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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 31.08.2015

Handelsblatt

Verfehlte Afrika-Politik

Volker Seitz

Zahlreiche Popsongs in Westafrika verklären Migranten als „Glückspilze“. So rechtfertigt der ivorische Reggae-Musiker Tiken Jah Fakoly in „Ouvrez les Frontières“ (Öffnet die Grenzen) die gegenwärtige Auswanderung mit dem Traum junger Afrikaner von einem besseren Leben. Wer Europa
erreiche, habe das große Los gezogen.

In Afrika selbst droht vielen der jungen Menschen auf absehbare Zeit ein Leben in Armut und
Stagnation. Allein in Nigeria werden jedes Jahr mehr Menschen geboren als in der gesamten EU.
Kein Arbeitsmarkt der Welt kann solche Mengen auffangen. So ist dort bereits jetzt über die Hälfte der 15- bis 24-Jährigen ohne Arbeit.

In muslimischen Ländern nagen Einehe und wenige Kinder am Männlichkeitsideal. Im Niger wurden zuletzt durchschnittlich 7,63 Kinder pro Frau geboren. Was mehr Bildung bewirken könnte, zeigt das Beispiel Botswana. Die Geburtenrate ist dort auf 2,9 Kinder pro Frau gesunken – eine Folge der positiven wirtschaftlichen Entwicklung.

Doch auch in Europa sind Veränderungen unabdingbar. Unsere derzeitige Flüchtlingspolitik schafft falsche Anreize. Wir müssten zum Beispiel endlich klare Kriterien benennen, nach denen die Zuwanderung gesteuert werden soll. Andererseits müssen sich echte Asylbewerber, deren Leben
in ihrer Heimat bedroht ist, fest darauf verlassen können, bei uns willkommen zu sein.

Schon kleine Schritten könnten dabei gerade in Afrika eine große Wirkung entfalten: Europäische
Botschaften auf dem Kontinent könnten zum Beispiel Kopien des Films „Die Piroge“ verteilen. Der eindrucksvolle Film, der auf einem Roman von Abasse Ndione fußt, beschreibt die Bootsflucht von dreißig Afrikanern und basiert auf den Erfahrungen von drei jungen Männern. Eindringlich gezeigt werden Furcht, Hunger und Krankheit der Flüchtlinge – und ihre nur geringen Überlebenschancen. Angesichts des dramatischen Ausmaßes der Migration könnten Filme wie dieser manchem Afrikaner das hohe Risiko einer Flucht nach Europa vor Augen führen.

Europa selbst täte gleichzeitig gut daran, sein Verhältnis zu Afrika grundsätzlich zu überdenken.
Gleichberechtigte Geschäftsbeziehungen sind sinnvoller als die heutige Form der Entwicklungshilfe. Echte Hilfe zur Selbsthilfe würde beinhalten, dass Entwicklungsländer ihre agrarischen und mineralischen Rohstoffe selbst weiterverarbeiten. Dabei sollte Europa helfen.

Hervorragend ist die Initiative der Deutschen Wirtschaft (Sifri), des Afrika-Vereins (AV), des
Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und des Deutschen Industrie- und Handelskammertags
(DIHK)), junge Unternehmer und Manager in Unternehmensführung auszubilden.

Über Länder-Patenschaften könnten einige Fluchtursachen bekämpft werden. Auch würde sich Europa durch den Fokus auf einzelne Staaten, etwa im Trockengürtel des Sahels, aus dem die meisten Migranten stammen, weit weniger als bislang verzetteln. Wir sollten dabei nur Staaten unterstützen, die bereit sind, zentrale Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung wie etwa die berufliche Bildung konsequent zu fördern. Lange Jahre ist viel zu wenig ehrlich und konkret darüber debattiert worden. Das rächt sich jetzt bitter.

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Der Autor war bis 2008 Leiter der deutschen
Botschaft in Jaunde/Kamerun. Sie erreichen ihn
unter: gastautor@handelsblatt.com