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Beitrag vom 09.04.2017

ZDF Heute

Afrika-Hilfe: EU braucht langen Atem

von Shakuntala Banerjee, ZDF-Studio Brüssel

Die Neuigkeiten dürften die Wirtschafts- und Finanzminister der EU nicht gefreut haben: Ihre geplanten Afrika-Hilfen könnten nutzlos sein. Das sagt eine aktuelle Studie, die den Ministern heute auf ihrem Treffen in Malta präsentiert wurde. Grund für die Probleme: Die 9.000-Dollar-Schwelle.

2,5 Milliarden lautet die Zahl, die europäischen Politikern zu denken gibt. 2,5 Milliarden Menschen werden im Jahr 2050 in Afrika leben, so die Prognosen. 25 Prozent der Weltbevölkerung wären das, auf einem Kontinent, der - zumindest heute noch - von Korruption, Konflikten und Naturkatastrophen geprägt ist. Bleibt es dabei, werden viele von ihnen ihr Glück auf anderen Kontinenten suchen. Der nächstgelegene: Europa.

Investitionen in Afrika: Mittel zum Zweck?

Den Migrationsdruck bekommt die EU schon jetzt zu spüren: von den 32.352 Menschen, die laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR seit Anfang des Jahres illegal über die Mittelmeerroute in die EU kamen, stammt mehr als ein Viertel aus afrikanischen Staaten. Für sie ist Europa, trotz teils lebensgefährlicher Hürden, der Weg aus Krieg, Armut und Perspektivlosigkeit.

Die EU hält dagegen: mit Informationskampagnen zu den Gefahren der Migrationsrouten, Unterstützungsprogrammen für freiwillige Rückkehrer, Verstärkung des Küstenschutzes und Zusammenarbeit mit Ländern an der EU-Außengrenze.

Vor allem aber mit neuen Investitionen in Herkunfts- und Transitländern. Milliarden stehen dafür zu Verfügung. Erklärtes Ziel: Migration eindämmen. "Wir haben ein großes Problem mit Menschen, die von Afrika nach Europa kommen", erklärt Belgiens Finanzminister Johan van Overveldt vor dem Treffen der EU-Finanzminister auf Malta. Thema dort: Staatliche Entwicklungshilfe und private Investitionen bestmöglich miteinander verknüpfen, um Afrika voranzubringen. "Ich denke", sagt van Overveldt, "die beste Langzeitlösung ist es, sicherzustellen, dass diese Menschen die Möglichkeit finden, Ihr Leben in Afrika zu entwickeln. Deshalb sind Investitionen dort so wichtig."

Kritische 9.000 Dollar-Grenze

Das sieht auch Angel Gurrìa, Generalsekretär der OECD, so: "Afrika ist ein Kontinent mit enormem Potential", sagt er, bevor er zur Runde der Finanzminister stößt. "Die Wirtschaft wächst schnell, aber wir müssen mit finanziellen und strukturellen Maßnahmen sicherstellen, dass Investitionen dort die bestmöglichen Ergebnisse liefern." Seit 40 Jahren arbeitet Gurrìa in der Entwicklungshilfe, hat Abermilliarden versickern sehen. "Wir reden hier über Investitionen, nicht über Entwicklungshilfe. Das ist der große Unterschied", erklärt er. "Wir reden über Geldflüsse, die zehn, zwanzigmal größer sind als jede Entwicklungshilfe, die wir bekommen können. Zusammen mit der Entwicklungshilfe können wir diese Investitionen so produktiv wie möglich machen."
Afrika entwickeln, um Migration zu stoppen, keine verkehrte Idee, sagt Guntram Wolff. Der Leiter der Denkfabrik Bruegel in Brüssel, ist nach Malta gekommen, um seine neueste Studie zu dem Thema vorzustellen. Intelligente Investitionen seien die einzige Art, Armut ernsthaft zu bekämpfen, sagt er. Das erklärte Ziel der EU, mit Hilfe der Armutsbekämpfung zugleich die Migrationszahlen zu senken, sieht er hingegen kritisch: "Die Studien, die wir uns angesehen haben, zeigen, dass erst bei einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von ungefähr 9.000 US-Dollar die Migrationszahlen anfangen zu fallen", erklärt er. "Bis zu einem Durchschnittseinkommen von jährlich 9.000 Dollar steigen die Migrationszahlen. Aber ein Großteil des südlichen Afrikas liegt eher bei 3.000 bis 4.000 Dollar Jahreseinkommen. Insofern werden wir die nächsten 20 Jahre mit einer steigenden Entwicklung Afrikas tendenziell einen Anstieg der Migrationszahlen sehen."

Regierungen stärker in die Verantwortung nehmen

Aktuell liegen 39 von 47 Ländern südlich der Sahara unterhalb der kritischen 9.000-Dollar-Schwelle, sagt die Bruegel-Studie. Selbst optimale wirtschaftliche Förderung werde das nur langsam ändern: "Wenn wir 2 Prozent jährliches Pro-Kopf-Wachstum annehmen“, rechnet Guntram Wolff vor, "sind es im Jahr 2030 immer noch 35 Länder, die unter dieser Grenze sein werden."
Aus dem Europaparlament kommt zusätzliche Kritik am neuen Anti-Migrationskonzept. Barbara Lochbihler, Außenpolitische Sprecherin der Grünen, hält den Ansatz für kurzsichtig: "Heutzutage sind in einem afrikanischen Land die Geldtransfers von Migranten zurück in das Land im Schnitt zehn Mal höher als die Entwicklungshilfe. Welches afrikanische Land würde sich da überzeugen lassen, keine Migration mehr zuzulassen?" Ähnlich sieht es Norbert Neuser. Der Europaabgeordnete sitzt für die SPD im Entwicklungsausschuss des Europaparlamentes. "Wir müssen die Regierungen stärker in die Verantwortung nehmen", meint er. "Sie müssen mit dafür kämpfen, dass ihre Menschen zuhause in ihrem Land eine Perspektive haben. Damit gehen viele Regierungen relativ nachlässig um."

Schnell wird es nicht gehen

Dennoch: Die koordinierte und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung Afrikas sei im ureigenen europäischen Interesse - darin sind sich alle einig. Je stabiler die Region, desto geringer die Migration, zeigt sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nach dem Treffen überzeugt. "Wenn die Menschen in Europa in den nächsten Jahrzehnten eine Zukunft in Stabilität und einigermaßen wirtschaftlichem Wohlstand und einigermaßen sozialer Sicherheit haben wollen," sagt er auf Nachfrage des ZDF, "müssen wir dafür sorgen, dass unser Umfeld auch eine stabile Entwicklung hat."
Schnell wird das allerdings nicht gehen. Es werde lange dauern, bis die sehr armen Länder so reich seien, dass es für die Einwohner attraktiver sei zu bleiben, als zu gehen, sagt der Wissenschaftler Guntram Wolff. "Es ist ein wichtiges Ziel, diese Armut zu bekämpfen, aber man sollte bitte nicht denken: In fünf Jahren haben wir das Resultat, dass es keine Migration mehr gibt."