Wahlzentrale im benachbarten Tansania eingerichtet, wo die eigenen Auszählergebnisse sicher sind vor der kenianischen Polizei. Kenyatta droht derweil der Justiz des Landes, weil die auf ihre Unabhängigkeit pocht. Und ganz Kenia hält buchstäblich die Luft an.