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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 08.03.2016

Weltneuvermessung, Blog
https://wordpress.com/post/weltneuvermessung.wordpress.com/149

Die große Transformation in Afrika? oder Dani Rodrik hat nicht immer recht

Robert Kappel

Subsahara-Afrika hat in den letzten zehn Jahren ein relativ hohes Wirtschaftswachstum erzielen können. Einen wichtigen Beitrag zu dem Wachstum leisteten China, die OECD-Welt und Indien. Macht Afrika nun endlich den großen Sprung? Hebt Afrika ab? Oder war es nur ein kleines Strohfeuer?

Dani Rodrik stellte vor einiger Zeit fest1, dass hohes Wachstum nicht unbedingt mit einem Strukturwandel in der Ökonomie einhergehen muss. Im Gegenteil, in den meisten Ländern

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1 Rodrik, Dani (2015): Premature Deindustrialization, Cambridge, Mass: Harvard University, revised, November 2015. http://drodrik.scholar.harvard.edu/files/dani-rodrik/files/premature_de…; McMillan M, D. Rodrik, Í. Verduzco-Gallo (2014), Globalization, Structural Change, and Productivity Growth, with an Update on Africa, in World Development, 63:11-32; Timmer, Marcel P., Gaaitzen de Vries and Klaas de Vries, Patterns of Structural Change in Developing Countries, GGDC Research Memorandum 149 (Groningen, 2014).
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Afrikas bestehe sogar die Gefahr, dass abwandernde Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft keine Beschäftigung in der Industrie fänden, sondern allenfalls in den informellen urbanen Sektoren, die weitgehend durch Kleinhändler und sehr kleine und unproduktive Unternehmen geprägt sind. Viele Analysen zeigen, dass große und mittlere formelle Unternehmen in Afrika eher die Ausnahme sind. „The Missing Middle“ – kaum ein Mittelstand.

Der industrielle Sektor hat sich nur wenig entwickelt. Rodrik spricht gar von „The African example: (lack) of industrialization“.3 Die meisten Länder in Afrika haben keinen Durchbruch in der Industrialisierung erzielen können und verbleiben in der Ressourcenfalle und der Falle des „unlimited supply of labour“4.

Aber Rodrik geht noch einen Schritt weiter und begründet durchaus plausibel und empirisch gut unterfüttert die unzureichende Industrialisierung und Transformation:5

1. Grundsätzlich stehen zu spät kommende Industrialisierer – wie die meisten subsaharischen Länder – vor dem Problem, dass Industrialisierung nicht mehr als Allheilmittel für Wachstum und Beschäftigung angesehen werden kann. Während Südkorea und Taiwan während der 1960er bis 1980er Jahre noch ca. 30 Prozent der Arbeitskräfte in der verarbeitenden Industrie absorbieren konnten (in Deutschland waren es im Jahr 1970 35 Prozent, in Mexiko 1990 20 Prozent), erreichte Vietnam gerade 15 Prozent (Indien bislang 13 und China 16 Prozent).

2. Ärmere Länder – wie die meisten Länder im subsaharischen Afrika – können sich angesichts des globalen Wettbewerbs, des schnellen technologischen Wandels und der globalen Nachfrageverschiebungen hin zu Dienstleistungen kaum noch erfolgreich industrialisieren und damit einen deutlichen Anstieg der industriellen Beschäftigung erreichen. Afrikanische Unternehmen produzieren heute nicht mehr hinter Schutzmauern im eigenen Land, sondern stehen im Wettbewerb mit Produzenten aus aller Welt. Auch der Anwendung neuester Technologien, die prinzipiell einen Industrialisierungsschub herbeiführen könnte, sind Grenzen gesetzt.

3. Zwar könnten afrikanische Industrieunternehmen durchaus im Wettbewerb mit vietnamesischen oder chinesischen Unternehmen bestehen und auch im Export

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2 Gelb, Alan, Christian J. Meyer und Vijaya Ramachandran (2014), Development as Diffusion: Manufacturing Productivity and Sub-Saharan Africa’s Missing Middle - Working Paper 357, Center for Global Development, Washington, D.C. http://www.cgdev.org/sites/default/files/development-diffusion-market-p….
3 Rodrik, Dani (2014), Has sustained growth decoupled from industrialization? Harvard University, Paper, February 2014. http://drodrik.scholar.harvard.edu/files/dani-rodrik/files/has-sustaine….
4 Lewis, Arthur S. (1954), Economic Development with Unlimited Supplies of Labour, in: The Manchester School 22, 2: 139–191.
5 Döver, Melike und Robert Kappel (2015), Hürden für die Industrialisierung in Afrika, Hamburg: GIGA Focus Afrika 7.2015. https://giga.hamburg/de/system/files/publications/gf_afrika_1507.pdf
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erfolgreich sein, die Voraussetzung dafür wäre allerdings eine leichte Unterbewertung ihrer nationalen Währungen.

So weit dieser Rodrik-Befund, der ein wenig Realitätssinn in die vielen allzu optimistischen Dokumente und Policy Papers zur Industrialisierung der UNECA, African Union, der African Development Bank u.a. bringt.6 Diese setzen auf Industrialisierung, wohl wissend, dass das Wachstum der letzten Jahre nicht beschäftigungsintensiv war. Durch Industrialisierung sollen also Jobs geschaffen werden. Die allbekannten Maßnahmen sind dann vor allem die Beseitigung der Hindernisse für afrikanisches Unternehmertum, die durch hohe Handelskosten, hohe Transportkosten, die kleinen Märkte, geringe Massenproduktionsvorteile, eingeschränkter Zugang zu Finanzen usw. nur langsam wachsen. Hinzu kommt eine politische Ökonomie der Favorisierung großer Unternehmen durch die Staatseliten, was sich am Fall Uganda beobachten lässt.7 Korruption, Regulierungsmaßnahmen, Sicherheitsprobleme und die Gefahr politischer Krisen stellen weitere Hindernisse für das Wachstum der Industrie dar. Als Positivmaßnahmen werden Industriecluster, die Einbindung in Wertschöpfungsketten und der Aufbau von Sonderwirtschaftszonen empfohlen.

Dennoch: Es sprechen einige neuere Trends gegen Rodriks Argument, und für die „große Transformation“8. Es gibt Anzeichen dafür, dass es nach mehr als 50 Jahren nach der Unabhängigkeit Afrikas nun einen Wandel von der Agrargesellschaft hin zu einer Marktgesellschaft mit Industrialisierung geben könne. Die neueren Entwicklungstrends könnten so eine Art „Gesetz der tendenziellen großen Transformation“ andeuten, und dies hat mit Urbanisierung und den veränderten Zuflüssen an Auslandsdirektinvestitionen zu tun:

Die neuen urbanen Kerne in Afrika

Afrika verstädtert sich zunehmend. In den Städten entstehen große Konsummärkte, die ausländische wie inländische Investoren anziehen. Laut Oxford Economics9 sind die Top-Städte Casablanca, Kairo and Tunis in Nordafrika und in Subsahara Afrika Johannesburg, Kapstadt, Nairobi, Lagos und Luanda. Einige der afrikanischen Städte werden zu “urban hubs”, in denen sich moderne Industrie und Dienstleistungszentren entwickeln. Andere wiederum schaffen den Sprung nicht. Hier gibt es eine große und steigende Zahl von oft schlecht ausgebildeten Unterbeschäftigten, die ihr Überleben durch Kleinhandel und informelle Tätigkeiten sichern. Die Mehrheit der afrikanischen Städte wird das moderne
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6 Vgl. bspw. UNECA und African Union (2014), Dynamic industrial policy in Africa, Economic Report on Africa 2014, Addis Ababa. http://www.uneca.org/sites/default/files/PublicationFiles/final_era2014…
7 Kappel, Robert und Babette Never (i.E.), Favouritism: The political economy of enterprise development in Uganda, in: Jörg Wiegratz, Giuliano Martiniello und Elisa Greco (Hrsg.), The making of neoliberal Uganda: The political economy of state and capital after 1986, London: Zed Press.
8 Karl Polanyi beschreibt den tiefgreifenden Wandel der westlichen Gesellschaftsordnung im 19. und 20. Jahrhundert, als die Industrialisierung und politisches Handeln zu tiefgreifenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen führten, Polanyi, Karl (1944), The great transformation, New York.
9 https://www.oxfordeconomics.com/Media/Default/landing-pages/cities/OE-c…
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Industrie- und Dienstleistungszeitalter nicht so schnell herbeiführen können. Aber auch sie können durch den Aufbau von Industriezonen und industriellen Clusters mit modernen Klein- und Mittelunternehmen gegensteuern, in dem niedrige Löhne und billiges Bauland, verbesserte Bildungssysteme und eine effektive Infrastruktur geschaffen werden. Dies ist zwar kein Königsweg, ebnet aber den Weg für eine Transformation in einigen urbanen Zentren.

Auslandsdirektinvestitionen

In welche Bereiche fließen Auslandsdirektinvestitionen? Werden sie einen Schub zur großen Transformation leisten? Dies lässt sich an zwei wesentlichen Entwicklungstrends verdeutlichen:

- Es fließen mehr Direktinvestitionen in Länder ohne nennenswerte Rohstoffe. Ein eindeutiger Trend ist für jene Länder festzustellen, die an der Peripherie zu Europa liegen. Ägypten und Marokko sind wichtige „Hubs“ für Investoren, die auch in die EU exportieren. Sie profitieren von der Nähe zum europäischen Markt.

- Ein anderer Trend besteht darin, dass einige Länder – wie Kenia oder Äthiopien – ihre wirtschaftlichen Maßnahmen vor allem auf den Dienstleistungssektor, den industriellen Sektor und den IKT-Sektor ausrichten. Diese Länder weisen in den letzten Jahren verstärkte Investitionen in arbeitsintensiven Sektoren auf und nutzen hier Lohnkostenvorteile.10 Interessant ist, dass die sog. Investitionen auf der grünen Wiese („greenfield investments“) eindeutig in Richtung Dienstleistungen und verarbeitende Industrie gehen. Chinesische, indische und türkische Investoren haben bspw. in der Leder-, Schuh- und Textilindustrie in Äthiopien und Kenia investiert. Das Engagement chinesischer und indischer Unternehmen ist besonders interessant. Komplementiert durch staatliche Kooperationsmaßnahmen (vor allem im Infrastrukturbereich, Straßen, Elektrizität, Eisenbahnen, Wasser usw) in einigen afrikanischen Ländern treiben sie die Transformation Afrikas in Richtung Industrieentwicklung (Agroindustrie, Konsumgüterindustrie) und Ausweitung der Dienstleistungssektoren voran.

Die Hoffnung, dass Investoren aufgrund steigender Lohnkosten in China, der Türkei u.a. nun viele afrikanische Länder zu „Industriekernen“ ausbauen, ist dennoch trügerisch. Abgesehen von einigen Industrieunternehmen in Äthiopien in Ghana, Nigeria, Senegal oder Kenia gibt es bislang nur geringe Evidenz für einen solchen Trend. So bleiben Mauritius und Südafrika weiterhin die entwickelsten Industriestandorte in SSA mit Automobilunternehmen und deren Zuliefererindustrie, mit Chip- und Spielzeugindustrie und Textil- und Nahrungsmittelunternehmen. Vielleicht folgen Nigeria, Kenia und Äthiopien nach. Das heißt, die große Transformation lässt noch auf sich warten. Trotz Urbanisierung und verändertem Investitionsverhalten gibt es noch keinen generellen Durchbruch.
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10 UNCTAD (2015), World Investment Report 2015, New York. http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/wir2015_en.pdf
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Zusammenfassend lässt sich sagen: 1. Es ist die Zeit der Divergenz in Afrika: Einige wenige Länder können voranschreiten und einen Schub in Richtung große Transformation erzeugen, die meisten Länder sind jedoch nicht einmal ansatzweise auf diesem Weg. 2. Es gibt nur wenige Mittelunternehmen und sehr viele Klein- oder Mikrounternehmen. Diese wachsen nicht, sind wenig innovativ und produktiv und können nicht als Basis für einen Prozess der Transformation angesehen werden. Unternehmen, die in globale Wertschöpfungsketten eingebunden sind (und bspw. Wissen- und Technologietransfer herbeiführen), gelingt dies eher. 3. Die Urbanisierung ist dann eine Chance, wenn die Städte zu modernen Industrie- und Dienstleistungszentren mutieren. Von diesen Entwicklungen sind politisch fragile Länder, Länder mit geringer Urbanisierung und wegen kaum wachsender Mittelschichten und den weitgehend informellen Kleinstunternehmen vorerst ausgeschlossen. Sie werden weder Direktinvestitionen aus dem Ausland noch eine nennenswerte lokale Industrieentwicklung erwarten können, auch wenn sie Industriepolitik betreiben.