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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 18.08.2015

Waiblinger Kreiszeitung

Die Entwicklungshilfe muss sich ändern

Denn nach fünfzig Jahren Entwicklungshilfe sei Afrika heute ärmer, sagt der Waiblinger Ex-Diplomat Herbert Grüner

Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Ellwanger

Waiblingen. Die klassische Entwicklungshilfe (EZ) hält Herbert Grüner für gescheitert. Anstatt, wie in der Vergangenheit, Geld in Großprojekte zu investieren, sollte der Westen in Entwicklungsländern vielmehr flächendeckend Agrar-, Bildungs-, Gesundheits- und Wirtschaftsförderung betreiben.

Zwar nie hauptamtlich in der EZ tätig, hat Grüner doch viel Zeit in Schwellen- und Entwicklungsländern verbracht. Er hat in Brasilien gearbeitet, Peru während der Terror-Zeit des "Leuchtenden Pfads" erlebt und war zuletzt bis 2007 in Mosambik eingesetzt. Dort war er mit den Resultaten bisheriger EZ hautnah konfrontiert. Seine Skepsis ist dabei kontinuierlich gewachsen. "Wir brauchen eine ehrliche Diskussion darüber, was den einfachen Menschen unmittelbar hilft", fordert der 72-Jährige deshalb. "Das muss aktuell der Fokus sein, in dem alle Kräfte gebündelt werden sollten."

Die Hilfe in ihrer bisherigen Form sei nicht sehr hilfreich gewesen, im Gegenteil: Afrika sei heute ärmer als vor 50 Jahren. Statt die Länder auf eigene Beine zu stellen, wirke Entwicklungshilfe wie ein "süßes Gift": Geld sei in Großprojekte wie Wasserkraftanlagen geflossen und damit meist in die falschen Taschen. "Wir müssen wissen, wohin das viele Geld geht", fordert Grüner daher. Im Zweifelsfall müsse der Geldgeber die Kontrolle bis zum Schluss behalten inklusive einer Überprüfung der Verwendung und Sanktionen bei Verstößen.

Noch heute leiden die Länder unter den fatalen Fehlern des Westens...

Zur Ehrlichkeit gehöre aber auch die Einsicht in gravierende Fehler des Westens. Vor allem der Kolonialismus habe etwa durch willkürlichen Grenzziehungen fatale Folgen gezeitigt, was heute noch Ursache für viele Krisen sei. Viele Menschen seien weder in der Moderne, noch im Clan zuhause. Und die willkürlich gezogenen Grenzen hätten eine Nationenbildung mit dem Aufbau moderner Regierungsstrukturen von Anfang an massiv erschwert.

Bis heute agiert der Westen oft widersprüchlich. Ein Beispiel: In den 1990er Jahren benötigte Mosambik von IWF und Weltbank Kredite. Zu den Spar-Auflagen gehörten damals weitreichende Liberalisierungsmaßnahmen. Subventionen in der Cashew-Verarbeitung wurden gestrichen und Exportbeschränkungen abgebaut. Mit der Folge, dass die aufwändige, doch für die Wirtschaft des Landes so bedeutsame Verarbeitung der Nüsse weitgehend nach Indien abwanderte. Mehr als 10 000 Mosambikaner verloren dadurch ihre Jobs, rund eine Million Nuss-Sammler litten unter Einkommens-Einbußen und das in einem der ärmsten Länder der Erde.

In nackten Zahlen: 618 Dollar beträgt dort das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (Deutschland: 47 426), die Kindersterblichkeitsrate liegt bei 87,2 pro Tausend (Deutschland: 3,9) und die Alphabetisierungsrate bei 47,8 Prozent (Deutschland: 99 Prozent), wobei unter Alphabetisierung der Abschluss einer vierjährigen Grundschule verstanden wird. Auch wenn Mosambik Fortschritte gemacht hat, kämpfen viele Bürger immer noch ums pure Überleben.

...aber auch die Entwicklungsländer selbst müssen sich gründlich ändern

Daran sei nun beileibe nicht nur der Westen Schuld. Eines der größten Probleme sei nach wie vor der Tribalismus, das traditionelle Stammes- oder Clandenken. Denn "wer mehr hat, muss alle anderen seines Clans mit ernähren, die nichts oder weniger haben, soweit er dazu in der Lage ist." Diese Haltung spiegele sich im Verhalten der Politik wider. Vor allem der eigene Clan wird gefördert. So kommen häufig Personen in wichtige Ämter, deren einzige "Qualifikation" darin besteht, dem richtigen Clan anzugehören, während für diese Aufgaben vorhandene und bestens vorgebildete Experten oft keine Chance hätten. "Wir nennen es Korruption, aber die Politiker müssen eben ihre Clans versorgen". Entsprechend seien Regierungswechsel eher die Ausnahme, denn wer über die Machtstrukturen sein Auskommen finde, sehe keinen Anlass zur Abwahl. Das ließe sich aber nur ändern, wenn für das Clan-Denken eine Art Sozialversicherung für die ärmeren Schichten ein gleichwertiger Ersatz angeboten werde. Mosambik habe da bereits erste Schritte getan und eine Sozialversicherungspflicht eingeführt.

Für sinnvoll hält Grüner zudem das Vier-Augen-Prinzip, bei dem alle behördlichen Entscheidungsvorgänge mindestens von zwei voneinander unabhängigen Personen bestätigt werden müssen. "Das erschwert Korruption." Mindestens genau so sinnvoll sei das Rotationsprinzip: Wenn eine Person nur für begrenzte Zeit einen Posten einnimmt, sinkt die Wahrscheinlichkeit der Entstehung korrupter Netzwerke.

Als wirksamstes Gegenmittel empfiehlt Grüner berufsbildende Maßnahmen. Flächendeckend sollte diese künftig gefördert werden. Pensionierte deutsche Berufschullehrer könnten dazu ihr Wissen weitergeben. Und nebenbei auch das bewährte duale System der Berufsausbildung exportieren. Die Förderung von Akademikern hingegen sollte deutlich zurückgefahren werden, da ein Großteil der Stipendiaten nicht mehr zurückkehre, nachdem sie die Diskrepanz ihrer Chancen zwischen Gastgeberland und Heimatstaat abgewogen hätten.

Vielleicht ließe sich ja so die Entwicklung wirklich vorantreiben. Die Potenziale seien schließlich da. "Und die Menschen haben es wirklich verdient, dass es ihnen besser geht."

Info: China als Chance
China, in Teilen noch selbst Entwicklungland, engagiert sich in den letzten Jahren immer stärker als Entwicklungshelfer. Allerdings unter ganz anderen Vorzeichen als der Westen. Die Chinesen wollen vor allem Geschäfte machen und investieren viel in die Infrastruktur. Auch das ist eine Art von Entwicklungshilfe. Längst ist die Volksrepublik führende Handelsnation auf dem afrikanischen Kontinent. Allein in den letzten acht Jahren hat das Land dort 150 Milliarden Dollar investiert. Durch ganz Afrika baue China gerade Eisenbahnen und Straßen. Der Westen müsse aufpassen, warnt Grüner, dass die Straßen nicht am Ende durch die Budgethilfe des Westens finanziert werden.