Beitrag vom 06.07.2015
FAZ
Afrikas brachliegende Arbeitsplatzmaschine
Eine moderne Landwirtschaft könnte Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen
von Thomas Scheen
Zwei Jahre ist es her, dass die Weltbank einen Appell an die afrikanischen Staaten richtete, ihre landwirtschaftliche Produktion zu steigern und sie zum eigentlichen Wachstumsmotor zu machen. Damals importierte Afrika Lebensmittel im Wert von 25 Milliarden Dollar überwiegend aus Asien. Lediglich eine Milliarde Dollar dieser Summe entfiel auf Importe aus anderen afrikanischen Staaten. Doch hören wollte diesen Appell offenbar niemand. Warum auch, schließlich wuchsen die afrikanischen Volkswirtschaften dank der Rohstoffexporte um durchschnittlich deutlich über 3 Prozentpunkte im Jahr.
Zwei Jahre später wendet Afrika schon knapp 38 Milliarden Dollar für Lebensmittelexporte auf. Für Kanayo Nwanze ist das ein Unding: "Wir subventionieren Arbeitsplätze in Asien, die wir selbst dringend benötigen", sagt der gebürtige Nigerianer, der dem "International Fund for Agricultural Development" vorsteht, einer Einrichtung der Vereinten Nationen. Seit Jahren reist Nwanze quer durch den Kontinent, um für die Landwirtschaft als Jobmotor zu werben. Es ist der Kampf des Don Quichotte gegen die Windmühlen. "Das ist ein unglaublich mühseliges Geschäft, weil viele afrikanische Regierungen das Potential einfach nicht erkennen können", sagt Nwanze.
Viele Länder in Afrika boomen. Die Elfenbeinküste zum Beispiel hat im vergangenen Jahr ein Wachstum von 8 Prozent hingelegt, und die Prognosen für die kommenden zwei Jahre sehen ähnlich gut aus. Tansania, Kenia, Moçambique - überall dort, wo es Öl, Eisenerz oder Kupfer gibt, wächst das Bruttoinlandsprodukt aufgrund von Exporteinnahmen. Das Essen für die Bevölkerung aber wird woanders produziert, weil signifikante Investitionen in eine moderne Landwirtschaft unterbleiben. Der Ölproduzent Angola ist dafür ein typisches Beispiel. Zeitweise wuchs die dortige Wirtschaft um zweistellige Beträge im Jahr, und die Regierung investierte hohe Summen in die Reparatur einer vom Bürgerkrieg zerfetzten Infrastruktur. Ein Ausbau der landwirtschaftlichen Produktion zählte allerdings nicht zu den Prioritäten der Regierung. Lebensmittel wurden gegen harte Öldollar im Ausland gekauft. Inzwischen aber ist der Ölpreis im Keller, und die teuren Importe haben den Staatshaushalt aus dem Gleichgewicht gebracht. Nun sollen neue Milliardenkredite aus China das Land am Laufen halten.
Nwanze wundert das nicht. "Sehen Sie: Europa und Amerika haben zuerst ihre Eigenversorgung mit Lebensmitteln sichergestellt, bevor es an die Industrialisierung ging. In jüngster Zeit stehen Thailand, Südkorea und nicht zuletzt China für diese Binsenweisheit. In Afrika aber glaubt man offenbar, den umgekehrten Weg gehen zu können." Nur 6 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Landes auf dem Kontinent sind bewässert. In Asien sind es 33 Prozent. Laut Angaben der Weltbank gibt es in Afrika 400 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Fläche (das entspricht der Hälfte der Fläche Australiens), von denen indes nur 10 Prozent kultiviert wird. Von diesen 10 Prozent wiederum entfällt der Löwenanteil auf Südafrika, das als einziges afrikanisches Land über eine leistungsstarke Landwirtschaft verfügt.
Das Paradoxe daran ist, das die afrikanische Landwirtschaft der größte Arbeitgeber auf dem Kontinent ist. Der Sektor beschäftigt mehr als 200 Millionen Afrikaner und damit rund 56 Prozent aller Menschen im arbeitsfähigen Alter. 70 Prozent der Gesamtbevölkerung hängt auf die eine oder andere Art von der Landwirtschaft ab. Gleichzeitig aber sind nach Angaben der UN 50 Prozent aller Fälle von Kindersterblichkeit auf Unterernährung zurückzuführen. Denn die Landwirtschaft in ihrer jetzigen Form ist reine Subsistenzwirtschaft. Regnet es, gibt es was zu essen. Regnet es nicht, droht Hunger.
Das ist der Grund, warum Afrika die global höchste Urbanisierungsrate aufweist. Das Leben in der Stadt ist trotz hoher Arbeitslosigkeit und teurer Lebenshaltungskosten einfacher als das Leben auf dem Land. Das muss nicht sein, findet der Nigerianer Nwanze. "Ein Arbeitsplatz in der Landwirtschaft heißt doch nicht, den ganzen Tag unter glühender Sonne hinter dem Pflug zu laufen. Wir denken dabei an Lagerhäuser, Ausrüster, Mechaniker, Transporteure und Verpackungsbetriebe." Woran er sonst noch denkt, sind die 225 Millionen Afrikaner unter 18 Jahren, von denen derzeit mutmaßlich 70 Millionen keine Chance auf einen Job haben, weil es keine Jobs für sie gibt.