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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 11.05.2015

Neue Zürcher Zeitung

Simbabwe

Was uns Menschen glücklich macht

Wir Schweizer sollen die glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt sein. Doch wie will man Glück definieren?

von Ruedi Lüthy

Vor wenigen Wochen ist der «World Happiness Report 2015» erschienen: Wir Schweizer haben die Dänen vom ersten Platz verdrängt und sollen die glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt sein. - Ein Bericht, der das Glück von uns Menschen in ein Raster zwängen will, wirft Fragen auf. Denn wie will man Glück definieren? Glück ist doch für jede und jeden von uns etwas ganz Persönliches. In der wissenschaftlichen Glücksformel, die dem Bericht zugrunde liegt, stecken sechs Schlüsselfaktoren, wovon die ersten drei offenbar besonders wichtig sind: das Bruttoinlandprodukt pro Kopf, die Anzahl gesunde Lebensjahre, das soziale Netz, die wahrgenommene Korruptionsfreiheit in Politik und Wirtschaft, die wahrgenommene Freiheit und die Grosszügigkeit im Sinne von erhaltenen Spenden. Ich frage mich, wo auf der Skala Simbabwe liegt, und suche instinktiv am Ende der Liste. Auf Platz 115 von 158 werde ich fündig. Ich bin überrascht, dass das Land angesichts der grossen Probleme nicht noch weiter hinten liegt. Der afrikanische Kontinent sticht auf der Weltkarte des Glücks rot hervor im Gegensatz zu den grünen Weiden Amerika, Australien und Europa.

Simbabwe hat im Vergleich zum letzten Bericht 2010-2012 zwölf Plätze eingebüsst. Nach einer gewissen Erholung seit der Einführung des US-Dollars im Jahr 2009 brechen wirtschaftlich denn auch wieder düstere Zeiten an. Die Menschen hoffen, dass das Land nicht wieder in eine Krise wie jene von 2008 hineinschlittert, als Hyperinflation herrschte. Wir gingen damals mit Sporttaschen vollgestopft mit Millionen von praktisch wertlosen «Zim-Dollars» einkaufen, die Regale in den Lebensmittelläden waren oft leer. Wenn sich herumsprach, dass es in einem bestimmten Supermarkt Fleisch gab, liess man alles stehen und liegen und eilte dorthin. Vor den Tankstellen bildeten sich täglich kilometerlange Schlangen.

Nun machen seit einigen Monaten hartnäckige Gerüchte über die Wiedereinführung der lokalen Währung die Runde und schweben wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Menschen. Hierzu muss man wissen, dass bei der Einführung des US-Dollars 2009 die bestehenden Bankkonten der Kunden einfach aufgelöst worden waren - das angesparte Geld war auf einen Schlag weg. Umso erschreckender dürfte die Vorstellung sein, dass dasselbe wieder passieren könnte.

Ich selber bin mit meinem Schweizer Pass nur am Rand betroffen und kann mir kaum vorstellen, wie man als Simbabwer eine solche Unsicherheit aushalten kann. Von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt - so ist die Gefühlslage der Menschen hier. Einheimische - Schwarze und Weisse - erzählen mir, sie seien wie Jugendliche: In einem Moment hassten sie alles, und im nächsten seien sie glücklich und glaubten an den langersehnten Wandel. Die wenigen weissen Simbabwer, welche hier noch leben, fühlen sich in einem ewigen Provisorium, droht der Präsident doch immer wieder, sie müssten das Land verlassen - doch am Ende passiert nichts.

Man gewöhne sich daran, wird mir immer wieder gesagt, und letztlich gebe es nur eine Lösung: von Tag zu Tag leben und nehmen, was kommt. Die meisten können ohnehin nicht weg, weil sie sich kein Visum in ein anderes Land leisten können. Das, was übrig bleibe und letztlich zähle, seien die Beziehungen zu Familie und Freunden, denn die könne einem niemand wegnehmen, erzählt mir jemand, der einmal fast alles verloren hat. Das gelte für Menschen aus den Armenvierteln genauso wie für ehemalige Farmer.

Dieser resignierte Zweckoptimismus ist letztlich wohl der einzige Weg, wie man ein Leben in Willkür und Unsicherheit einigermassen aushalten kann. Dieser Zweckoptimismus ist längst Teil der Kultur geworden. Bei Besuchern hinterlässt das Land dann oft auch zwiespältige Eindrücke: Frustration und Resignation sind deutlich zu spüren, doch gleichzeitig strahlen die Menschen Gleichmut und Freundlichkeit aus. Vielleicht liegt genau darin ein Teil des Problems: Man duckt sich, harrt aus. Hoffen wir, dass Simbabwe bald einen grossen Schritt nach vorne machen kann auf der weltweiten Liste des Glücks.

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Prof. Ruedi Lüthy gründete im Jahr 2003 die Stiftung Swiss Aids Care International und baute in Harare/Simbabwe eine ambulante Klinik für mittellose HIV-Patienten auf, die er bis heute leitet. Er lebt die meiste Zeit des Jahres in Simbabwe. In seiner Kolumne berichtet er über den Alltag in der Newlands Clinic und über das Leben in einem Land, in dem rund 15 Prozent der Menschen HIV-positiv sind.