Beitrag vom 02.06.2017
NZZ
Subsaharische Retortenstädte
Der afrikanische Traum vom Neubeginn
von David Signer, Dakar
Sambia und der Südsudan möchten ihre Hauptstädte verlegen, Äquatorialguinea tut es, Nigeria und Tansania haben es getan. Die Retortenstädte sind oft antikoloniale Statements – oder sollen einen Putsch verhindern. Und: Testen Sie Ihr Wissen im Afrika-Quiz.
Die Regierung von Sambia hat angekündigt, die Hauptstadt verlegen zu wollen. Die jetzige Kapitale Lusaka liegt in der Nähe der simbabwischen Grenze, die neue soll im zentralen, bisher wenig bevölkerten Distrikt Ngabwe errichtet werden. Als Grund wird eine Überlastung des zentralen Geschäftsviertels Lusakas angegeben. Eine Ausdehnung ist wegen der umliegenden Quartiere kaum möglich, zudem leidet die Stadt unter chronischen Staus. Die Frage ist allerdings, wie das Riesenprojekt finanziert werden soll. Sambias Wirtschaft hängt vor allem am Kupfer, dessen Preis seit einiger Zeit schwächelt.
Totgeburt Ramciel
In Afrikas jüngerer Geschichte gab es diverse Versuche von Planstädten. Die wenigsten haben wirklich reüssiert. Das jüngste und absurdeste Beispiel ist der Südsudan. Der Staat erlangte erst 2011 nach einem langen Krieg seine Unabhängigkeit vom Sudan; bereits 2013 brach ein neuer Krieg los, diesmal innerhalb der jungen Nation. Trotz Öleinnahmen ist das Gros der Bevölkerung mausarm und leidet Hunger. Aber schon kurz nach der Unabhängigkeit verkündete Präsident Kiir – als ob das Land keine anderen Probleme hätte –, eine neue Metropole namens Ramciel bauen zu wollen, und zwar 100 Kilometer nördlich der jetzigen Hauptstadt Juba. Vermutlich stecken politisch-ethnische Motive dahinter: Juba liegt in Bari-Gebiet, Ramciel hingegen in einer Region, die vor allem von Dinka bevölkert wird, Kiirs eigener Ethnie. Wie Ramciel finanziert werden soll, ist schleierhaft – wahrscheinlich durch ausländische «Geber». Wie der Staat Südsudan selber wird Ramciel ziemlich sicher eine Totgeburt.
Ähnlich absurd ist das Projekt, die Hauptstadt Äquatorialguineas von Malabo nach Djibloho zu verlegen. Für den neuen Regierungssitz im Landesinnern wurde eine grosse Fläche Regenwald gerodet. Ein wichtiges Motiv für die Verlegung ist die Angst des Diktators Obiang vor einem Putsch. Malabo liegt auf einer Insel und lädt geradezu zu einem Angriff vom Meer aus ein.
Das Neue ist das Alte
Die Geschichte der afrikanischen Planstädte begann Anfang der sechziger Jahre mit der Unabhängigkeit von Mauretanien und Botswana. Weil die Länder vorher von ausserhalb regiert worden waren, brauchte es eine neue Metropole. In Mauretanien war dies Nouakchott, in Botswana Gaborone. In Nouakchott hat sich das Retortenhafte längst abgeschliffen. Es ist eine typische, staubige, unattraktive Wüstenstadt. Gaborone hingegen haftet bis heute etwas von einem Musterschüler an. Die Stadt wirkt ganz unafrikanisch. Statt Märkten gibt es Malls, überall stehen Abfalleimer, die auch tatsächlich benützt werden.
Im Gegensatz dazu wäre in Malawi der Bau von Lilongwe, dem neuen politischen Zentrum des Landes, nicht notwendig gewesen. Die frühere Hauptstadt Blantyre stammte noch aus dem 19. Jahrhundert und gehört damit zu den alten Städten im subsaharischen Afrika. Aber der Gründerpräsident Banda wollte etwas Neues, mit einer eigenen Handschrift.
Die auf dem Reissbrett entworfenen Hauptstädte sind oft auch antikoloniale Statements. Sie sollen den alten, europäisch geprägten Zentren etwas Afrikanisches entgegensetzen. Aber zugleich eifern sie fremden Vorbildern nach, und meist wurden die neuen Hauptstädte auch nicht von afrikanischen Städteplanern oder Architekten entworfen. De facto wirken die alten, «kolonialen» Metropolen heute oft afrikanischer als die neuen. Vielleicht ist die eigentlich afrikanische Stadt noch nicht erfunden.
Egomanie und Planwirtschaft
Besonders augenfällig ist dieser Widerspruch zwischen Anspruch und Realität in Yamoussoukro. Die Fata-Morgana-Stadt ist dem Ehrgeiz des ersten Präsidenten von Côte d'Ivoire, Houphouët-Boigny, entsprungen, der in einem Anfall von Grössenwahn, Lokalpatriotismus und Günstlingswirtschaft sein Heimatdorf zur Hauptstadt aufmotzte. Das Wahrzeichen Yamoussoukros ist die Basilika Notre Dame de la Paix, eine getreue Kopie des Petersdoms in Rom. Sie hat 150 Millionen Franken gekostet. Der Präsident betonte immer, den Bau aus der eigenen Tasche bezahlt zu haben. Fragt sich nur, wie das Geld in seine Tasche kam. Das riesige Bauwerk, von einem Libanesen erstellt, dokumentiert nicht nur den Willen zum Prunk, sondern auch die vollständige Abwesenheit von Kreativität.
Der bescheidene Gründerpräsident von Tansania, Nyerere, war aus anderem Holz geschnitzt. Mit der Verlegung der Hauptstadt von Dar es Salam nach Dodoma, vom Meer ins Landesinnere, wollte er auch seine sozialistische Landwirtschaftspolitik, basierend auf den kollektiven «Ujamaa»-Dörfern, akzentuieren. Aber seine politischen Vorstellungen sind längst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet, und Dodoma ist so wenig zum Leben erwacht wie Yamoussoukro.
Positives Beispiel Abuja
Der einzige Hauptstadt-Transfer, der halbwegs funktioniert hat, ist derjenige in Nigeria, von Lagos nach Abuja. Begünstigend wirkte vielleicht die pure Not, da Lagos sich durch sein Wachstum tatsächlich zunehmend selber strangulierte. Abuja ist zwar wie die meisten Retortenstädte eher steril und elitär, aber immerhin gibt es Luft zum Atmen, Raum und ein Durchkommen auf den Strassen, was man, aus dem verstopften Millionen-Moloch Lagos kommend, über alles schätzt.
Aber besser als ein teurer Totaltransfer sind vielleicht schrittweise, partielle Verlegungen. Das praktiziert momentan Senegal, dessen schnell wachsende Hauptstadt Dakar ebenfalls aus allen Nähten platzt. Die Politik der Auslagerung in das dreissig Kilometer südlich von Dakar gelegene Diamniadio begann mit dem Bau einer Autobahn und des neuen Flughafens, der Ende dieses Jahres den Betrieb aufnehmen soll. Auch wenn gewisse Ministerien verlegt werden, ist Diamniadio nicht als neue Hauptstadt vorgesehen. Eher geht es um Dezentralisierung. Hoch oben auf der Prioritätenliste stehen die Ansiedlung von Industrien und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Während im äquatorialguineischen Prestige- und Paranoiaprojekt Djibloho als erstes ein Fünfsternhotel und ein gigantischer Golfplatz gebaut wurden, begann man in Diamniadio mit der Errichtung eines Kinderspitals, das inzwischen als bestes des Landes gilt. Die rollende Planung erlaubt es, immer wieder Fehler auszutarieren, und bewahrt das Projekt davor, zu einem weiteren weissen Elefanten in Afrika zu werden.