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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 10.04.2017

NZZ

Flüchtlingspolitik

Dreifacher Selbstbetrug

von Michael Fleischhacker

Außengrenzen gegen Flüchtlinge sichern und in den Herkunftsländern helfen, lautet die Devise. Mit der Realität hat das wenig zu tun.

Österreichische Debatten über das Thema Flüchtlinge führen mit unerschütterlicher Konsequenz immer in dieselbe Sackgasse. Den einen gilt jede Form der Zuwanderungsbegrenzung als Zeichen der Menschenrechtsignoranz und des Rechtsextremismus, die anderen verdächtigen jeden Vertreter der „Willkommenskultur“ als potenziellen Zerstörer der abendländischen Kultur, darauf aus, die angestammte Bevölkerung zur Minderheit im eigenen Land zu machen.

Beide Positionen sind nur um den Preis des Selbstbetrugs aufrechtzuerhalten.

Denn natürlich ist, das muss auch jeder Flüchtlingshelfer wissen, die Begrenzung der Flüchtlingsströme eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die, die wir aufnehmen, auch integriert werden können. 50.000 neue Asylberechtigte pro Jahr würden innerhalb weniger Jahre zu massiven Problemen führen. Und es ist selbstverständlich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht eines Staates, genau zu kontrollieren, wer ins Land kommt – und wer es wieder verlässt.

Auf der anderen Seite führt die Vorstellung, man könnte für Österreich so etwas wie ein „australisches Modell“ etablieren, zu unrealistischen und tendenziell gefährlichen Ideen der militärischen Grenzsicherung inklusive Schießbefehl. Österreich ist kein nationalstaatlicher Kontinent im pazifischen Ozean, sondern ein kleines europäisches Binnenland und Mitglied der EU. Das bedeutet nicht nur einen anderen Umgang mit illegaler Migration – sie ist viel schwerer zu verhindern, und das sollte man akzeptieren –, sondern auch einen anderen Zugang zur Vorstellung kultureller Homogenität.

Der Mittelweg als Selbstbetrug

Unglücklicherweise endet auch der Versuch, einen Mittelweg zu finden, im Selbstbetrug. Dieser Mittelweg lautet: Weil die Nichtbegrenzung von Migrationsströmen – unabhängig davon, aus welchen Gründen Menschen fliehen – zu massiven Problemen in Europa führen würde (und es bereits tut, darüber sollte sich auch niemand hinwegtäuschen), plädieren wir für ein rigides Kontrollregime an den europäischen Außengrenzen (im Rahmen des Schengen-Vertrags) und intensivieren gleichzeitig unsere Unterstützung für jene Regionen, aus denen die Migranten in erster Linie kommen. Also mehr Entwicklungshilfe für Afrika und größere Bemühungen, die Kriegsherde im Nahen Osten, vor allem den Krieg in Syrien, in den Griff zu bekommen.

Wie groß das Ausmaß des Selbstbetrugs ist, das es braucht, um diese entweder vollkommen naive oder aber einfach zynische Argumentation aufrechtzuerhalten, sehen wir gerade in Syrien. Man liest jetzt wieder öfter Zeitungs- und Magazintitel wie „In Syrien sterben Frauen, Alte und Kinder – und der Westen schaut zu“. Ja was soll er denn sonst tun? 49 Tomahawk-Marschflugkörper als Strafaktion für einen Giftgasangriff losschicken, von dem nach wie vor niemand zweifelsfrei sagen kann, ob die Assad-Truppen oder die Rebellen für ihn verantwortlich sind? Das Assad-Regime stürzen und dann mal schauen?

Ähnliches gilt für die nette Geschichte über die Entwicklungshilfe für das subsaharische Afrika. Glaubt irgendjemand im Ernst, dass Entwicklungshilfeprogramme der Vereinten Nationen, der EU oder gar einzelner EU-Mitglieder wie Österreich an der Situation dort, die vor allem als Ursache für die großen Migrationgsströme der Zukunft gesehen werden, in absehbarer Zeit auch nur irgendetwas ändern werden?

Papier, Podium, Realität

Auf dem Papier und auf dem Rednerpodium ist die Position, dass man gleichzeitig die Migration nach Europa begrenzen und die Ursachen für die Migration im Nahen Osten und in Afrika bekämpfen müsse, absolut nachvollziehbar. Aber sie ist von einer Umsetzung in die wirkliche Welt ungefähr so weit entfernt wie Sydney von Bad Aussee.

Das heißt im Klartext: Wir werden, weil wir gar keine andere Wahl haben, weiterhin und stärker als in der Vergangenheit daran arbeiten, die Migration nach Europa durch verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen oder, wenn das weiterhin nicht funktioniert, durch die Wiedereinführung nationaler Grenzregime, zu begrenzen. Die Aufstockung unserer Entwicklungshilfe-Budgets und unser Applaus für amerikanische Strafaktionen gegen syrische Giftgasangriffe dienen ausschließlich der Aufrechterhaltung des Selbstbetruges, der uns glauben lässt, wir hätten alles versucht.

Damit wir dann, wenn es an unseren Grenzen aufgrund des immer größer werdenden Drucks auch zum Einsatz von Gewalt kommt, sagen können, es habe sich um Notwehr gehandelt.