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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 27.06.2013

FAZ

Entwicklungshilfe - Verständnisfragen in Sambia

Viele Projekte sieht EU-Entwicklungskommissar Piebalgs in Sambia nicht. Präsident Sata beschimpft Diplomaten als Zeitverschwender - und erhält doch Milliardenhilfen aus Brüssel.

Von Thomas Scheen, Lusaka

Das Entwicklungsprojekt in Mazabuka war so recht nach dem Geschmack von Andris Piebalgs: groß, nachhaltig, sinnvoll und vor allem mit vorzeigbaren Ergebnissen. Mehr als 300.000 Kleinbauern profitieren in der Region südlich der sambischen Hauptstadt Lusaka von dem Projekt, das der aus Lettland stammende EU-Kommissar für Entwicklung finanziell verantwortet. Es geht dabei um bodenschonende Landwirtschaft bei gleichzeitiger Produktivitätssteigerung. Und es scheint zu funktionieren, denn die Ernten in Mazabuka haben sich dank neuer Anbautechniken verdreifacht, die Bauern haben folglich mehr Geld in der Tasche, und es gibt sogar Ansätze von mechanisierter Landwirtschaft in Form eines Traktors, für den sich einer der Bauern mächtig verschuldet hat.

16,9 Millionen Euro hat die EU in den vergangenen drei Jahren der "Food and Agriculture Organization" der Vereinten Nationen gezahlt, die das Projekt in Mazabuka führt. Und weil das so schön läuft, unterzeichnete der Europäische Kommissar gleich den Nachfolgeauftrag mit einem Volumen von rund elf Millionen Euro. Daneben wurden noch drei verschiedene Verträge für den Ausbau einer der wichtigsten Straßen in Sambia mit einem Gesamtvolumen von 118 Millionen Euro unterzeichnet. Wann aber mit dem Bau begonnen wird, steht derzeit noch in den Sternen.

Bislang kein Entwicklungsplan entworfen

Doch die anderen Stationen der ersten Reise Piebalgs in das südafrikanische Land waren weniger ermutigend: Da gab es noch eine Handwerkschule für Schulabbrecher, die sich inzwischen selbst finanzieren muss, womit sie sich schwertut; eine andere Schule, der es nicht viel besser geht; eine kleine Krankenstation mit Bewässerungssystem in einem Dorf namens Cheeba. Die Finanzierung durch die EU ist ebenfalls abgeschlossen, und die Bewohner müssen immerhin das Wasser nicht mehr aus dem Fluss schöpfen, wo Krokodile lauern. Dass dem Kommissar keine größeren mit der EU-Fahne verzierten Projekte vorgeführt werden konnten, liegt allerdings nicht an der EU, sondern an der sambischen Regierung, die sich offensichtlich schwertut, einen Entwicklungsplan für ihr Land zu entwerfen.

489,7 Millionen Euro hat die EU Sambia zwischen 2008 und 2013 an Entwicklungshilfe bereitgestellt. 229 Millionen Euro davon wurden als direkte Budgetbeihilfe ausgezahlt, was bedeutet, dass die sambische Regierung damit Ausgaben finanzieren kann, über die sie selbst entscheidet, solange diese dem Kriterium der Armutsbekämpfung entsprechen. Und das ist ein sehr dehnbarer Begriff. Der Rest der Summe ist projektbezogen, wobei die EU in erster Linie Infrastrukturmaßnahmen finanziert sowie Anstrengungen zur Verbesserung des Gesundheitswesens und der landwirtschaftlichen Produktion.

Wenn Piebalgs bei seinem Sambia-Trip nichts Neues zu sehen bekam, dann deshalb, weil es keine neuen Projekte gibt. Das wiederum hat mit der gegenwärtigen politischen Situation in Sambia zu tun, wo seit zwei Jahren ein - vorsichtig ausgedrückt - etwas irrlichternder Präsident namens Michael Sata regiert. Als er an die Macht kam, hatte Sata versprochen, jedem Arbeitslosen "innerhalb von 90 Tagen" einen Job zu besorgen. Die Staatsfinanzen wollte er binnen gleicher Frist sanieren. Zwei Jahre später werkeln Sata und seine Genossen von der "Patriotic Front" (PF) immer noch an einer Ausgestaltung des noch von der Vorgängerregierung angeschobenen nationalen Entwicklungsplanes, was den Gebernationen, allen voran der EU, einiges an Verrenkungen abverlangt, wenn sie ihre derzeitige Arbeit in Sambia erklären sollen. Die PF sei dabei, den alten Entwicklungsplan, der auf Privatisierung setzt, ihrem Parteiprogramm anzupassen, heißt es dann, und man erwarte alsbald Ergebnisse. Da Sata aber der Allmacht des Staates das Wort redet und deshalb an das vermeintlich segensreiche Wirken von Staatsbetrieben glaubt, darf man auf diesen Plan gespannt sein.

Mehr als 60 Millionen Euro EU-Entwicklungshilfe kamen in den zurückliegenden beiden Jahren nicht zur Auszahlung, weil die Sata-Regierung mehr mit der Unterdrückung der Opposition beschäftigt ist als mit der Sanierung ihrer Straßen und ihrer Hospitäler. Inzwischen sind sogar Parteitreffen der Opposition verboten. Und wenn sich ein westlicher Botschafter mit Vertretern ebendieser Opposition trifft, passiert es schon mal, dass der Präsident am nächsten Tag höchstpersönlich zum Telefon greift, um den Diplomaten zu maßregeln. Bespitzelung ist mittlerweile eine flächendeckende Übung im Reich von Michael Sata, und was der Mann von denen hält, die ihm Jahr für Jahr mit Entwicklungshilfe und Budgetbeihilfe beispringen, erfuhr unlängst der italienische Botschafter, als er mit einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation im Schlepp von Sata zu hören bekam, er stehle ihm seine Zeit. EU-Kommissar Piebalgs erging es nicht besser. Weil der Lette "absolut kein Verständnis" für die Hatz auf Homosexuelle in Sambia gezeigt hatte, sagte Sata den Termin mit seinem größten Geber kurzerhand ab.

Die Geber stehen Schlange

Insofern war der Besuch des EU-Kommissars wieder einmal Anlass, die Gretchenfrage der Entwicklungshilfe zu stellen: Darf bei Zuwendungen in Höhe von fast einer halben Milliarde Euro die Politik keine Rolle spielen? Andersherum: Warum soll einer Regierung europäisches Steuergeld hinterhergeworfen werden, wenn diese es darauf anlegt, ein ganzes Volk gegen sich aufzubringen? Die Antwort der Geber ist immer die gleiche: "Wir müssen darauf achten, wen wir mit einem solchen Stopp treffen würden", sagt Piebalgs. Selbst eine bloß vorübergehende Einstellung der Entwicklungshilfe träfe nur die Bedürftigen und habe keine politische Wirkung. Doch was kümmert es eine Regierung wie die von Sambia schon, wenn ihr Gesundheitssystem auf dem Stand des frühen Mittelalters verharrt - wo doch die Geber quasi Schlange stehen, um sie von dieser Verantwortung zu befreien?

Dabei wächst die sambische Wirtschaft trotz Sata nach wie vor um sechs bis sieben Prozent im Jahr. Getrieben wird dieses Wachstum vor allem von den immensen Kupfervorkommen im Norden des Landes. Nach einer Studie der Zeitschrift "Economist" könnte Sambia bis 2015 mit einem durchschnittlichen Wachstum von rund sieben Prozent zu den zehn am stärksten wachsenden Volkswirtschaften der Welt zählen - vorausgesetzt, die von der alten Regierung unter Präsident Rupiah Banda verordnete soziale Marktwirtschaft wird fortgeführt. Die Weltbank stufte Sambia Mitte 2011 von einem "low income country" zu einem "lower middle income country" mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von durchschnittlich 1070 Dollar herauf. Die Ratingagentur Fitch sah die Bonität Sambias als so gut an, dass sie dem Land ein Rating von "B+" gab, was nicht vielen Ländern in Afrika widerfahren ist.

Beamtenstellen vier Mal besser bezahlt

Das war zwei Monate vor den Wahlen. Kurz nach Satas Amtseinführung senkte Fitch die Bewertung auf "B-", nachdem die neue Regierung eine Verstaatlichung von Schlüsselindustrien propagiert und die Besitzer der größten Telekommunikationsfirma enteignet hatte. Wie Sambia unter diesen Umständen erschwingliche Kredite für die Modernisierung seiner Infrastruktur erhalten will, bleibt vorerst das Geheimnis der Regierung.

Trotzdem verfügte Sata unlängst eine Gehaltserhöhung von 43 Prozent für Staatsdiener. Der Beamtenapparat ist längst mit Mitgliedern seiner Ethnie, der Bemba, durchsetzt. Damit sind die Beamtenstellen vier Mal besser bezahlt als vergleichbare Jobs in der Privatwirtschaft. Die satte Gehaltserhöhung wird das Budget in zwei Jahren mit zusätzlichen Ausgaben von einer Milliarde Dollar belasten. Aber wozu gibt es Budgetbeihilfen? Die Verhandlungen darüber sollen im August beginnen.