Beitrag vom 16.01.2016
FAZ
Terror in Mali
Wechsel des Schlachtfeldes
Von THOMAS SCHEEN, JOHANNESBURG
In Mali hat sich die Bedrohung von der Sahara in den dicht besiedelten Süden verlagert. Auch schwarzafrikanische Islamisten sind auf dem Vormarsch.
Von Bamako, Mopti oder Sévaré aus betrachtet, war der islamische Terror in Mali bislang weit weg. Der spielte sich hoch im Norden des Landes ab, dort, wo der Sahel in die Sahara übergeht und die Tuareg seit jeher Ärger machen. Doch das hat sich in den vergangenen zwölf Monaten mit blutigen Angriffen auf Restaurants in Bamako und ein Hotel in Sévaré radikal geändert.
Der Terror ist endgültig im dichtbesiedelten Süden Malis angekommen. Vor allem: Mit dem Wechsel des Schlachtfeldes geht ein Personalwechsel einher, der die Sicherheitskräfte vor eine kaum zu bewältigende Herausforderung stellt. Waren die Terroristen zu Zeiten der Besetzung von Timbuktu und Gao im Jahr 2012 noch überwiegend Ausländer beziehungsweise hellhäutige Tuareg, wird das Terrorszenario im Süden Malis inzwischen von schwarzen Islamisten beherrscht, die Fulani oder Mossi sprechen und nicht selten ortsansässigen Familien entstammen.
Gefährlichste Gruppe massiv geschwächt
Was sich gerade in Mali abspielt, ist ein Machtwechsel im Gefüge der Terrorgruppen. Die von Algeriern dominierte Gruppe „Al Qaida im islamischen Maghreb“ (Aqmi), die lange Zeit als größte, schlagkräftigste und gefährlichste Gruppe galt, spielt nur noch eine Nebenrolle. Sie hatte den Fehler gemacht, sich nach der Niederlage gegen die französische Armee Anfang 2013 (Opération Serval) tiefer in die Sahara zurückzuziehen.
Seit die Franzosen aber mit 3000 Soldaten einen regelrechten Riegel durch den Südrand der Sahara gezogen haben (Opération Barkhane), der von Mali über Niger bis nach Tschad reicht, ist Aqmi massiv geschwächt. Französische Nachrichtendienste behaupten, der harte Kern der Terrorgruppe sei auf 200 Kämpfer geschmolzen, die sich zudem aus Furcht vor Entdeckung in drei Kampfgruppen (Katibas) aufgeteilt hätten.
Die größte Bedrohung sehen Sicherheitsexperten mittlerweile im Süden des Landes, wo eine vor Jahresfrist noch nahezu unbekannte Gruppe namens „Front de libération du Massina“ ihr Unwesen treibt. Mutmaßlich ist die Massina-Gruppe ein Ableger von Ansar al Dine, der von dem Targi Iyad Ag Ghaly geleiteten und überwiegend aus Tuareg bestehenden Terrorgruppe aus Kidal im hohen Norden. Die Massina-Gruppe operiert indes entlang der mauretanischen Grenze bis hinunter an die Grenzen nach Burkina Faso und zur Elfenbeinküste. Das ist eine Region, die bislang vom Terror der Islamisten weitgehend verschont geblieben war und in der es folglich auch wenig Militärpräsenz gibt, seien es malische Soldaten oder Blauhelme der UN-Mission für Mali.
Massina-Gruppe kopiert die „Strategie“ von Boko Haram
Die Massina-Gruppe kopiert bei ihrem Vorgehen die „Strategie“ von Boko Haram in Nigeria, das heißt, es werden bevorzugt isolierte Ortschaften mit größtmöglicher Brutalität überfallen. Und wie bei Boko Haram sind die bevorzugten Ziele der Massina-Gruppe neben Repräsentanten des Staates moderate muslimische Geistliche, wie der 63 Jahre alte Imam Aladji Sékou, der im vergangenen Jahr in Barkérou ermordet wurde. Die dritte Parallele zu den Nigerianern: Die „Front de libération du Massina“ operiert grenzüberschreitend, was eine konsequente Verfolgung durch die malische Armee nahezu unmöglich macht.
Die „Front de libération du Massina“ wird von einem Mann namens Amadou Koufa geführt, einem bekannten Prediger aus Mopti am Niger. Koufas erklärtes Ziel ist es, aus Mopti das Zentrum eines neuen Kalifates machen, das sich auf das sogenannte „Massina-Imperium“ der Peul beruft. Die Entstehung dieses als „Kalifat von Hamdullahi“ bekannten Reiches geht auf einen Aufstand der Peul gegen die in Mali dominierende Volksgruppe der Bambara Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Auf seinem Höhepunkt um 1840 unterhielt das Kalifat des Machthabers Seku Amadu ein stehendes Heer von 10.000 Soldaten und verfolgte eine Politik des permanenten Dschihad.
Mit der Reminiszenz an den Peul-Aufstand bedient die Massina-Gruppe gezielt ein weitverbreitetes Minderwertigkeitsgefühl unter den in Mali lebenden Peul, die der Ansicht sind, von der Mehrheit der Bambara nach wie vor übervorteilt zu werden. Die Peul stellen in Mali elf Prozent der Bevölkerung. Ihr Siedlungsgebiet umfasst allerdings ganz Westafrika bis nach Kamerun in Zentralafrika und Südsudan in Ostafrika, womit sich die potentielle Gefahr, die von einem ethnisch motivierten Dschihad ausgehen kann, zumindest andeutet.
Verhandlungen mit gefährlichstem Terroristen erwogen
Nach Erkenntnissen französischer Nachrichtendienste kooperiert die „Front de libération du Massina“ im Süden Malis mit einer Katiba von Ansar al Dine, die sich ganz unbescheiden nach einem der wichtigsten Feldherren des Propheten Mohammed nennt, nämlich Kalid Ibn Walid. Diese Kooperation lässt die malischen Sicherheitsdienste glauben, dass hinter der „Front de libération du Massina“ niemand anders als Iyad Ag Ghali steckt, zumal die beiden, Amadou Koufa und Iyad Ag Ghaly, offenbar enge Kontakte unterhalten.
Die von Ag Ghali gegründete Terrorgruppe Ansar al Dine war während der Besetzung des Nordens von Mali durch Islamisten neben Aqmi und Mujao (Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika) die dritte große Terrorgruppe, konnte sich allerdings relativ erfolgreich dem Zugriff der französischen Armee entziehen. Das soll auch der Tatsache geschuldet sein, dass Ag Ghaly ein prominenter Targi ist und die Franzosen insbesondere die Hilfe seines Clans, der Iforhas, brauchten, um die französischen Geiseln von Aqmi aufzuspüren. Ag Ghaly, der einst als malischer Konsul in Saudi-Arabien auf Posten war, gilt inzwischen als der gefährlichste Terrorist der ganzen Region, zumal er über hohe finanzielle Mittel zu verfügen scheint, deren Ursprung in Saudi-Arabien vermutet wird.
Fest steht, dass dieser Mann mittlerweile als so mächtig betrachtet wird, dass die malische Regierung eine Zeitlang erwog, Verhandlungen mit ihm aufzunehmen, zumal sich in Bamako die Illusion hält, der Targi sei weniger ein Islamist denn ein Nationalist, dem es in erster Linie um einen unabhängigen Tuareg-Staat namens Azawad geht. Dass dem nicht so ist, bewies Ag Ghaly nach dem Friedenschluss zwischen der Regierung und den Tuareg im Juni vergangenen Jahres, bei dem den Berbern große Zugeständnisse gemacht worden waren. Ag Ghaly hielt an seiner Forderung der Schaffung eines Kalifats fest, obwohl dies von nahezu allen Tuareg-Clans abgelehnt wird.
Bruchstückhafte Informationen über Mokhtar Belmokhtar
Über das Schicksal eines anderen Überlebenden der französischen Militäroffensive vom Januar 2013, dem Algerier Mokhtar Belmokhtar, liegen indes nur bruchstückhafte Informationen vor. Dereinst war der Afghanistan-Veteran unter der Fahne von Aqmi unterwegs gewesen, bis er seine eigene Terrorgruppe namens Al Mourabitoun gründete. Bekannt wurde Belmokht Anfang 2013 mit dem Überfall auf eine Gasförderanlage im Süden Algeriens, bei dem 40 Geiseln getötet wurden.
Die Befähigung zur Planung und Ausführung solch komplexer Angriffe wie dem in Algerien nährten Spekulationen, von Belmokht und nicht von Ag Ghaly gehe künftig die größte Gefahr aus. Der Mann wurde mehrmals fälschlicherweise für tot erklärt, zuletzt im vergangenen Jahr nach einem amerikanischen Drohnenangriff auf einen Bauernhof in Libyen.
Zuletzt trat Al Mourabitoun bei dem Angriff auf das Radisson-Hotel in Bamako im November in Erscheinung, für den Belmokht die Verantwortung übernahm. Ob der Algerier aber tatsächlich noch über Schlagkraft verfügt, die über eine Geiselnahme hinausgeht, ist umstritten. Nahezu die Hälfte seiner Truppe soll sich nach Erkenntnissen französischer Dienste dem Druck, den die französische Opération Barkhane erzeugt, entzogen haben und hat sich nun angeblich dem „Islamischen Staat“ in Libyen angedient.
Eine etwas größere Rolle für die Bundeswehr in Mali
Die Bundeswehr will ihre Präsenz im „Friedens-Überwachungseinsatz“ in Mali von bislang bis zu 150 auf künftig bis zu 650 Soldaten vergrößern. Der Bundestag wird über das Mandat für diese Mission am Donnerstag in Erster Lesung debattieren. Seit zwei Jahren sind deutsche Soldaten in Mali. Bislang war das größte Kontingent (bis zu 350 Soldaten) in der europäischen Ausbildungsmission EUTM im Süden nahe der Hauptstadt Bamako eingesetzt, um dort beim Wiederaufbau und bei der Grundausbildung der malischen Armee behilflich zu sein.
Zu der Minusma-Mission der UN, welche die Befriedung und Aussöhnung des Landes zum Ziel hat, lieferte Deutschland nach Anfangshilfen beim Lufttransport zuletzt nur kleinere Beiträge. Einzelne deutsche Offiziere sind beispielsweise im Führungsstab der Minusma in Bamako eingesetzt.
Jetzt übernimmt die Bundeswehr, sofern der Bundestag zustimmt, eine neue, größere Aufgabe im Norden Malis, dort, wo der Aufstand von Dschihadisten und Tuareg-Clans seinen Anfang nahm. Eine verstärkte Aufklärungskompanie soll dort mit Hilfe von Drohnen des Typs Luna die Einhaltung der Waffenruhe überwachen, welche im Sommer zwischen der Regierung und Tuareg-Repräsentanten vereinbart worden war.
Die Bundeswehr hilft einem niederländischen Kontingent, das schon länger im Norden Malis aktiv ist. Laut Mandatsentwurf werden bis zu 500 deutsche Soldaten in das Einsatzgebiet verlegt. Sie sollen neben Aufklärung und Überwachung auch für den Eigenschutz sorgen. Zudem soll die Präsenz in den Minusma-Stäben in Bamako und Gao verstärkt werden. Die Kosten des Einsatzes gibt der Mandatsentwurf mit rund 36 Millionen Euro während der auf zwölf Monate begrenzten Laufzeit an. (Lt.)